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Ukraine und Israel: Wie es 2024 mit den Kriegen weitergeht

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Israelische Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen, 29. Dezember.Bild: keystone
Analyse

Die Schwäche des Westens fördert Krieg: Wie es in Gaza und der Ukraine weitergeht

Kriegstreiber wie Russland und Iran müssen keine entschiedene Reaktion des Westens befürchten. Das lädt Potentaten auf der ganzen Welt zu militärischen Abenteuern ein.
03.01.2024, 09:2503.01.2024, 09:35
Kurt Pelda, Haifa / ch media
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Russische Angriffe mit Lenkwaffen und Drohnen haben in Kiew und Charkiw am 2. Januar mindestens vier Todesopfer und mehr als 100 Verwundete gefordert. In der ukrainischen Hauptstadt wurde unter anderem ein Wohnblock getroffen.

Zum Jahreswechsel liess auch die palästinensische Terrororganisation Hamas wieder Raketen auf Israel regnen. Allerdings lassen sich die Kriege in der Ukraine und in Nahost schon allein von ihrer Grössenordnung her nicht miteinander vergleichen.

Während Moskau die Ukraine in die Knie zwingen will, ging es der Hamas vor allem darum, sich bemerkbar zu machen. Sie feuerte mehr als zwei Dutzend Geschosse auf Israel ab, ohne allerdings grössere Schäden anzurichten. Nach wie vor befinden sich etwa 130 Geiseln in Verliesen der Terroristen. Auch deshalb nennen israelische Medien 2023 das schlimmste Jahr seit der Staatsgründung von 1948.

Weniger Raketen

All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hamas im Begriff ist unterzugehen. Ihre Vernichtung durch die weit überlegenen israelischen Truppen ist nur eine Frage der Zeit – solange ausländische Partner wie die USA Jerusalem nicht doch noch zu einem vorzeitigen Einlenken zwingen. Der Hamas fehlt der Nachschub. Ihre Tunnels bieten zwar Schutz gegen Luftangriffe, mit israelischen Infanteristen und Spezialeinheiten vor den Eingängen und Schächten werden sie allerdings zunehmend zu tödlichen Fallen.

Cars burn after a Russian attack in Kyiv, Ukraine, Tuesday, Jan. 2, 2024. (AP Photo/Efrem Lukatsky)
Brennende Autos in Kiew nach einem russischen Angriff, 2. Januar.Bild: keystone

Die Statistik der Raketenangriffe zeigt eindrücklich, wie Israel das militärische Potenzial der Hamas systematisch zerschlägt: Nach dem Pogrom der Terroristen am 7. Oktober wurden täglich zum Teil noch mehrere hundert Raketenstarts verzeichnet. Bereits im November sank diese Zahl dramatisch, und im Dezember wurden täglich nur noch rund 15 bis 20 Raketen am Himmel über Israel gesichtet. Die meisten von ihnen schoss die Luftverteidigung ab.

Dennoch versucht die Regierung in Jerusalem, die Bevölkerung auf einen längeren Krieg einzustellen. Das Ziel, die Hamas als militärische Kampfgruppe zu vernichten und sie von den Schaltstellen der Macht im Gaza-Streifen zu entfernen, erscheint realisierbar.

Düsterer sieht es für die Geiseln aus, von denen einige wohl schon tot sind. Die Hamas fordert die Einstellung aller Kampfhandlungen im Gegenzug für die Freilassung. Israel hält dagegen an seinen Zielen fest. Eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem 7. Oktober wird es nicht geben.

Bestimmt werden einige Terroristen flüchten können, und auch im Ausland wird die Hamas weiterleben. Aber diese Hamas wird nur noch ein Schatten ihrer selbst sein. Die Frage ist, welche Herrschaftsform Israel – allenfalls in Kooperation mit befreundeten arabischen Staaten – im Gaza-Streifen einrichten kann. Offen bleibt auch die Frage, ob sich Israel nach dem Kriegsende in Gaza der vom Iran hochgerüsteten Hisbollah-Miliz im benachbarten Libanon annimmt – und damit einen noch viel grösseren Krieg riskiert.

2024 könnte es ungemütlicher werden

Dass die Zeichen nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in anderen Weltregionen auf Krieg stehen, hat mit der insgesamt schwächlichen Reaktion des Westens auf die russische Invasion in der Ukraine zu tun. Weil entschiedenes Vorgehen ausbleibt, fühlen sich Kriegstreiber wie Russland oder Iran ermutigt, die Sache auf die Spitze zu treiben. Doch obwohl die Unterstützung aus dem Westen nachgelassen hat, ist es Kiews Truppen bisher gelungen, die Front zu halten. Zugleich haben die Ukrainer den Invasoren schwerste Verluste an Menschen und Material beigebracht.

