International
Analyse

Wahl in Virginia: Auch AOC und Bernie haben es vermasselt

President Joe Biden arrives at Andrews Air Force Base, Md., early Wednesday, Nov. 3, 2021. (AP Photo/Evan Vucci)
Joe Biden
Miese Stimmung: Joe Biden nach der Rückkehr in die USA am frühen Mittwochmorgen.Bild: keystone
Analyse

Nicht nur Biden ist schuld: Auch AOC und Bernie haben es vermasselt

Der progressive Flügel der Demokraten schiebt die Schuld an der Wahlniederlage in Virginia dem «zu wenig linken» Kandidaten in die Schuhe. Er ignoriert damit die Realität in den USA.
04.11.2021, 18:4405.11.2021, 08:15
Mehr «International»

Joe Biden erlebt gerade die schlechteste Woche seiner Präsidentschaft. An den Klimagipfel in Glasgow musste er mit weitgehend leeren Händen reisen, weil der Kongress sein ambitioniertes «Build Back Better»-Programm noch immer nicht verabschiedet hat. Dabei hatte Biden letzte Woche dessen Umfang von 3,5 auf 1,75 Billionen Dollar halbiert.

Dann entstand in Glasgow ein unvorteilhaftes Video, das den 78-Jährigen im Schlaf zu zeigen schien. Auf dem Rückflug in die USA musste er die Niederlage seiner Demokraten bei der Gouverneurswahl in Virginia zur Kenntnis nehmen. Damit gerechnet hatte Biden offenbar nicht. Die Stimmung an Bord der Air Force One war laut US-Medien mies.

epaselect epa09559630 Independent Senator from Vermont Bernie Sanders (C) speaks to the media as we walks to the Senate floor of the US Capitol in Washington, DC, USA, 02 November 2021. Speaker of the ...
Bernie Sanders und seine Mitstreiter machen Biden und den Demokraten das Leben schwer.Bild: keystone

Am Mittwoch gab der Präsident zu, dass die Menschen «über viele Dinge verärgert und verunsichert» seien. Dazu zählen die unbewältigte Corona-Pandemie, der Ärger vieler Eltern über geschlossene Schulen (der den «Kulturkampf» der Republikaner befeuert hat) oder die hohen Benzinpreise, deren Bedeutung man im Autoland Amerika nie unterschätzen darf.

Infrastruktur als Faustpfand

Biden nannte aber auch seine im Kongress blockierten Investitionspläne als Grund. Dazu gehören neben «Build Back Better», das vor allem Massnahmen in der Klima- und Sozialpolitik enthält, auch das Infrastrukturpaket von einer Billion Dollar. Es ist in der Bevölkerung so beliebt, dass auch 19 republikanische Senatoren dafür votierten.

Im demokratisch beherrschten Repräsentantenhaus wäre die Zustimmung eigentlich Formsache. Doch der progressive Flügel um Senator Bernie Sanders (der gar kein Parteimitglied ist) und die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez hat eine Abstimmung und die Unterzeichnung durch Präsident Biden bislang vereitelt.

Mehr noch: Die Parteilinke benutzt das populäre Infrastrukturpaket als Faustpfand, um Kyrsten Sinema und Joe Manchin, die beiden «Rechtsausleger» der Demokraten im Senat, zur Annahme des «Build Back Better»-Programms zu zwingen. Das ging bislang nicht nur schief, es hat die Autorität des Präsidenten untergraben.

Niederlagen für Progressive

Die Zerstrittenheit der Demokraten und die Blockade der Progressiven leisteten ihren Beitrag zur schlechten Bilanz der Partei am Wahldienstag. Viel Einsicht ist bislang nicht zu erkennen. Die «Berniecrats» machten den demokratischen Kandidaten Terry McAuliffe für die Pleite in Virginia verantwortlich. Er sei ein Mann von gestern und zu wenig links.

Buffalo incumbent Mayor Byron Brown speaks to supporters at his election night party, late Tuesday, Nov. 2, 2021, in Buffalo, N.Y. (AP Photo/Jeffrey T. Barnes)
Byron Brown wurde als Bürgermeister von Buffalo wiedergewählt, obwohl er in der Vorwahl gegen eine progressive Kandidatin verloren hatte.Bild: keystone

Wie schief diese Perspektive ist, zeigten mehrere Resultate vom Dienstag aus grossen Städten, die fest in demokratischer Hand sind:

