Wird dieser Mann der nächste britische Premierminister?
Nein, Obelix irrt sich. Nicht die Römer spinnen, sondern die Briten. Fast ein Jahrzehnt nach dem Brexit führt derzeit Nigel Farage in den Meinungsumfragen, und es ist ein realistisches Szenario geworden, dass er dereinst in das Haus an der Downing Street 10 einziehen wird, dem Sitz des britischen Premierministers.
Wie ist das möglich? Farage war doch einer der Hauptarchitekten des Brexits, und wie es die Mehrheit der Ökonomen vorausgesagt hat, entwickelt sich der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU wirtschaftlich gesehen zu einem Desaster. Eine Mehrheit der Briten bedauert ihn heute auch und würde ihn gerne wieder ungeschehen machen.
Die politische Logik würde nun nahe legen, dass Farage damit auch seine politischen Ambitionen begraben müsste, denn er ist, was im Englischen ein «one trick pony» genannt wird, will heissen, er kannte lange nur ein Thema, den Brexit. Doch nach dem 6. Januar 2021 hat die politische Logik auch nahe gelegt, dass ein gewisser Donald Trump in der Versenkung verschwindet. Das Gegenteil ist der Fall, und wie Trump ist auch Farage dabei, wie ein Phoenix aus der Asche wieder aufzuerstehen.
Es gibt eine Menge von Parallelen zwischen Trump und Farage. Beide wurden lange Zeit nicht ernst genommen und als politische Clowns abgetan. Vor allem nicht besonders gebildete Wähler sprechen jedoch auf deren kumpelhafte Art des Politisierens an. Farage tritt in der Regel mit einem Bierglas in der Hand auf, einer der wenigen Unterschiede zu Trump, der bekanntlich keinen Alkohol trinkt.
Ansonsten hat Farage das Drehbuch von Trump beinahe eins zu eins übernommen. Er führt ebenfalls regelmässig Rallys durch, politische Veranstaltungen mit Bierzelt-Charakter. Seine Reden sind zwar ungeschliffen, doch sie kommen bei den Bro-Kumpels gut an. Auch Farage klebt seinen politischen Gegnern Spitznamen an – Premierminister Keir Starmer nennt er beispielsweise «Zwei-Klassen Keir», weil er angeblich nationalistische Demonstranten härter anfasst als linke.
Auch Nigel Farage entdeckt die Evangelikalen
Farage beherrscht wie Trump die sozialen Medien. Auf X hat er 2,2 Millionen Follower, auf TikTok 1,3 Millionen. Neuerdings verbreitet er ebenfalls KI-generierte Videos. Er hat auch kein Problem mit Vulgarität, im Gegenteil, gerade sein lümmelhaftes Auftreten, das anständige Menschen schockiert, begeistert seine Fans. «Mr. Farage kultiviert eine sehr enge Beziehung zu seinen Anhängern, reagiert sofort auf Ereignisse und umarmt die ungezügelten Aspekte der sozialen Medien», schreibt dazu Samuel Earle in einem Gast-Essay in der «New York Times».
Neuerdings hat Farage auch die christlichen Fundamentalisten entdeckt. Obwohl er die anglikanische Kirche nur von aussen kennt und sie als «woke» beschimpft, macht er sich neuerdings für eine Einschränkung der Abtreibung stark. Dabei arbeitet er mit der Alliance Defending Freedom zusammen, einer evangelikalen US-Lobby-Organisation mit engen Verbindungen ins Weisse Haus, vor allem zu J.D. Vance.
Das zentrale Thema für Farage ist jedoch die Immigration. Er profitiert davon, dass es weder den Konservativen gelungen ist, noch Labour gelingt, die Zuwanderung auf die Britischen Inseln in den Griff zu bekommen. Dabei reagieren die Briten besonders sensibel auf Ausländer, wie eine soeben veröffentlichte Studie des NatCens zeigt. Rob Ford, Politologe an der Manchester University, erklärt dazu in der «Financial Times»: «Die Studie zeigt, dass das Wählerpotenzial für eine harte Immigrationspolitik und sozialkonservative Themen in Grossbritannien gross ist – grösser noch als in den USA.»
Das Potenzial ist so gross, dass es gar reichen würde, Farage zum Premierminister zu machen. Derzeit liegt seine Partei Reform UK in Umfragen an der Spitze der Wählergunst. Bei Meinungsumfragen erreicht sie einen Wert um die 30 Prozent. Dank des britischen Majorzsystems könnte dies reichen, um Farage die Türe zur Downing Street 10 zu öffnen.
«Was soll’s, schliesslich haben die Briten auch Boris Johnson überlebt», mag man jetzt einwenden. Ein gefährlicher Trugschluss. «Mr. Johnsons clownesker Populismus ermöglichte es ihm, sich nach rechts zu bewegen, aber er blieb letztlich ein Konservativer», stellt Earle fest. «Mr. Farage startet aus einer rechtsradikalen Position, und er neigt zu etwas weit Gefährlicherem und Extremem.»
Wirtschaftspolitisch denkt der ehemalige Banker Farage libertär. Auch er träumt von einer «grossen und hübschen Gesetzesvorlage» à la Trump. Seine Instinkte sind jedoch ähnlich wie diejenigen von Liz Truss, der gescheiterten Premierministerin der Konservativen, die es gerade mal 40 Tage lang im Amt hielt.
Farage spricht jedoch kaum über wirtschaftliche Themen, er bewirtschaftet die Angst. «Sollte nicht bald etwas geschehen und der Vertrag zwischen der Regierung und dem Volk erneuert werden, sollte das Vertrauen in den Staat nicht zurückkommen, dann fürchte ich, dass die öffentliche Ordnung ernsthaft in Gefahr gerät», droht Farage.
Noch ist das Vereinigte Königreich nicht verloren. Die nächsten Wahlen finden voraussichtlich erst 2029 statt. Könnte ja sein, dass die bis anhin eher unglücklich agierende britische Regierung die Kurve kriegt – oder die britischen Wählerinnen und Wähler zu Verstand kommen. Die Niederländer haben es ihnen soeben vorgemacht und haben ihrem Farage, dem Rechtspopulisten Geert Wilders, eine Abfuhr erteilt.


