Der Comedy-Altmeister Jon Stewart hat in seinem jüngsten Auftritt in der «Daily Show» nicht nur Tucker Carlson in seine Einzelteile zerlegt, sehr witzig übrigens. Er hat auch den Kern der Verehrung der Rechten für Wladimir Putin kurz und prägnant zusammengefasst. Es gehe nicht mehr um den jahrzehntelangen Zweikampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus, so Stewart. Heute drehe sich alles um «woke gegen unwoke».
In dieser neuen Ideologieschlacht haben sich die ehemaligen Fronten des Kalten Krieges bis zur Unkenntlichkeit verschoben. Russland ist nicht mehr das «Reich des Bösen», wie Ronald Reagan einst die Sowjetunion bezeichnet hat. Russland spielt sich vielmehr als Retterin des christlichen Abendlandes auf, wie die Putin-Propaganda uns weismachen will.
Der russische Präsident hegt und pflegt dieses Image aufs Sorgsamste. Er geht nicht nur regelmässig in die Kirche, er hat sich gar seinen persönlichen Priester zugelegt. Er lässt die Schriften von Iwan Iljin verbreiten, einem faschistischen Mystiker, der von einem christlichen Gottesstaat schwärmte und bedauerte, dass Hitler und Stalin sich gegenseitig bekämpften, anstatt gemeinsam die Welt zu beherrschen.
Vor allem aber geht Putin rigoros gegen die LGBTQIA-Gemeinschaft vor. Er macht sich über Schwule, Lesben und Transmenschen nicht nur lustig, er lässt sie mit aller Härte des Gesetzes verfolgen.
Schliesslich ist es Putin auch gelungen, eine Art moderner Sonnenkönig zu werden. Seine Macht ist absolut, der alternde Diktator ist umgeben von Günstlingen, die nicht einmal im Traum daran denken, ihm zu widersprechen, und er verfügt mit der Polizei und der Nationalgarde auch über die Mittel, jede kritische Regung seiner Bürgerinnen und Bürger sofort und gewaltsam zu unterdrücken.
Obwohl Putin die absolute Macht nicht nur hat, sondern sie auch skrupellos ausübt, wie die Beseitigung von Alexej Nawalny jüngst einmal mehr bewiesen hat, wird er bei den Rechten im Westen nicht als finsterer Diktator wahrgenommen, sondern zunehmend als Lichtgestalt, ja gar als Kämpfer für die Freiheit. Wie ist diese Wahrnehmungsstörung zu erklären?
Gerade die Rechten können «Freiheit» nicht genug laut schreien und über die politische Korrektheit jammern. Doch diese Freiheit ist im Zeitalter von «woke gegen unwoke» nicht mehr durch einen totalitären Herrscher bedroht. Die Gefahr droht von einer progressiven Elite, welche der hart arbeitenden Bevölkerung einen ökologischen Lebensstil aufoktroyiert, welche Fliegen, Autofahren und Fleischessen verbieten will und gleichzeitig dafür nicht verhindert, dass muslimische Immigranten das christliche Abendland überrennen.
Das zumindest wollen uns die rechten Demagogen glauben machen. Nicht selten werden sie dabei von ehemals linken Kommentatoren unterstützt, welche unablässig wiederholen, dass die Sozialdemokraten die arbeitende Bevölkerung verraten hätten und stattdessen die Interessen einer «woken» Oberschicht vertreten würden – Menschen, die ihren Reichtum geerbt haben, höchstens 60 Prozent in einem unnützen Beruf wie Ethnologie arbeiten, sich in den Villen ihrer Eltern ein gutes Leben machen und auf den einfachen Mann herabschauen.
