Die erste Szene scheint harmlos genug zu sein: Im New Yorker Central Park bittet ein Schwarzer eine weisse Frau, doch bitte ihren Hund an die Leine zu nehmen, wie es gesetzlich vorgeschrieben sei. Die junge Frau flippt aus und droht, die Polizei zu rufen. Der schwarze Mann bleibt ruhig und beginnt, die Szene mit seinem iPhone zu filmen.
Die Polizisten erscheinen und stellen fest, dass die junge Frau zu keinem Zeitpunkt bedroht war, und ziehen wieder ab. Der schwarze Mann stellt das Video ins Internet. Es geht sofort viral und wird mehr als 30 Millionen Mal angeklickt.
«So what?», wird sich nun der Durchschnitts-Europäer fragen. Warum das Geschrei? Den Grund erläutert die Anwältin Eliza Orlins in der «Washington Post». Sie war lange in Manhattan als Verteidigerin tätig.
In Zeiten des Coronavirus kann dieser scheinbar harmlose Zwischenfall gar einem Todesurteil für den schwarzen Mann gleichkommen. Rikers Island ist ein Corona-Seuchenherd. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte sich ansteckt und im schlimmsten Fall an Covid-19 stirbt, ist ziemlich hoch.
Der jüngste Fall im Central Park ist ganz anders verlaufen. Die weisse Frau ist an den falschen schwarzen Mann geraten. Es handelt sich um einen Absolventen der Harvard University, der im Park seinem Hobby, dem Beobachten von Vögeln, nachgegangen ist. Er behielt die Nerven. Das Video zeigt auf, wie die weisse Frau ihre Privilegien gegen Schwarze ausspielen wollte. Damit löste sie einen Shitstorm in den sozialen Medien aus. Sie wurde von ihrem gut bezahlten Job in der Finanzindustrie gefeuert.
Gar kein Happy End hatte hingegen der zweite Fall, der sich in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota ereignet hat. Die Polizei verhaftete dort am vergangenen Montag George Floyd, einen 46-jährigen schwarzen Restaurant-Angestellten. Grund war ein Verdacht auf Fälschung. Floyd war nicht bewaffnet.
Vier Polizisten warfen Floyd zu Boden und legten ihm Handschellen an. Einer der Polizisten kniete auf seinem Hals. «Ich kann nicht mehr atmen», keuchte der Verhaftete mehrmals. Vergebens. Obwohl der Polizist damit gegen die Polizeiregeln verstiess – Verhaftete sollen möglichst kurz auf dem Bauch liegen –, drückte er dem Schwarzen das Knie mehr als fünf Minuten auf den Hals. Bewusstlos wurde der Verhaftete daraufhin auf einer Bahre abtransportiert. Wenig später war er tot.
Auch dieser Vorfall ist mit einem Smartphone aufgenommen worden. Das Video ist derart krass und eindeutig, dass die Polizisten fristlos entlassen worden sind. Inzwischen hat sich das FBI eingeschaltet und untersucht den Fall. Er hat landesweite Empörung ausgelöst. Politiker, Sportler und Showstars haben sich eingeschaltet. Selbst Präsident Trump fordert Aufklärung. In Minneapolis kommt es derweil zu heftigen Protesten.
Floyds Tod erinnert fatal an einen ähnlichen Vorfall in New York im Jahr 2014. Damals warfen ebenfalls mehrere Polizisten Eric Garner, einen Schwarzen, der Zigaretten verkaufte, zu Boden und würgten ihn zu Tode. Auch er keuchte wie Floyd «Ich kann nicht mehr atmen». Vergebens.
In jüngster Zeit hat sich rassistische Polizei-Gewalt gegen Schwarze gehäuft. In Brunswick (Bundesstaat Georgia) wurde Ahmaud Arbery von einem Ex-Polizisten und dessen Sohn erschossen. Sein Verbrechen: Er joggte durch ein weisses Quartier. In der kalifornischen Hauptstadt Sacramento wurde ein Polizist dabei gefilmt, wie er einen 14-jährigen Schwarzen bei einer Verhaftung mehrmals ins Gesicht geschlagen hat.
Inzwischen sind Schwarze nicht einmal mehr zuhause sicher. «Washington-Post»-Kolumnist Eugene Robinson schildert zwei Fälle, in denen Polizisten grundlos Schwarze in den eigenen vier Wänden abgeknallt haben.
Wenn Robinson daher die folgende Frage stellt, ist sie keineswegs rhetorisch gemeint: «Was muss ein Schwarzer in diesem Land tun, um nicht von der Polizei umgebracht zu werden?»
Traurig was da abgeht
Auch Politiker haben Vorbildfunktion...