Niemand kann Liz Cheney nachsagen, sie sei nicht konservativ genug und bloss ein «RINO», eine Republikanerin bloss dem Namen nach. Während der Amtszeit von Donald Trump hat sie zu rund 90 Prozent mit ihm gestimmt, mehr als typische Speichellecker des Ex-Präsidenten wie Matt Gaetz und Jim Jordan. Zudem war Cheney bis zu ihrem Zerwürfnis mit der Partei die Nummer drei in der Grand Old Party (GOP).
Ausgerechnet die Tochter des ehemaligen Vize-Präsidenten Dick Cheney – ein hardcore Konservativer, wie er im Buche steht – warnt nun eindringlich vor einer zweiten Amtszeit von Trump. Die Botschaft ihres soeben erschienen Buches lässt sich wie folgt kurz zusammenfassen: Amerikanerinnen und Amerikaner müssen sich entscheiden. Entweder die Verfassung – oder Trump.
In mehreren Interviews hat Cheney klargemacht, dass eine Wiederwahl Trumps gleichbedeutend mit dem Ende der Demokratie sein würde. Ebenso stellt sie nüchtern fest, dass der Ex-Präsident sich eindeutig faschistischer Methoden bediene. Zudem beklagt sie sich, dass die allermeisten der Mitglieder der GOP sich inzwischen bedingungslos und gegen ihre Überzeugung hinter den «orangen Jesus» stellen würden. Und schliesslich warnt sie davor, Trumps an Hitler und Mussolini erinnernde Rhetorik zu verharmlosen und als clownesk abzutun. «Er sagt uns, was er beabsichtigt», so Cheney. «Und die Schritte, die er dabei unternehmen will, sind offensichtlich.»
Liz Cheney ist keine einsame Ruferin in der Wüste. So hat das «Wall Street Journal», eine feste Grösse in der konservativen Medienlandschaft, am Wochenende einen Artikel veröffentlicht, in dem geschildert wird, wie Trump traditionelle Positionen der GOP über den Haufen werfen und die Partei total umkrempeln will. Es handle sich um eine Plattform, die kaum mehr erkennbare Ähnlichkeiten zu republikanischen Positionen vergangener Generationen aufweise, so das «Wall Street Journal», das Lanhee Chen vom konservativen Thinktank Hoover Institution wie folgt zitiert: «Sollte Trump gewinnen, dann werden die Tage des Schlanke-Regierung-Konservatismus vorüber sein.»
Die schrillsten Töne schlägt jedoch der Historiker Robert Kagan – ebenfalls ein konservativer Denker – an. Schon der Titel seines langen, in der «Washington Post» erschienen Essays lässt keine Zweifel offen. Er lautet: «A Trump dictatorship is increasingly inevitable. We should stop pretending.» (Eine Trump-Diktatur wird immer unausweichlicher. Wir sollten aufhören, uns anzulügen.)
Kagans Essay kann man geradezu als dystopisch bezeichnen. Er prophezeit, dass sich das politische Momentum bald zugunsten des Ex-Präsidenten entwickeln werde, und stellt fest: «Bisher konnten Republikaner und Konservative noch relativ offen Anti-Trump-Gefühle äussern. (…) Das wird sich ändern, wenn Trump den Super Tuesday (an diesem Datum im März werden in mehr als einem Dutzend Bundesstaaten Primärwahlen ausgetragen. Anm. d. Red.) gewonnen haben wird. Stimmen sind die Währung in unserem System, und das Geld wird folgen.»
Trumps Möchtegern-Herausforderer Ron DeSantis wird mittlerweile von den meisten Politexperten abgeschrieben. Obwohl sie die potente Koch-Gruppe im Rücken hat, dürften auch die Bemühungen von Nikki Haley zu keinem zählbaren Ergebnis führen. Deshalb würden auch die konservativen Geldgeber der GOP wie Charles Koch Trump ihre Unterstützung geben, und sei es auch zähneknirschend, so Kagan.
