Vor acht Jahren sprach Donald Trump in seiner Antrittsrede von einem «amerikanischen Gemetzel». In seiner aktuellen Antrittsrede knüpfte er nahtlos an diese dystopische Analyse an. Zum zillionsten Mal wiederholte er, dass die USA von der Biden-Regierung zugrunde gerichtet worden sei, ja er sprach gar von einem «totalen Verrat» an den amerikanischen Bürgern.
Gleichzeitig wiederholte er seine bekannten Prahlereien, bezeichnete den heutigen Tag als «Liberation Day», seinen Wahlsieg als den «wichtigsten in der amerikanischen Geschichte» und versprach, dass jetzt ein «goldenes Zeitalter» anbrechen werde.
Er werde illegale Einwanderer ausweisen, die Inflation besiegen, die USA zum bedeutendsten Energieproduzenten der Welt machen, versprach Trump weiter. In seinem unendlichen Narzissmus verstieg sich Trump sogar zur Behauptung, Gott habe ihn beim Attentatsversuch auf ihn gerettet, damit er seinerseits die Vereinigten Staaten retten könne.
Erneut wiederholte Trump, dass er den Golf von Mexiko in den Golf von Amerika umbenennen wolle. Vor allem betonte er, dass er den Panama-Kanal wieder in amerikanischen Besitz zurückführen wolle. Mit diesen Ambitionen schockierte Trump einmal mehr die internationale Gemeinde, verstossen sie doch klar gegen geltendes Völkerrecht.
Darum kümmert sich der amerikanische Präsident kein bisschen. Er vertraut stattdessen auf militärische Stärke und die sogenannte Madman Theory. Was ist damit gemeint?
Streng genommen geht diese Theorie auf Niccolò Machiavelli zurück. «Es kann gelegentlich weise sein, Verrücktheit zu simulieren», schreibt der italienische Staatsphilosoph in seinen «Diskursen». Machiavelli hat schon im 15. Jahrhundert die Medici in Florenz beraten.
In unserer Zeit hat sich Richard Nixon an dieser Theorie abgearbeitet. Um den Krieg in Vietnam zu beenden, liess er mit Atomwaffen bestückte Bomber an der Grenze zur damaligen Sowjetunion aufkreuzen. Doch die Herrscher im Kreml liessen sich nicht bluffen. Sie durchschauten Nixon, denn sie wussten, dass er möglicherweise ein bisschen, aber nicht derart verrückt war, um seine Drohungen auch in die Tat umzusetzen.
Bei Donald Trump fehlt diese Gewissheit. Der neue US-Präsident hat Unberechenbarkeit zu seinem Markenzeichen gemacht und betont immer wieder, wie wichtig ihm diese Madman Theory sei. Mehrmals hat er sie auch angewendet. Bevor er mit Kim Jong-un Liebesbriefe austauschte, drohte er ihm mit «Feuer, Wut und Macht, wie er es noch nie erlebt habe». Auch Südkorea wurde ein Opfer. Trump hat seinen Unterhändler Robert Lighthizer 2017 angewiesen, der damaligen Regierung mit den Worten zu drohen: «Der Typ ist so verrückt, dass er sich aus dem Deal zurückzieht, wenn ihr keine Konzessionen macht.»
Trumps Madman-Verhalten soll auch der Grund dafür sein, dass die meisten NATO-Mitglieder inzwischen wenigstens zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Militärausgaben aufwenden. Und in jüngster Zeit wird der Waffenstillstand im Nahen Osten als ein Erfolg auf diese Weise erklärt. Erst nachdem Trump seine Drohung ausgestossen hatte, «die Hölle werde ausbrechen, sollte der Deal nicht zustande kommen», hätten die beiden Kampfhähne, Israel und die Hamas, offenbar eingewilligt. Zuvor seien sie Präsident Joe Biden monatelang auf der Nase herumgetanzt, lautet eine gängige These.
Nicht nur anderen Nationen droht Trump mit der Madman Theory, er setzt diese auch bei der Zusammenstellung seiner Regierung zumindest teilweise um. Die Nominationen von Pete Hegseth als Verteidigungsminister, von Tulsi Gabbard als Direktorin aller Geheimdienste, von Robert F. Kennedy als Gesundheitsminister und Kash Patel als FBI-Chef lassen sich jedenfalls rational nicht erklären.
Die plötzliche Nähe von Trump und den Tech-Oligarchen aus dem Silicon Valley hat ebenfalls etwas Verrücktes an sich. Elon Musk, aber auch Mark Zuckerberg oder Marc Andreessen bewegen sich mehr als nur hart an der Grenze von Genie und Wahnsinn.
Generell ist Irrsinn in der Politik – ob echt oder simuliert – schwer im Trend. Argentiniens Präsident Javier Milei, der noch vor kurzem als Verrückter belächelt wurde, ist mittlerweile zu einer Ikone der rechtsradikalen Populisten geworden und durfte ebenfalls an Trumps Inauguration teilnehmen.
Nach der Devise: «Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil» wird dieser Trend gerechtfertigt. Schliesslich handeln die schlimmsten Feinde des Westens ebenfalls verrückt. In einem sinnlosen Krieg opfert Wladimir Putin nicht nur Hunderttausende von Menschenleben, sondern auch die Zukunft Russlands. Die Ayatollahs im Iran verschwenden ihre Öleinnahmen, um Milizen im Nahen Osten aufzurüsten, und Kim Jong-un lässt sein Volk verhungern, um eine Atommacht zu werden.
Dummerweise lässt sich das Argument, wonach hyperintelligente Eliten nicht selten die grössten Katastrophen verursachen, nicht so leicht entkräften. Als Beispiel dazu dient der Vietnamkrieg. In seinem monumentalen Buch «The Best and the Brightest» schildert David Halberstam eindrücklich, wie nicht Verrückte, sondern die vermeintlich Klügsten und Besten der Kennedy-Regierung dieses Debakel herbeigeführt haben.
Aus der Spieltheorie wissen wir jedoch, dass derjenige, der sich skrupellos über die bisher geltenden Regeln hinwegsetzt, kurzfristig Erfolg, langfristig jedoch das Nachsehen hat. Die anderen Spieler gewöhnen sich an die Verrücktheit und beginnen, gemeinsame Strategien dagegen zu entwickeln. Das wird auch Trump zu spüren bekommen. Kanada und Mexiko beginnen bereits, sich abzusprechen, wie sie auf die angedrohten Strafzölle reagieren werden.
Derzeit befindet sich der amerikanische Präsident in einer Euphorie und verspricht dank des «Trump-Effekts» den Amerikanern den Himmel auf Erden. Es steht jedoch in den Sternen, wie lange dieses Glück anhalten wird. «Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, daran zu zweifeln, ob Trump auch in seiner zweiten Amtszeit sich als Verrückter durchsetzen kann», schreibt der Politologe Daniel Drezner im Magazin «Foreign Policy».