In dieser Sicht erscheint Putin als Champion des kleinen Mannes. Für ihn ist Klimaerwärmung ein Fremdwort, er sorgt für billige Energie und dafür, dass die «woken» Idioten zum Teufel respektive in ein sibirisches Arbeitslager geschickt werden. Dass der russische Präsident und seine Günstlinge selbst in einem geradezu obszönen Reichtum schwelgen – in Putins Prunk-Villa in der Nähe von Sotschi sind selbst die WC-Besen aus Gold –, stört niemanden, auch nicht, dass er derzeit den Wohlstand seines Landes für einen grausamen und widersinnigen Krieg gegen die Ukraine verschwendet.
Da wir gerade von obszöner Zurschaustellung von Reichtum sprechen: Dass auch Donald Trump ein Fan von Putin ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Seine Verehrung für den russischen Präsidenten geht so weit, dass er alle Hebel in Bewegung setzt, um zu verhindern, dass der Kongress ein dringend benötigtes Hilfspaket für die Ukraine verabschiedet.
Zum Tod von Nawalny hat sich der Ex-Präsident zunächst gar nicht geäussert, und schliesslich versucht, das Ganze zu seinen Gunsten umzudrehen. Putin erwähnte er mit keinem Wort. Stattdessen klagte Trump, ihm widerfahre das Gleiche wie Nawalny. Auch er werde von einem Diktator namens Joe Biden rücksichtslos verfolgt und gepiesackt.
Nun ist Mar-a-Lago zwar ein Ausbund an Geschmacklosigkeit, mit einem Gulag aber lässt es sich trotzdem nur schwer vergleichen.
Nicht nur Trump hat im Zeitalter von «woke gegen unwoke» die Orientierung verloren. Die Grand Old Party leidet generell unter einer schweren Identitätskrise. Die einstigen Falken gegen die UdSSR sind zu unterwürfigen Tauben gegenüber Russland mutiert. Typisches Beispiel dafür ist Lindsey Graham. Der ehemals kälteste der Kalten Krieger, der bis vor Kurzem auch noch die Hilfe an die Ukraine unterstützt hat, ist nun ins Pro-Putin-Lager gewechselt.
Aufwind haben dafür die christlichen Nationalisten. Sie wollen die USA in eine Art Gottesstaat verwandeln, obwohl die Gründungsväter genau dies in ihrer Verfassung verhindern wollten. Die Evangelikalen sehen in Trump jedoch eine Art neuen Messias, der die «woke» Elite vernichten will, wie dies Putin in Russland vormacht. Dass Trumps Lebensstil nicht wirklich den christlichen Idealen entspricht, wischen sie mit dem Argument weg, Gottes Wege seien nun mal gelegentlich unergründlich.
Obwohl sich die Kirchen auch in den USA leeren, gewinnen die christlichen Nationalisten an Einfluss. Sie bilden inzwischen nicht nur das Fundament des Trump-Lagers. Mit Mike Johnson haben sich auch den Speaker des Abgeordnetenhauses in ihren Reihen. Vermehrt gelingt es ihnen zudem, ihre Anliegen durchzusetzen. So hat das Oberste Gericht im Bundesstaat Alabama soeben verboten, dass eingefrorene befruchtete Eizellen vernichtet werden dürfen, eine extreme Version des Abtreibungsverbotes gewissermassen. Samuel Alito, Mitglied des Supreme Court, hat derweil einmal mehr Zweifel an der Legitimität der Homo-Ehe geäussert.
Und was ist bei uns? Obwohl Alexej Nawalny im Grunde genommen ein russischer Wilhelm Tell ist, wird er ausgerechnet von den «Patrioten» der Rechten verzwergt. Roger Köppel tut sein Bestens, um seine Leistung herunterzuspielen und seinen Tod zu verharmlosen. Wie Putin hat Köppel dafür zu Gott und dem Christentum gefunden. So schreibt er in seinem jüngsten «Weltwoche»–Editorial: «Siehe, die Welt ist nicht verdammt, und der Mensch ist doch immer wieder in der Lage, aus der Sackgasse seiner Irrtümer und Verblendungen herauszufinden.» Amen.