So mutig und clever die Soldaten der Ukraine auch sind: Ohne die Hilfe der USA wären ihre überraschenden Erfolge gegen Putins Armee nicht möglich gewesen. Uncle Sam hat sich bisher sehr grosszügig gezeigt. Waffen im Wert von rund 60 Milliarden Dollar sind bisher in die Ukraine geliefert worden. Dazu kommen die extrem wichtigen Echtzeit-Informationen, welche die Ukrainer ebenfalls zu einem guten Teil den Amerikanern zu verdanken haben.
Umso grösser der Schock in Kiew über ein Interview, welches Kevin McCarthy, der Anführer der Grand Old Party (GOP), kürzlich dem Online-Portal Punchbowl News gegeben hat. Darin stellt er die künftige Militärhilfe der USA an die Ukraine infrage. Und weil die Republikaner gute Chancen haben, bei den Zwischenwahlen vom 8. November die Mehrheit zu erreichen, sind die Sorgen von Präsident Wolodymyr Selenskyj und seiner Crew mehr als verständlich.
Wörtlich hat McCarthy ausgeführt: «Ich glaube nicht, dass die Menschen, die sich in einer Rezession befinden, bereit sind, einen Blankoscheck an die Adresse der Ukraine zu unterschreiben. Das werden sie ganz einfach nicht tun.»
Dann setzte er noch einen darauf: «Die Biden-Regierung unterlässt es, wichtige Dinge im eigenen Land zu tun. Dazu gehört die Situation an der Grenze. Die Menschen werden dies abwägen. Die Ukraine ist wichtig, aber gleichzeitig kann sich nicht alles um sie drehen. Und es darf keine Blankoschecks mehr geben.»
Nebst Schock stossen diese Äusserungen in Kiew auch auf Unverständnis. David Arakhamia, der Anführer von Selenskyjs Partei, erklärte gegenüber der «Financial Times»: «Noch vor ein paar Wochen hat eine Delegation von uns die USA besucht und dort auch Mr. McCarthy getroffen. Er hat uns versichert, dass eine überparteiliche Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland eine Top-Priorität bleiben wird, auch dann, wenn die Republikaner die Wahlen gewinnen sollten.»
Die Haltung der Konservativen gegenüber dem Krieg in der Ukraine ist vergleichbar mit der Situation in der Schweiz. Wir haben den Putin-Versteher Roger Köppel, der sich mit Ukraine-Freund Markus Somm fetzt. Der gleiche Konflikt herrscht zwischen den Star-Moderatoren bei Fox News. Tucker Carlson ist auf der Seite der Russen, Sean Hannity auf der Seite der Ukraine.
Auch in den USA sind die Putin-Versteher nach wie vor in der Minderheit. Jüngste Umfragen zeigen, dass bloss rund ein Drittel der Amerikaner, welche zur GOP neigen, der Meinung sind, die Hilfe würde zu üppig ausfallen. Der Trend jedoch ist besorgniserregend. Zu Beginn des Krieges waren es bloss neun Prozent.
Diesem Trend hechelt neuerdings McCarthy nach. Dabei hat er beim Ausbruch des Krieges Präsident Joe Biden noch vorgeworfen, er würde zu wenig tun, um der Ukraine zu helfen. Erstaunlich ist dies nicht. McCarthy macht vielmehr seinem Ruf als Wendehals alle Ehre. Nach dem Sturm aufs Kapital hatte er Donald Trump aufs Heftigste kritisiert. Ein paar Wochen später küsste er dessen Ring in Mar-a-Lago.
Innerhalb der GOP sind die Putin-Versteher nach wie vor in der Minderheit. Nur 11 republikanische Senatoren und 57 Abgeordnete stimmten im Mai gegen das Hilfspaket an die Adresse der Ukraine. Diese Hilfe ist laufend erhöht worden. So haben die USA am vergangenen Freitag verkündet, sie würden weitere 725 Millionen Dollar bewilligen, hauptsächlich für Munition für die HIMARS, das Hochpräzisions-Raketensystem, das den Russen so zusetzt.
McCarthy ist zudem nicht ehrlich. Er wolle die Hilfe nicht einstellen, doch er wolle Druck auf die Europäer ausüben, mehr zu tun, sagt er. Dabei erhält er Unterstützung von der Conservative Political Action Conference, einer einflussreichen Institution der Rechten. Diese hat auf ihrer Webseite ebenfalls verkündet, es sei Zeit, «die Geschenke an die Ukraine» einzustellen. Und: «Wir müssen Putin bekämpfen, aber wir müssen uns auch dagegen wehren, dass der amerikanische Steuerzahler die Kosten alleine trägt.» Inzwischen ist diese Meldung gelöscht worden.
Sollten die Republikaner die Zwischenwahlen tatsächlich gewinnen, dann wird sich der Ton der amerikanischen Politik noch einmal massiv verschärfen. Die GOP ist keine politische Partei mehr, sie ist ein Kult geworden und entzieht sich jeder Vernunft. Sie ist nicht mehr an konstruktiver Politik interessiert, sondern will einzig alles unternehmen, um der Biden-Regierung Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Typisches Beispiel der neuen Republikaner-Generation ist Marjorie Taylor Greene, eine Abgeordnete aus dem Bundesstaat Georgia. Als sie vor zwei Jahren gewählt wurde, galt sie als Exotin und wurde mehrheitlich belächelt. Kein Wunder. Die QAnon-Sympathisantin vertritt Thesen wie: Die Waldbrände in Kalifornien seien durch jüdische Laserkanonen im All entfacht worden. Zudem wurde Greene, die schon mal die spanische Suppe Gazpacho mit der Nazi-Geheimpolizei Gestapo verwechselte, aus allen Kommissionen verbannt, weil sie sich weigerte, sich an die Regeln des Kongresses zu halten.
Inzwischen ist Taylor Greene nicht nur zur Normalität innerhalb der GOP geworden, sondern zu einem Machtfaktor. Sie wird bald sehr viele Gleichgesinnte erhalten, denn die Mehrheit der neugewählten republikanischen Kongressabgeordneten werden stramme Trump-Anhänger sein und seine Big Lie vollumfänglich unterstützen.
Wie Trump werden sie ebenfalls unberechenbar sein. Durchaus möglich also, dass eine republikanische Mehrheit versuchen wird, aus rein opportunistischen Gründen die Ukraine-Hilfe zu stoppen. Die Demokraten können dies allerdings verhindern. Sie haben die Möglichkeit, noch in der laufenden Session ein grosses Hilfspaket für die Ukraine zu verabschieden.
Ist halt klassischer Opportunismus dieser Wendehälse. Enttäuschend, aber nicht überraschend.