Joe Biden erlebt gerade die schlechteste Woche seiner Präsidentschaft. An den Klimagipfel in Glasgow musste er mit weitgehend leeren Händen reisen, weil der Kongress sein ambitioniertes «Build Back Better»-Programm noch immer nicht verabschiedet hat. Dabei hatte Biden letzte Woche dessen Umfang von 3,5 auf 1,75 Billionen Dollar halbiert.
Dann entstand in Glasgow ein unvorteilhaftes Video, das den 78-Jährigen im Schlaf zu zeigen schien. Auf dem Rückflug in die USA musste er die Niederlage seiner Demokraten bei der Gouverneurswahl in Virginia zur Kenntnis nehmen. Damit gerechnet hatte Biden offenbar nicht. Die Stimmung an Bord der Air Force One war laut US-Medien mies.
Am Mittwoch gab der Präsident zu, dass die Menschen «über viele Dinge verärgert und verunsichert» seien. Dazu zählen die unbewältigte Corona-Pandemie, der Ärger vieler Eltern über geschlossene Schulen (der den «Kulturkampf» der Republikaner befeuert hat) oder die hohen Benzinpreise, deren Bedeutung man im Autoland Amerika nie unterschätzen darf.
Biden nannte aber auch seine im Kongress blockierten Investitionspläne als Grund. Dazu gehören neben «Build Back Better», das vor allem Massnahmen in der Klima- und Sozialpolitik enthält, auch das Infrastrukturpaket von einer Billion Dollar. Es ist in der Bevölkerung so beliebt, dass auch 19 republikanische Senatoren dafür votierten.
Im demokratisch beherrschten Repräsentantenhaus wäre die Zustimmung eigentlich Formsache. Doch der progressive Flügel um Senator Bernie Sanders (der gar kein Parteimitglied ist) und die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez hat eine Abstimmung und die Unterzeichnung durch Präsident Biden bislang vereitelt.
Mehr noch: Die Parteilinke benutzt das populäre Infrastrukturpaket als Faustpfand, um Kyrsten Sinema und Joe Manchin, die beiden «Rechtsausleger» der Demokraten im Senat, zur Annahme des «Build Back Better»-Programms zu zwingen. Das ging bislang nicht nur schief, es hat die Autorität des Präsidenten untergraben.
Die Zerstrittenheit der Demokraten und die Blockade der Progressiven leisteten ihren Beitrag zur schlechten Bilanz der Partei am Wahldienstag. Viel Einsicht ist bislang nicht zu erkennen. Die «Berniecrats» machten den demokratischen Kandidaten Terry McAuliffe für die Pleite in Virginia verantwortlich. Er sei ein Mann von gestern und zu wenig links.
Wie schief diese Perspektive ist, zeigten mehrere Resultate vom Dienstag aus grossen Städten, die fest in demokratischer Hand sind:
Die Kriminalität, die in den amerikanischen Städten als Folge von Covid teilweise stark zugenommen hat, spielte bei diesen Ergebnissen eine wichtige Rolle. Sie zeigen aber auch, wie realitätsfremd die Progressiven um ihre Aushängeschilder AOC und Sanders oft unterwegs sind. Sie ignorieren, dass die USA tendenziell ein konservatives Land bleiben.
Die Forderungen des linken Flügels wie eine bezahlte Elternzeit oder Kindergeld mögen aus europäischer Sicht sozialdemokratischer Mainstream sein. Für viele Amerikaner aber bleibt der Begriff Sozialismus ein Reizwort. Und Virginia zeigte auch, dass die Demokraten nicht zwingend auf die Stimmen der Minderheiten – vor allem der Latinos –zählen können.
Das heisst nicht, dass die Zwischenwahlen für den Kongress in einem Jahr verloren sind. Wenn die USA die Pandemie hinter sich lassen, die Wirtschaft anziehen, die Inflation zurückgehen und Donald Trump vermehrt auftreten und seinen Wahn von der «Big Lie» verbreiten sollte, könnten die Demokraten besser abschneiden als heute absehbar.
Nötig wäre aber auch, dass die Grossprojekte im Kongress verabschiedet werden. Die «Berniecrats» könnten dazu einen Beitrag leisten, indem sie das Infrastrukturprogramm endlich durchwinken. Und ein Gespür für die Alltagssorgen der Menschen entwickeln. Andernfalls droht den Demokraten bei den Midterms tatsächlich ein Blutbad.
Wie meint ihr "zu zeigen schien"? Haltung ist gut, Ehrlichkeit besser. Der gute Mann ist eingenickt. Alles andere ist doch einfach nicht ehrlich....