Donald Trumps Kompetenz und Intelligenz sind – milde ausgedrückt – umstritten. In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: Er besitzt eine fast unheimliche Gabe, die Grenzen des Gesetzes auszuloten. Immer konnte er bisher in scheinbar aussichtslosen Lagen im letzten Moment den Hals aus der Schlinge ziehen. Nun jedoch scheint er sich verspekuliert zu haben. Gleich zwei schmerzhafte Niederlagen musste er gestern vor zwei verschiedenen Gerichten einstecken.
Der U.S. Court of Appeals for the 11th Circuit in Atlanta ist fest in konservativen Händen. Sechs der neun Richter sind von Donald Trump ernannt worden. So gesehen schien es, als ob dieses Berufungsgericht mit grösster Wahrscheinlichkeit für den Ex-Präsidenten und gegen das Justizministerium entscheiden würde, als es um die Frage ging, ob das FBI in Sachen der in Trumps Residenz Mar-a-Lago beschlagnahmten, hochgeheimen Dokumente weiter ermitteln darf oder nicht.
Zuvor hatte eine Trump-hörige Richterin in Florida genau dies untersagt und gleichzeitig bestimmt, dass zunächst ein Special Master abklären müsse, welche Dokumente vom FBI analysiert werden dürfen und welche dank eines Presidential Privileges geschützt seien. Ein solcher Sonderbeauftragter ist inzwischen in der Person von Richter Raymond Dearie gefunden worden.
Das erstinstanzliche Urteil der Richterin in Florida wurde allgemein als skandalös eingestuft. Selbst Trumps ehemaliger Justizminister William Barr hat es auf Fox News verurteilt. Zur gleichen Einschätzung kamen jetzt auch die Berufungsrichter. Sie haben das Skandalurteil nicht nur aufgehoben, in einer 29 Seiten umfassenden Begründung zerrissen sie es förmlich in der Luft.
Trump hat zwar noch die Möglichkeit, zu verlangen, dass das gesamte neunköpfige Richtergremium über sein Begehren entscheiden muss – das vorliegende Urteil wurde von drei von ihnen gefällt. Und notfalls kann der Ex-Präsident auch noch den Supreme Court anrufen. Mehr als eine kurzzeitige Verzögerung dürfte er jedoch damit kaum erreichen. Die Richter spielen sein Verzögerungsspiel nicht mehr mit, der 11th Circuit hat innert Tagen entschieden.
Zu absurd sind auch Trumps Argumente. So hat er gestern in einem Interview mit Sean Hannity auf Fox News erklärt: «Als Präsident kannst die Dokumente deklassifizieren, wenn du aussprichst, sie seien deklassifiziert, ja, selbst wenn du das bloss denkst.»
Es trifft zwar zu, dass der Präsident jedes Dokument deklassifizieren kann, doch er muss dies nach strengen Regeln tun. Das hat Trump offensichtlich nicht getan. Deshalb haben sich auch Trumps Anwälte bei einer Anhörung vor dem Special Master blamiert. Sie konnten nicht einmal erklären, ob die hochgeheimen Dokumente deklassifiziert seien oder nicht. Höflich, aber bestimmt wies sie Richter Dearie deshalb zurecht: «You can’t have your cake und eat it too.» Oder auf gut Schweizerdeutsch: «Ihr könnt nicht den Fünfer und das Weggli haben.»
Zudem spielt es im vorliegenden Fall überhaupt keine Rolle, ob die Dokumente deklassifiziert sind oder nicht. Sie gehören nicht Trump, sondern den National Archives. Der Präsident hat somit im harmlosesten Fall Diebstahl begangen, im schlimmsten Fall gegen das Spionage-Gesetz verstossen. Und da hört der Spass auf. Inzwischen gehen namhafte Juristen davon aus, dass Justizminister Merrick Garland gar nicht mehr anders kann, als Trump anzuklagen.
Ins Gefängnis werfen kann Letitia James, die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates New York, den Ex-Präsidenten nicht. Mit einer Zivilklage trifft sie ihn jedoch dort, wo es ihm sehr weh tut, beim Geldbeutel.
In einem Hearing vor dem Repräsentantenhaus hat Michael Cohen, Trumps langjähriger Anwalt, darauf hingewiesen, dass die Trump Organization regelmässig ihre Liegenschaften massiv überbewertet, wenn es darum geht, Kredite zu erhalten; und dass dieselben Liegenschaften für die Steuerbehörden massiv unterbewertet werden.
Die Generalstaatsanwältin hat diesen Vorwurf nun während drei Jahren minutiös untersucht. In einer 220 Seiten umfassenden Klage listet sie auf, wie Trump und seine drei ältesten Kinder, Donald jr., Ivanka und Eric, das von Cohen erwähnte Spiel systematisch gespielt haben.
Die rund 200 Vorfälle, die in dieser Klage aufgeführt werden, sind selbst für New Yorker Verhältnisse aussergewöhnlich. So führte die Trump Organization ein Mietshaus, dessen Wert von Experten auf 700’000 Dollar geschätzt wurde, mit 50 Millionen Dollar in ihren Büchern. «Die Zahl der grotesk überbewerteten Vermögenswerte ist überwältigend und betreffen die meisten, wenn nicht alle Immobilien zu allen Zeiten», heisst es in der Klageschrift.
Auch hier kann man Trumps Lügen nur als absurd bezeichnen. So hat er nicht nur den Wert seiner Wohnung im Trump Tower rund 200 Millionen höher eingestuft als realistisch wäre. Er hat selbst dort übertrieben, wo jedes Kind seinen Betrug nachweisen kann: bei der Wohnfläche. Diese hat er mit rund 9000 Quadratmetern angegeben, obwohl die Fläche des Apartments bloss 3000 Quadratmeter umfasst.
Die Klage der Generalstaatsanwältin hat gute Chancen auf Erfolg. Trumps langjähriger Finanzchef Allen Weisselberg hat sich bereit erklärt, in der Sache auszusagen. Er hat sich bereits in einem Strafprozess wegen Steuerhinterziehung für schuldig bekannt. Weisselberg will mit seiner Kooperation eine drohende Gefängnisstrafe abwenden oder zumindest reduzieren.
Bei einem Erfolg der Klage muss die Trump Organization 250 Millionen unrechtmässige Gewinne zurückerstatten. Zudem wird Trump und seinen Kindern während fünf Jahren untersagt, im Bundesstaat New York geschäftlich tätig zu sein.
Schmerzlich für Trump ist nicht nur ein allfälliger finanzieller Verlust. Auch sein Selbstbewusstsein hat einen vernichtenden Schlag erhalten. In Anspielung auf den Bestseller «The Art of the Deal» erklärte Letitia James an ihrer Pressekonferenz süffisant: Was Trump getan habe, sei keinesfalls die Kunst eines Deals, es sei vielmehr «the art of the steal» (die Kunst eines Betrugs).
Offenbar ist er es auch. Von Hexenjagd kann Trump da aber dann kaum sprechen.