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«Ein Vorpreschen bei den Medikamentenpreisen löst das Zoll-Problem nicht»

«Ein Vorpreschen bei den Medikamentenpreisen löst das Zoll-Problem nicht»

Die Pharmaindustrie stehe vor einer Zäsur, sagt deren oberster Lobbyist René Buholzer. Im Gespräch erklärt er, was das Powerplay von Donald Trump für die Schweiz bedeutet, in welchem Punkt der US-Präsident recht hat – und wo es Parallelen zwischen Waffen und Medikamenten gibt.
23.08.2025, 11:2023.08.2025, 11:20
Pascal Michel, Florence Vuichard / ch media

Spätestens seit dem Niedergang des Bankings ist die Pharmaindustrie die Vorzeigebranche der Schweiz. Das ist auch Donald Trump nicht entgangen: «Die Schweiz verdient ein Vermögen mit Medikamenten», monierte er und belegte die Schweiz mit einem massiven Strafzoll von 39 Prozent. Seitdem reisst die Kritik an Roche, Novartis und Co. nicht mehr ab. Der Schweizer Uhrenunternehmer Georges Kern liess sich gar zur Aussage hinreissen, die Schweiz sei in «Geiselhaft der Pharmaindustrie». Und er erntete Beifall.

Die «Pharma-Fürsten treiben die Schweiz ins Verderben» titelte ein Finanzportal. Zu Recht?
René Buholzer: Im Gegenteil: Die Pharmaindustrie schafft in der Schweiz immensen Wohlstand. Das lässt sich mit Zahlen belegen: Unsere Firmen zahlen jährlich mit Unternehmenssteuern sowie den Einkommenssteuern der gut 50'000 Mitarbeitenden rund 5 Milliarden Franken an die öffentliche Hand. Die Branche liefert in der Schweiz somit mehr Geld ab, als die 4,4 Milliarden Franken, die sie hier umsetzt. Zudem investieren wir jährlich gut 9 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung.

Dennoch: Die Pharma ist einer der Haupttreiber des Schweizer Handelsbilanzdefizits der USA mit der Schweiz, das Trump so stört. Und trotzdem kommt sie ungeschoren davon. Können Sie den Ärger all jener nicht verstehen, die nun dafür 39 Prozent Zoll zahlen müssen?
Emotional kann ich das gut nachvollziehen. Rational hingegen nicht. Die Schweiz und die Schweizer Wirtschaft haben stark vom Erfolg der Pharma profitiert. Und: Die Pharma ist ebenfalls direkt betroffen mit den angedrohten Zöllen bis zu 250 Prozent sowie den Forderungen nach Preissenkungen in den USA. Wir sollten deshalb als Land zusammenstehen, statt uns gegeneinander auszuspielen.

Roche-Präsident Severin Schwan war Teil der Schweizer Delegation, die nach dem Zollschock nach Washington geschickt wurde, um Trump zu besänftigen. Hat das etwas gebracht?
Kurzfristig hat das nichts gebracht. Aber es hat das Bewusstsein geschärft, dass wir mehr auf Donald Trumps Worte hören und diese auch ernst nehmen sollten. Das Handelsbilanzdefizit ist für ihn nun mal ein Problem, auch wenn wir seine ökonomische Analyse nicht teilen.

René Buholzer
René Buholzer, 57, leitet den Branchenverband Interpharma seit 2017. Er vertritt 23 Hersteller von Originalmedikamenten, darunter die beiden Basler Schwergewichte Roche und Novartis. Buholzer studierte Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaft und Staatsrecht an der Universität St.Gallen. Vor seiner Tätigkeit bei Interpharma arbeitete er dreizehn Jahre als Lobbyist für die Credit Suisse.
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Bild: KEYSTONE

Das ist doch nichts Neues: Trump redet seit acht Jahren über Handelsbilanzdefizite.
Offensichtlich war das Schweizer Angebot zu wenig auf seine Weltsicht abgestimmt. Das muss jetzt korrigiert werden. Wir sind uns hier unserer Verantwortung durchaus bewusst. Deshalb haben etwa Roche und Novartis Milliardeninvestitionen in den USA angekündigt. Das wird das Handelsbilanzdefizit der USA mit der Schweiz schmälern. Das braucht aber Zeit. Wir können die Fabriken nicht von heute auf morgen bauen, sondern brauchen drei bis fünf Jahre.