  • «Defund the police» lautet eine Forderung von «Black Lives Matter» und vieler Progressiver. Ausgerechnet in Minneapolis, der Heimatstadt von Polizeiopfer George Floyd, scheiterte jedoch eine Volksinitiative, die die Polizei in ein neues Departement für öffentliche Sicherheit überführen wollte. Selbst diese eher moderate Idee war nicht mehrheitsfähig.
  • In der Vorwahl für das Bürgermeisteramt in Buffalo im Norden des Bundesstaats New York hatte sich eine progressive Bewerberin gegen Amtsinhaber Byron Brown, einen moderaten Demokraten, durchgesetzt. Worauf dieser als «wilder» Kandidat antrat und laut allen Prognosen (die Auszählung ist noch nicht beendet) klar wiedergewählt wurde.
  • In der Metropole New York City hatte der konservative Demokrat Eric Adams, ein Ex-Polizist, die Progressiven schon in der Vorwahl geschlagen. Seine Wahl als neuer Bürgermeister am Dienstag war Formsache. Und in Atlanta erreichten zwei Kandidierende der Demokraten die Stichwahl, die sich dezidiert hinter die Polizei gestellt hatten.

Die Kriminalität, die in den amerikanischen Städten als Folge von Covid teilweise stark zugenommen hat, spielte bei diesen Ergebnissen eine wichtige Rolle. Sie zeigen aber auch, wie realitätsfremd die Progressiven um ihre Aushängeschilder AOC und Sanders oft unterwegs sind. Sie ignorieren, dass die USA tendenziell ein konservatives Land bleiben.

Midterms sind nicht verloren, aber ...

Die Forderungen des linken Flügels wie eine bezahlte Elternzeit oder Kindergeld mögen aus europäischer Sicht sozialdemokratischer Mainstream sein. Für viele Amerikaner aber bleibt der Begriff Sozialismus ein Reizwort. Und Virginia zeigte auch, dass die Demokraten nicht zwingend auf die Stimmen der Minderheiten – vor allem der Latinos –zählen können.

Das heisst nicht, dass die Zwischenwahlen für den Kongress in einem Jahr verloren sind. Wenn die USA die Pandemie hinter sich lassen, die Wirtschaft anziehen, die Inflation zurückgehen und Donald Trump vermehrt auftreten und seinen Wahn von der «Big Lie» verbreiten sollte, könnten die Demokraten besser abschneiden als heute absehbar.

Nötig wäre aber auch, dass die Grossprojekte im Kongress verabschiedet werden. Die «Berniecrats» könnten dazu einen Beitrag leisten, indem sie das Infrastrukturprogramm endlich durchwinken. Und ein Gespür für die Alltagssorgen der Menschen entwickeln. Andernfalls droht den Demokraten bei den Midterms tatsächlich ein Blutbad.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Amtseinführung von Joe Biden
1 / 14
Die Amtseinführung von Joe Biden
Joe Biden ist der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Oberste Richter der USA, John Roberts, nahm dem 78-jährigen Demokraten am Mittwoch an der Westseite des US-Kapitols in Washington den Amtseid ab.
quelle: keystone / saul loeb
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Präsident Biden verliert Beherrschung während einem CNN-Interview
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
87 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Atavar
04.11.2021 19:51registriert März 2020
Oh nein, wer hätte gedacht, das die progressive Linke auch in einer Filterblase lebt? Achja: jeder nicht-Blinde
11027
Melden
Zum Kommentar
avatar
Amadeus
04.11.2021 19:47registriert September 2015
Der Artikel zeigt sehr gut die Problematik. Ja, progessive Politik ist sinnvoll. Gender-, Rassen-, und Klassen-Ungleichheiten und Klimawandel sind ein Problem. Aber man muss eben auch die WählerInnen mit ins Boot holen, wenn man Wahlen gewinnen will. Dazu gehört, dass man sich an den Alltagsrealitäten der BürgerInnen orientiert und nicht an gewissen lauten Bubbles und Medien. Und die Kommunikation und Konsenswille müssen bei den Progressiven dringend verbessert werden.
8720
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kritisch Hinterfragen
04.11.2021 20:53registriert April 2020
"Dann entstand in Glasgow ein unvorteilhaftes Video, das den 78-Jährigen im Schlaf zu zeigen schien"

Wie meint ihr "zu zeigen schien"? Haltung ist gut, Ehrlichkeit besser. Der gute Mann ist eingenickt. Alles andere ist doch einfach nicht ehrlich....
556
Melden
Zum Kommentar
87
    Michelle Obama kündigt neues Buch an
    Zuletzt wurden Gerüchte über eine mögliche Trennung von Michelle und Barack Obama laut. Im neuen Buch der ehemaligen First Lady geht es um ein ganz anderes Thema.

    Acht Jahre lang war Michelle Obama die First Lady der USA, zeigte sich stets unterstützend an der Seite ihres Ehemannes Barack Obama, dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Seit ihrem Auszug aus dem Weissen Haus 2017 ist es ruhiger um die Familie geworden.

    Zur Story