Das Resultat dieser Entwicklung sehe deshalb wie folgt aus: «Im Frühjahr wird Trump seine Wahl fürs Weisse Haus mit einem wachsenden Momentum antreten können, unterstützt von finanziellen Ressourcen und einer hinter ihm geeinten Partei.» Joe Biden hingegen müsse sich auf eine demokratische Partei verlassen, die zunehmend wieder zerstritten ist. Zudem müsse der Präsident sich dem Unbehagen der Mehrheit der Wähler stellen. «Trump tritt gegen das System an», so Kagan. «Biden ist geradezu die Verkörperung des Systems. Vorteil Trump.»
Und was ist mit den vier Strafprozessen mit insgesamt 91 Anklagepunkten, die der Ex-Präsident am Hals hat? Kein Problem für Trump, konstatiert Kagan. «Weder die Gerichte noch der Rechtsstaat werden Trump aufhalten. Im Gegenteil, er wird die Prozesse dazu benützen, seine Macht zu demonstrieren. (…) Trump des versuchten Staatsstreichs anzuklagen ist vergleichbar mit dem Versuch, Caesar anzuklagen, nachdem dieser den Rubikon überquert hatte, und genauso effektiv. Wie Caesar verfügt Trump über eine Schlagkraft, welche Gesetze und Institutionen der Regierung durchschlägt, da sie auf der unerschütterlichen Loyalität der Armee seiner Anhänger beruht.»
Kurze historische Erklärung: Der Rubikon, ein kleiner Fluss südlich von Ravenna, bildete zur Zeit Caesars die Grenze zwischen der römischen Provinz Gallia cisalpina und dem eigentlichen Italien. Als Caesar diesen Fluss mit seinen Soldaten überquert hatte, war klar, dass er die Republik stürzen und eine Diktatur errichten würde.
Trump mit Caesar zu vergleichen, erfreut sich zunehmender Beliebtheit bei seinen Anhängern. So schreibt beispielsweise Michael Anton, ein ehemaliger Sicherheitsberater in Trumps Regierung, in seinem Buch «The Stakes» zu diesem Thema: «Cäsarismus bietet oft, wenn auch nicht immer, die Möglichkeit, Konflikte zu verhindern. Es mag traurig sein, zuzuschauen, wie eine stolze Republik sich der Herrschaft eines Einzigen beugt, aber wenn die Alternative ein blutiger Bürgerkrieg ist, dann wird es schwierig, diese Lösung rundweg abzulehnen.»
Auch Kagan glaubt, dass eine Herrschaft im Sinne von Caesar bei der Mehrheit der Amerikaner auf wenig Widerstand stossen würde. «Wenn die Bürgerinnen und Bürger weiterhin ihren alltäglichen Geschäften nachgehen können, dann könnten sie sich – wie viele Russen und Ungaren – nicht darum scheren», stellt der Historiker desillusioniert fest.
Für Michael Anton steht fest, dass sich die GOP grundsätzlich verändern muss. Den Prinzipien von Freihandel und schlankem Staat müssen die Republikaner abschwören. Die neue Klientel sind nicht mehr die Golf spielenden Geschäftsleute, sondern die vernachlässigte Arbeiterklasse. Kurz: Sie muss sich in eine nationalsozialistische Partei verwandeln. «Die Republikaner müssen mehr wie die Demokraten werden – arbeiterfreundlicher und mehr Gewicht auf Lohn- und Wohlstands-Gerechtigkeit legend», so Anton. «Aber sie (die Republikanische Partei) muss auch das Gegenteil der aktuellen Demokratischen Partei sein: Offen nationalistisch, was Wirtschaft und Handel betrifft, entschlossen traditionell in Sachen Moral und Kultur.»
Zurück zu Kagan. Der Historiker versteht sein dystopisches Szenario als Weckruf. Deshalb beschliesst er sein Essay mit folgenden Sätzen: «Wir driften mehr denn je auf eine Diktatur zu. Wir hoffen immer noch auf eine Intervention, die uns erlaubt, den Konsequenzen unserer kollektiven Feigheit zu entkommen, unserer Selbstzufriedenheit, unserer vorsätzlichen Ignoranz, und vor allem dem Fehlen unseres Einstehens für die liberale Demokratie. Wie einmal einer sagte, wir gehen nicht mit einem Knall unter, sondern mit einem Wimmern.»
Mir ist schon bewusst, dass diese Leute nicht wirklich weiter denken, aber selbst denen sollte doch auffallen, dass dieser Vergleich Trump nicht schmeicheln sollte.