Halbzeit der Legislatur: Jetzt schlägt die Stunde der SVP
Die Weltlage ist gelinde gesagt herausfordernd. In der Schweiz aber scheinen viele das Gefühl zu haben, wir lebten weiterhin auf einer «Insel der Seligen». Sie halten die Wirtschaft für resilient genug, um Donald Trumps Zollhammer wie frühere Krisen relativ unbeschadet zu überstehen. Zum Leidwesen besonders der Industriefirmen, die daran schwer zu beissen haben.
Noch irritierender ist die Einstellung gegenüber der Bedrohung durch Russland. Warnungen etwa des Schweizer Nato-Botschafters, wir würden uns «im Zustand eines relativen Krieges befinden», stossen auf taube Ohren. Im SRG-Wahlbarometer ist die Landesverteidigung nur für zwölf Prozent der Befragten eine der wichtigsten politischen Herausforderungen.
Eine gewisse Verunsicherung aber besteht, und davon profitiert nicht ganz überraschend die SVP. Im Halbzeit-Wahlbarometer des Instituts Sotomo kommt sie auf über 30 Prozent Wähleranteil, und auch bei den kantonalen Wahlen der letzten zwei Jahre war die Volkspartei die grosse Siegerin. Zu den Verlierern gehörten die FDP und die beiden Öko-Parteien.
Dennoch ist das Bild seit den Wahlen 2023 und damit bei Halbzeit der Legislaturperiode nicht einheitlich. Ein grosser Teil der «grünen Welle» von 2019 wurde rückgängig gemacht, und das äussert sich durch rechte Machtspiele im Parlament. Gleichzeitig hat Rotgrün bei Abstimmungen Erfolge gefeiert, die lange undenkbar waren.
Der Linksdrall
Weniger als ein halbes Jahr nach den letzten Wahlen gelang der Linken ein Coup: Die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente wurde klar angenommen. Vor einem Jahr folgte ein ebenso symbolträchtiger Erfolg mit dem Nein zum Autobahnausbau. Solche Abstimmungsresultate waren noch vor wenigen Jahren geradezu unvorstellbar.
Die Ablehnung der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) war ein weiterer Erfolg für Rotgrün. Bürgerliche und Wirtschaftsverbände tun sich schwer mit dem Linksdrall. Die Abschaffung des Eigenmietwerts war ein Trostpflaster. Schon nächstes Jahr folgt die «Bewährungsprobe», wenn mehrere rechtsbürgerlich geprägte Vorlagen zur Abstimmung kommen dürften.
Der Backlash
Dafür hielten sich die Bürgerlichen nach dem moderaten Rechtsrutsch 2023 im Parlament schadlos. In der Umwelt- und Klimapolitik kam es zu einem veritablen Backlash, woran auch das deutliche Ja zu Bundesrat Albert Röstis Stromgesetz wenig ändert. Bei der Förderung der Biodiversität brachen die Bürgerlichen sogar ein 2021 gemachtes Versprechen.
Eine spezielle Rolle spielte der Ständerat, der seinem Ruf als Chambre de Réflexion nicht immer gerecht wurde. Er hinterlässt seit dem Ausscheiden von Schwergewichten vor allem aus CVP/Mitte einen orientierungslosen Eindruck. Das führte zu Schnellschüssen, zuletzt einer Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes, die mit der Neutralität «kollidiert».
Die Armee
Die «Rettung» der Schweizer Rüstungsindustrie ist nur eine Baustelle im militärischen Bereich. Kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs wurde im Grundsatz beschlossen, dass die zusammengesparte Schweizer Armee mehr Geld erhalten soll. Über das Wie allerdings wird gestritten. Die Bürgerlichen wollen um fast jeden Preis die Schuldenbremse einhalten.
Gleichzeitig wollen sie bis 2032 das Armeebudget auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anheben, rund acht Milliarden Franken pro Jahr. Dabei helfen Beschaffungspannen wie bei der Hermes-Drohne oder dem inexistenten Fixpreis für den Kampfjet F-35 nicht weiter. Die Rüstungsdebatte wird in der zweiten Legislaturhälfte virulent bleiben.
Die Finanzen
Das gilt für das Bundesbudget generell. Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) wird nicht müde, vor Milliardendefiziten zu warnen. Die Schuldenbremse aber ist für sie und die Bürgerlichen sakrosankt. Keller-Sutter will das Ausgabenwachstum mit dem Entlastungspaket 27 (EP27) bremsen, doch schon dieses Unterfangen hat einen schweren Stand.
National- und Ständeräte haben die Vorlage gemäss der NZZ in mehreren Sitzungen behandelt – und zerzaust. Der Ständerat wird sie im Dezember als Erstrat behandeln. Es ist nicht undenkbar, dass Keller-Sutters Prestigevorlage schon im Parlament scheitern wird. Für diesen Fall schliesst der Bundesrat selbst Steuererhöhungen nicht mehr aus.
Das EU-Paket
Armee und Finanzen werden die Politik auch in der zweiten Legislaturhälfte auf Trab halten, doch ein Thema dürfte alle in den Schatten stellen: die Bilateralen III mit der EU. Derzeit kursieren Planspiele, sie schon vor den Wahlen im Oktober 2027 vors Volk zu bringen, auch als Reaktion auf Donald Trumps Zölle. Dafür braucht es wohl eine Spezialkommission.
Ein Ja von National- und Ständerat ist nahezu sicher. Offen aber ist, ob das Parlament die Verträge dem Ständemehr unterstellen wird. Der Nationalrat dürfte dagegen sein, doch im Ständerat ist der Ausgang offen. Einige FDP-Ständeräte wollen sich trotz des Neins ihrer Delegierten dafür einsetzen. Und der Abstimmungskampf wird so oder so hässlich werden.
Einen Vorgeschmack dürften wir schon 2026 erleben. Die 10-Millionen-Initiative gegen die Zuwanderung könnte im Juni zur Abstimmung kommen und die Neutralitätsinitiative im Herbst. Damit ist aber auch klar: Nach dem Linksdrall in der ersten Legislaturhälfte wird die SVP den Ton angeben. Es könnte sich auf die Wahlen im Oktober 2027 auswirken.