Mit der bevorstehenden Lieferung westlicher Kampfflugzeuge – allen voran niederländischer F-16 – wird die russische Luftüberlegenheit zumindest lokal eingeschränkt. Angriffe mit gelenkten Gleitbomben, die den Ukrainern in den letzten Monaten stark zugesetzt haben, dürften so schwieriger werden.

Moskau erhöht derweil die Militärausgaben und setzt auf einen langen Abnützungskrieg. Russland freut sich darüber, dass dem Westen der politische Wille zur Aufrüstung und zum massiven Ausbau der Waffenproduktion offenbar fehlt. Nach wie vor haben viele westliche Politiker nicht erfasst, dass die Drohgebärden autoritärer Staaten keine zufälligen Einzelereignisse sind.

Die Potentaten dieser Welt fühlen sich durch die westliche Schwäche im Umgang mit Russland ermutigt, eigene militärische Abenteuer zu wagen. Sollte der Westen die Ukraine also nur zögerlich oder gar nicht mehr unterstützen, würde das den Appetit auf Krieg nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Weltgegenden anregen.

Dennoch ist es zu früh, die Ukraine abzuschreiben. Die Führung der Streitkräfte hat bereits angekündigt, dass ihr der Erhalt der Armee wichtiger ist als das Festhalten an Territorium. Die Ukrainer werden sich bei Bedarf also zurückziehen, während sie möglichst viele Russen und deren Kriegsgerät vernichten.

Die derzeitigen russischen Materialverluste sind nicht nachhaltig. Das verlorene Kriegsgerät lässt sich wohl kaum durch Neuproduktion und Reaktivierung von eingemotteten Waffen ersetzen. So gesehen wird sich auch Moskaus diesjährige Winteroffensive erschöpfen. Und selbst wenn sich die Ukrainer auf breiter Front zurückziehen sollten, ist das Land einfach viel zu gross, als dass die russischen Offensivbemühungen nicht früher oder später erlahmen werden.

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132 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
03.01.2024 09:40registriert August 2018
Den Titel unterschreibe ich zu 100%

Erstens will ich wieder mal erwähnen, dass ohne die Amerikaner 🇺🇸 die Russen und China "expandieren" würden, als ob es kein Morgen gäbe. Putin und Xi würden sich alles krallen, was nicht Niet- und Nagelfest ist.

Deshalb: Danke Amerika.

Zweitens will ich auch erwähnen, dass die Rolle der Schweiz sehr zweifelhaft und unehrenhaft ist. Wir geniessen implizieten Schutz der USA zum Nulltarif und lästern hochnäsig und moralisch überlegen über die Amerikaner, obwohl sie die letzten 100 Jahre Europa immer wieder den Arsch gerettet haben.
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Yoldi
03.01.2024 09:46registriert Juni 2021
Im Westen leben zu viele Menschen, die zu fest an das Gute im Mensch glauben. Wahrscheinlich sind nur 2-5% der Menschen richtige Böse, aber in autoritären Regimes sind es diese Leute, die die Macht erlangen.
Primär, weil sie rücksichtslos sind und narzisstisch an ihre Unfehlbarkeit glauben. Es fehlt ihnen an Empathie. Mangels Feedback ihrer Untergebenen verfestigen sich radikale Tendenzen mit der Zeit. Ihr Ziel ist nicht Wohlstand oder Sicherheit, nur ihr Machterhalt.
Verhandlungen mit solchen Menschen sind nie zielführend, nur brutale, ernsthafte Abschreckung schränkt ihr Gebaren ein.
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YvesM
03.01.2024 10:08registriert Januar 2016
Die Antiautoritäre Politik ist am Ende. Mit ein wenig Demokratie-Folklore und Hilfsgelder kommen wir nicht weiter. Die Politik der letzten 30 Jahre war doch ein paar Pflästerli drauf und wird schon gut gehen. Für die neue Realität brauchen wir eine neue, klare und starke Politik mit entsprechenden Politiker. Gerade im langfristigen Interesse der Schweiz und von Europa müssen wir hier mehr zusammenspannen und entschlossener auftretten.
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USA kündigen weiteres Ukraine-Hilfspaket an – das Nachtupdate ohne Bilder

Die US-Regierung hat der Ukraine ein neues milliardenschweres Hilfspaket für die langfristige Lieferung von Waffen zugesagt. Die USA wollen Kiew zur Abwehr des russischen Angriffskriegs weitere Waffen und Unterstützung im Umfang von sechs Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellen, teilte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Freitag mit. Spanien kündigte derweil die Lieferung von Raketen für Patriot-Luftverteidigungssysteme an.

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