Wie soll man das begreifen? Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage der Quinnipac University hat ergeben, dass 69 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner ihre Demokratie in grosser Gefahr sehen, und zwar sowohl Demokraten als auch Republikaner. Die Demokratie zu retten, sollte somit das wichtigste Anliegen bei den Midterms vom kommenden Dienstag sein, müsste man meinen. Weit gefehlt. Gerade mal 7 Prozent der Bevölkerung hält dies für ein dringendes Problem.
US-Hasser – und davon gibt es auch unter watson-Usern jede Menge – haben eine simple Erklärung für dieses widersprüchliche Phänomen: Johnny Sixpack und seine grotesk aufgedonnerte Frau sind ganz einfach zu blöd, um sich um die Demokratie zu kümmern. Das einzige, was für sie zählt, ist der Benzinpreis. Wenn dieser steigt, dann werden sie hässig, und wenn dann auch noch die vor Wahlen übliche Angstmacherei der Republikaner vor Kriminalität und Einwanderung einsetzt, dann kann auch die Demokratie vor die Hunde gehen.
Eine etwas subtilere Erklärung lautet wie folgt: Die USA haben in ihrer Geschichte immer wieder Perioden durchlebt, in denen Demokratie und Rechtsstaat gefährdet, ja, teilweise ausser Kraft gesetzt waren. Das gilt natürlich für den Bürgerkrieg, aber auch für die Schrecken der Ku-Klux-Klan-Zeit.
Während der Dreissigerjahre gab es eine mächtige populistische Bewegung, die offen mit Hitler-Deutschland sympathisierte, in den Fünfzigerjahren eine üble Hatz auf vermeintliche Kommunisten und in den Sechzigerjahren bürgerkriegsähnliche Unruhen.
Stets jedoch haben die «besseren Engel», wie sie der legendäre Präsident Abraham Lincoln einst nannte, schlussendlich die Oberhand behalten. Die Vereinigten Staat standen zwar am Abgrund, der in den Schlund eines autoritären Staates führt, aber vor dem letzten Schritt schreckten sie jeweils zurück.
Auf die «besseren Engel» hoffen die aufgeklärten Amerikanerinnen und Amerikaner auch diesmal – doch diesmal könnte es eng werden. 370 Republikaner, die in den Kongress oder in wichtige Ämter auf bundesstaatlicher Ebene gewählt werden wollen, sind bekennende Anhänger der Big Lie, der x-fach widerlegten These, wonach Donald die Wahlen 2020 gewonnen habe. Viele von ihnen werden die Wahl auch schaffen.
Dass die Opposition Stimmen in den Zwischenwahlen gewinnt, gehört zum Wesen der Demokratie und ist an sich ein gesundes Zeichen. Diesmal nicht. Die Anhänger der Big Lie wollen mehr, sie wollen dafür sorgen, dass die Grand Old Party künftig keine Wahl mehr verlieren wird, und sie machen kein Geheimnis daraus. Mehrere republikanische Kandidaten sprechen dies auch offen aus.
Damit sie ihr Ziel auch erreichen, schüchtern sie Wählerinnen und Wähler ein, indem sie wie etwa im Bundesstaat Arizona bewaffnete Wächter vor die Drop-Boxen aufstellen. Oder sie haben dafür gesorgt, dass die neutralen Stimmenzähler aus Angst vor Drohungen zurückgetreten sind.
Angefeuert werden sie dabei von Donald Trump. Der Ex-Präsident wird dem italienischen Faschisten und Diktator Benito Mussolini immer ähnlicher. Am 6. Januar 2021 ist seine Maga-Meute beim Sturm aufs Kapitol noch gescheitert. Doch Trump schürt weiter Hass und Gewalt, etwa indem er hässliche Lügen über das Attentat auf Paul Pelosi, den Gatten von Nancy Pelosi verbreitet. Sein Stab werkelt derweil an Plänen, wie man nach einer allfälligen Rückkehr ins Weisse Haus nicht nur das politische Personal auswechseln, sondern auch unabhängige Beamte feuern kann.
So gesehen ist es nicht erstaunlich, dass es normal geworden ist, dass man vor dem Tod der amerikanischen Demokratie warnt, ja, sogar einen zweiten Bürgerkrieg für möglich hält. Für Nicht-Amerikaner ist das erstaunlich, denn die USA sind global gesehen derzeit so erfolgreich wie schon lange nicht mehr. Ihre schärfsten Rivalen, China und Russland, stecken in weit schlimmeren Schwierigkeiten.
China hat viel von seinem Glanz verloren und ist unter der Herrschaft von Xi Jinping dabei, wieder in eine autoritäre und ideologisierte Nation abzugleiten. Der Staat hat auch in der Wirtschaft wieder die Zügel in die Hand genommen, die Gesellschaft überaltert sehr schnell. Vieles deutet darauf hin, dass die Chinesen daher in der «Falle der mittleren Einkommen» stecken bleiben.
Russland wird zunehmend zu einem Paria der internationalen Gemeinschaft. Putins blutiger Feldzug gegen die Ukraine wird bereits mit den fatalen Russland-Invasionen von Napoleon und Hitler verglichen. Ja, es gibt die These, wonach Russland wie einst die Sowjetunion auseinanderbrechen wird.
Während Russland und China in der internationalen Gemeinschaft auf Partner wie Nordkorea, den Iran oder Eritrea setzen müssen, haben die USA nach wie vor weltweit über 60 Sicherheitspartner, wie der Politologe John Ikenberry im Magazin «Foreign Affairs» festhält. Die These vom unvermeidlichen Niedergang der Supermacht USA und dem liberalen Westen steht derzeit auf tönernen Füssen. Wenn schon, dann muss man die USA als den «erfolgreichsten Failing State aller Zeiten» bezeichnen, wie dies Edward Luce kürzlich in der «Financial Times» tat.
Die Gefahr für die amerikanische Demokratie ist jedoch real, und sie ist selbstverschuldet. Der Präsident hat gute Gründe, seine Bürgerinnen und Bürger eindringlich davor zu warnen. Nur auf Lincolns «bessere Engel» zu warten, reicht diesmal nicht. «Wir befinden uns auf einem Weg ins Chaos», erklärte Joe Biden gestern in einer Ansprache an die Nation. «Das hat es noch nie gegeben. Das ist unrechtmässig. Und das ist nicht-amerikanisch.»
Ich glaube fest daran, dass vielen Parteien und eine Konsensregierung die wichtigsten Element für politische Zufriedenheit sind. Koalitionsregierungen haben da ein ähnliches Problem, denn wenn die einzelnen Parteien einer Koalition nicht mehr für Ihre Werte einstehen dürfen, sondern die der Koalition übernehmen müssen, dann steht die Basis da eben auch nicht mehr dahinter.
Darum ist das CH System so erfolgreich. Schade, dass einige Parteien gegen arbeiten.
Den American Way of Life können nicht alle gewinnen, aber viele verlieren dabei.
Frage: Gilt selbige Aussage nicht auch für SVPler?