Könnten Roche und Novartis nicht auch die Preise in den USA senken, um die Verhandlungsposition der Schweiz zu verbessern?
Die Fragen zu den Zöllen und zu den Medikamentenpreisen sollten wir strikt trennen. Ein Vorpreschen der Schweiz bei den Medikamentenpreisen ist keine Lösung für das Zoll-Problem. Donald Trump hat nun angedroht, in den USA ein Referenzpreissystem einzuführen. Und er hat alle grossen Pharmafirmen aufgefordert, bis Ende September Vorschläge einzureichen, wie sie die Preise senken wollen.

Trump kritisiert, dass die USA mit ihren rekordhohen Medikamentenpreisen günstige Arzneien in Europa subventionieren. Ganz Unrecht hat er nicht, oder?
Diese Kritik hat eine wahre Substanz. Es ist eine ähnliche Diskussion wie bei den Rüstungsausgaben: Die europäischen Länder profitierten in der Nato lange vom Schutz der USA und investierten selbst zu wenig in ihre Verteidigung. Eine ungleiche Verteilung der Kosten sehen wir auch bei den Medikamenten. Die Schweiz belegt hier innerhalb von Europa einen der hinteren Ränge. Wir geben nur gerade 0,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts für innovative Medikamente aus. In Österreich ist der Anteil doppelt so gross, in den USA gar viermal so gross.

Die Ausgaben in den USA sind doch so hoch, weil die Medikamentenpreise dort nicht staatlich reguliert werden. Firmen wie Roche und Novartis haben freie Hand bei der Preisgestaltung und können traumhafte Margen abschöpfen.
In den USA haben wir einen freien Markt. Dessen Regeln gelten nicht nur für die Schweizer Pharmafirmen, sondern für alle in der Branche.

Das Problem ist also der Markt?
Ich würde den freien Markt in den USA nicht als Problem sehen. Selbstverständlich kann man einzelne Punkte kritisieren, wie etwa die starke Rolle der Zwischenhändler. Aber am Bespiel der USA zeigt sich, dass Arzneimittel in Ländern mit höheren Medikamentenpreisen schneller auf den Markt kommen und längerfristig verfügbar sind. Davon profitieren Patientinnen und Patienten.

Die Schweizer Patienten sollen also neu mehr für ihre Medikamente zahlen, weil Trump ein Powerplay aufzieht? Das dürfte kaum mehrheitsfähig sein.
Nein. Wir müssen in Europa die Preise nicht anheben, um dem US-Präsidenten einen Gefallen zu tun oder die Margen der Pharma zu sichern. Es geht um unsere Versorgungssicherheit. Es ist mir schon klar, dass niemand mehr bezahlen möchte. Gleichzeitig, und so verstehe ich die Forderung von Donald Trump, müssen die globalen Ausgaben für Medikamente fairer verteilt werden. Deshalb sollte sich auch die Schweiz fragen, wie sie künftig mit ihrem solidarischen System die Versorgungssicherheit garantiert.

Was schlagen Sie vor?
Das Bundesamt für Gesundheit muss wegkommen von seinem einseitigen Blick auf die Kosten. Denn dieser verschlechtert die Versorgungssituation. Das zeigt sich daran, dass Firmen immer weniger Produkte in der Schweiz lancieren. Wir sind leider auch an einem Punkt angekommen, an dem Firmen bereits Medikamente aus dem Schweizer Markt nehmen, weil der Preis ein inakzeptabel tiefes Niveau erreicht hat. Der Bund muss das Gleichgewicht zwischen Qualität, Versorgungssicherheit und Kosten – wie es das Krankenversicherungsgesetz fordert – wiederherstellen.

Ist es vertrauensbildend, stets mit dem Rückzug von Medikamenten zu drohen?
Wir drohen nicht, das wäre ganz falsch. Aber wir müssen sagen, was Sache ist. Wenn die Preise fallen, dann lohnt es sich für eine Firma irgendwann nicht mehr, das Medikament anzubieten. Dann wird es aus dem Markt verschwinden. Oder gar nicht erst eingeführt.

