Zurzeit suchen an der Klimakonferenz in Glasgow Politiker und Fachleute nach Wegen, wie die Erderwärmung gestoppt werden kann. Angesichts der Dringlichkeit des Problems sind gerade auch Linke und Grüne gefordert, einen konstruktiven Beitrag dazu zu leisten.
Sahra Wagenknecht, die nach wie vor prominenteste Linke Deutschlands, sieht das anders. Sie zieht es vor, auf eine vermeintliche Lifestyle-Linke einzudreschen. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» erklärte sie jüngst:
Am vergangenen Dienstag haben die Demokraten bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat Virginia eine schwere Niederlage erlitten. Für James Carville, den ehemaligen Wahlkampfmanager von Bill Clinton, war der Sündenbock rasch gefunden. In einem Interview mit dem öffentlichen TV-Sender PBS erklärte er:
Es gibt diese «dumme Wokeness», von der Carville spricht. Doch sie für die Niederlage in Virginia verantwortlich zu machen, ist Unsinn. Die Schuld den Progressiven im Allgemeinen und Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez im Speziellen in die Schuhe schieben zu wollen, wie dies mein Kollege Peter Blunschi tut, ist ebenfalls verfehlt. Die Gründe liegen anderswo:
Die Menschen in Virginia wählen seit Jahrzehnten einen Vertreter der Partei, die gerade nicht an der Macht ist, zum Gouverneur. Und wenn es diesmal jemand vermasselt hat, dann sind es die konservativen Demokraten. Seit Monaten blockieren die beiden Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema den Infrastrukturplan ihres Präsidenten und verärgern damit die eigene Basis.
Joe Biden wurde als gemässigter Präsident gewählt. Sein «Build-back-better»-Plan ist kein Projekt der Progressiven. Sanders forderte ursprünglich sechs Billionen Dollar für ein Sozialprogramm und einen Green New Deal. Er akzeptierte, dass dieses Programm zuerst auf 3,5 und nun auf 1,7 Billionen Dollar gekürzt wurde.
Das Infrastruktur-Programm ist zudem alles andere als eine «sozialistische Wunschliste». Es sieht Dinge vor, die bei uns längst selbstverständlich sind (Mutterschaftsurlaub, bezahlbare Kitas), oder die dringend nötig sind (Investitionen in die Dekarbonisierung der Gesellschaft). Deshalb sind die einzelnen Punkte dieses Programms bei der Bevölkerung sehr populär. Das haben verschiedene Umfragen immer wieder gezeigt.
Eugene Robinson, Kolumnist bei der «Washington Post», fordert daher die Demokraten auf, in die Offensive zu gehen. Er stellt fest:
Mit anderen Worten: Das Problem der Demokraten liegt derzeit nicht darin, dass sie unrealistische progressive Zielen verfolgen. Es liegt darin, dass sie unfähig sind, diese Ziele den Menschen zu vermitteln.
In der Schweiz haben wir im Sommer das CO2-Gesetz abgelehnt. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch die Lifestyle-Linke dafür an den Pranger zu stellen, ist Unsinn. Es zeigt sich auch hier, dass konkrete grüne Projekte durchaus mehrheitsfähig sind. In den Kantonen Bern und Glarus sind progressive Energiegesetze vom Stimmvolk angenommen worden, im Kanton Zürich werden einem solchen Gesetz bei der nächsten Abstimmung gute Chancen eingeräumt.
Es gibt auch bei uns, was Carville «dumme Wokeness» nennt. So kann man sich fragen, ob ein Frontex-Referendum wirklich das ist, was wir derzeit dringend gebrauchen können. Und ja, gelegentlich kann eine übertriebene Form von politischer Korrektheit auf die Nerven gehen.
Wir sollten jedoch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die SVP kopiert (fast) alles, was ihnen die Trump-Republikaner vormachen. Deshalb versuchen Blocher & Co. neuerdings, einen Aufstand der angeblich von Luxus-Sozialisten ausgebeuteten Landbevölkerung gegen die Städte anzuzetteln.
Dass sie damit ausgerechnet Thomas Matter, einen steinreichen Goldküsten-Banker, beauftragen, mag unfreiwillig ironisch sein. Dass sie jedoch einen Kulturkampf à la Trump suchen, ist offensichtlich. Ihnen dabei zusätzliche Munition zu liefern, ist vielleicht nicht Wokeness, aber sicherlich dumm.