Zur Eröffnung der Olympischen Spiele reiste Wladimir Putin eigens nach Peking, um dort seinen Kumpel Xi Jinping zu treffen. Es war der Höhepunkt einer politischen Bromance. Die beiden Staatsoberhäupter schüttelten sich minutenlang die Hände, lächelten in die Kameras und gelobten, sich gegenseitig zu unterstützen, komme, was wolle.
Auf einer ideologischen Ebene funktioniert der Treueschwur bis heute. Die chinesischen Medien und Blogger jodeln die russische Propaganda von der bösen Nato und den angeblichen Nazis in Kiew täglich rauf und runter. Auf einer praktischen Ebene hingegen läuft es weniger gut. Die «Washington Post» meldet, dass sich die Stimmung zwischen Peking und Moskau merklich eingetrübt habe.
«Hohe russische Beamte zeigen sich in Verhandlungen mit Peking frustriert und verlangen stärkere Unterstützung», schreibt das Blatt. «Dabei erinnern sie China an ihr Versprechen grenzenloser Unterstützung vor Ausbruch des Krieges. China will Russland zwar unter die Arme greifen, doch gleichzeitig will man nicht in Gefahr geraten, ebenfalls vom Westen sanktioniert zu werden.»
Die «Washington Post» beruft sich auf hohe Stellen in der chinesischen und der amerikanischen Regierung, die selbstredend anonym bleiben wollen. Eine dieser anonymen Quellen in Peking spricht dabei Klartext: «Wir verstehen die Sorgen von Moskau. Aber wir können in diesem Dialog nicht unsere eigene Situation ignorieren. China wird stets in erster Linie die Interessen des chinesischen Volkes verfolgen.»
China ist nach wie vor auf den Import von westlicher Hi-Tech angewiesen. Die USA haben dabei den Tarif unzweideutig durchgegeben: Wer Russland mit Chips und anderen Dingen beliefert, wird ebenfalls sanktioniert. Diese Drohung scheint zu wirken. Die Chinesen importieren zwar vermehrt russisches Öl, die Exporte nach Russland sind hingegen seit der Invasion deutlich zurückgegangen.
Viel westliche Hi-Tech ist auch in der russischen Militärtechnik verbaut. Das hat die sorgfältige Analyse von modernen Waffen ergeben, welche den Ukrainern in die Hände gefallen sind und die amerikanischen Spezialisten untersucht haben. «Die Experten, die vom Sicherheitsdienst der Ukraine eingeladen worden waren, haben entdeckt, dass praktisch alle diese Waffen Bestandteile aufweisen, die aus den USA oder der EU stammen», schreibt die «New York Times». «Es handelt sich dabei um Mikrochips, Leiterplatten, etc.»
Russland ist zwar der weltweit grösste Waffenexporteur. «Die modernsten Waffen und Kommunikationssysteme sind jedoch auf westlichen Chips aufgebaut», erklärt Damien Spleeters, ein Mitglied des Expertenteams.
Auf diese Chips werden die russischen Waffenhersteller nun verzichten müssen. «Amerikanische Exporte nach Russland in diesen Kategorien und andere westliche Exporte, die wir kontrollieren können, sind seit dem 24. Februar um mehr als 90 Prozent zurückgegangen», erklärt die amerikanische Handelssekretärin Gina Raimondo. Sie ist zuständig für die Überwachung dieser Exporte.
Putins Armee hat nicht nur ein technisches, sie hat auch ein personelles Problem. Will er die Ukraine in die Knie zwingen, braucht er viel mehr Soldaten, als er heute zur Verfügung hat. Dazu müsste er jedoch eine Generalmobilmachung ausrufen und russische Reservisten aufbieten. Bisher kämpfen in der Ukraine professionelle Soldaten.
Bisher spricht der russische Präsident bekanntlich auch nicht von einem Krieg, ja, wer dies tut, riskiert eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren. Nach wie vor schwadroniert der Kreml von einer «militärischen Spezialoperation». Ruft Putin eine Generalmobilmachung aus, gerät er gleich doppelt in die Bredouille. Er wird als Lügner entlarvt, und er verärgert die Reservisten, die nicht wirklich scharf darauf sind, in den Krieg zu ziehen.
Die Sowjets haben seinerzeit mit den Russen den Deal gemacht, den Spötter wie folgt zusammengefasst haben: Wir tun so, als ob wir euch bezahlen, und ihr tut so, als würdet ihr arbeiten. Putins Abkommen lässt sich in Anlehnung an diesen Deal wie folgt umschreiben: Ich ermögliche euch ein geregeltes Leben, und ihr haltet euch aus der Politik raus.
«Sollte Putin sich für eine Generalmobilmachung entscheiden, dann verstösst das gegen den Deal, den er mit der Öffentlichkeit gemacht hat. Das könnte sein Regime destabilisieren», schreiben dazu Michael Kimmage und Maria Lipman im Magazin «Foreign Affairs».
Obwohl Putins Krieg seit Monaten tobt, hat er den Alltag der Russen kaum berührt. Das würde sich schlagartig ändern, sollte der Präsident das Kind endlich beim Namen nennen. «Eine Generalmobilmachung würde bedeuten, dass sich die Russen aktiv in den Krieg und seine Rechtfertigung einmischen müssten», stellen Kimmage/Lipman fest. «Bisher sind die offiziellen Begründungen vage gewesen und haben immer wieder mal gewechselt. Eine Generalmobilmachung ist zudem ein Prozess, der sich schlecht kontrollieren lässt. Er könnte die Hardliner-Fraktion innerhalb der Elite stärken und nationalistische Gefühle wecken, besonders dann, wenn es an der Front schlecht läuft.»
Grosse Lippenbekenntnisse und dann doch sich selbst am Nächsten sein.
Dies zu werten ist jedem seine Sache.
Ich persönlich fände es durchaus positiv wenn Putin teilweise auch von China isoliert wird.