Die Frage ist doch: Muss die Pharma tatsächlich satte Margen von 40 Prozent und mehr abschöpfen? Ginge es nicht mit etwas weniger?
Die Margen der Pharmafirmen sind nicht zu hoch angesichts der hohen Risiken bei der Medikamentenentwicklung. Es ist immer möglich, dass nach zehn Jahren Forschung und Milliardeninvestitionen ein Produkt beerdigt werden muss. Natürlich könnten die Firmen weniger Marge anpeilen. Doch dann würden sie weniger Risikokapital anziehen. Das ist die marktwirtschaftliche Logik der heutigen Forschung und Entwicklung. Die Alternative wäre eine staatliche Forschung. Die Geschichte zeigt jedoch, dass deren Resultate – gelinde gesagt – doch sehr bescheiden sind.

Das Bundesamt für Gesundheit sagt: Die Schweiz sollte keine Standortpolitik über höhere Medikamentenpreise betreiben.
Das ist völlig falsch. Die Gesundheitspolitik ist Teil der Standortpolitik. Denn wir sollten die gesamte Wertschöpfung anschauen. Der Medikamentenpreis ist zwar nur ein Puzzleteil, aber er hat grosse Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und auf die Zukunft der Forschung und Entwicklung im Land.

Übertreiben Sie nicht?
Nein. Ich mache ein Beispiel: Eine Firma, deren Medikamente schlecht vergütet werden, wird diese nicht zuerst in der reichen Schweiz lancieren. Denn sonst riskiert sie, in den restlichen Märkten aufgrund von Preisvergleichen ebenso tiefe Preise zu erzielen. Weil die Firma das schon weiss, wird sie auch die klinischen Studien nicht in der Schweiz durchführen, sondern woanders. Das wiederum schwächt die pharmazeutische Forschung und Entwicklung generell.

Zölle, Preisdruck, generell massive Unsicherheit: Steht die Pharmabranche vor einer Zäsur?
Das ist so. Die zunehmende Abschottung der beiden Weltmärkte USA und China ist schon länger im Gange. Donald Trump hat den Trend mit seiner lauten Art nur besser sichtbar gemacht. Die Weltwirtschaft steht vor einem fundamentalen Strukturwandel.

Was geschieht gerade?
Die Welt wird gewissermassen kleiner, weil die USA und China sich abkoppeln. Das heizt den Standortwettbewerb in den verbleibenden Märkten an, insbesondere für die Pharmaindustrie. Für die Schweiz stellt sich die Frage, wie sie etwa mit Standorten wie Singapur oder Irland mithalten kann. Der Kampf um den «Rest der Welt ohne USA und China» hat erst begonnen und wird sich akzentuieren. Deshalb ist es so wichtig, dass die Schweiz jetzt Gegensteuer gibt und eine eigene Strategie für unsere Branche erarbeitet.

Das heisst, der wichtigste Schweizer Exportzweig könnte bald Arbeitsplätze nach Singapur oder Irland verlagern?
Verlagern ist das falsche Wort. Es ist nicht wie im Bankenwesen, wo das Backoffice schnell ins Ausland verschoben werden kann. Die Pharmaindustrie plant ihre Investitionen sehr langfristig. Es wird deshalb nicht gleich eine Fabrik in der Schweiz geschlossen. Es ist vielmehr so, dass Investitionen in neue Fabriken oder Forschungsstätten dann nicht mehr in der Schweiz getätigt werden. Eine Tendenz in diese Richtung sehen wir bereits heute. (aargauerzeitung.ch)

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13 Kommentare
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stronghelga
23.08.2025 12:07registriert März 2021
René Buholzer ist kein unabhängiger Mahner. Dreizehn Jahre lang lobbyierte er für die Credit Suisse – jenen Finanzgiganten, der sich am Ende selbst verschluckte. Heute gibt er sich als oberster Pharma-Erklärer, warnt vor angeblichen Zäsuren und wittert politische Gefahren, wenn man seiner Industrie ans Portemonnaie will. Buholzer ist kein Wächter öffentlicher Interessen, sondern ein eigennütziger Interessenarchitekt im Auftrag milliardenschwerer Konzerne. Wer ihm zuhört, sollte wissen: Hier spricht nicht der Realitätssinn, sondern die Kunst der strategisch dosierten Panik.
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