Als eine russische Kolonne mit 48 Panzern und gepanzerten Fahrzeugen am Samstag von Tonenke in Richtung Umanske im Osten der Ukraine fährt, gerät sie in einen ukrainischen Hinterhalt. Videoaufnahmen, die auf ukrainischen und russischen Telegramkanälen geteilt werden, zeigen explodierende Panzer. Insgesamt 16 gepanzerte Fahrzeuge soll Russland an diesem Tag durch ukrainischen Beschuss mit Artillerie und mit Panzerabwehrwaffen verloren haben – ein Desaster für Russland. Mehr zu dem Vorfall liest du hier.
Vor allem russische Militärblogger kritisieren die Naivität, mit der die russische Armee in diese Falle getappt ist. Es sind Bilder, die seit Kriegsbeginn eher selten geworden sind. Sie dokumentieren die Sorglosigkeit, mit der russische Verbände teilweise in der Nähe der Front operieren.
Dabei ist es eine Stärke der Ukraine, sich auch gegen eine russische Übermacht mit kleinen, flexiblen Einheiten verteidigen zu können. Diese Art zu kämpfen, haben ukrainische Soldaten schon Jahre vor Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 trainiert, es ist eine Strategie der schmerzhaften Nadelstiche.
Also from the failed attack from February 2023. pic.twitter.com/6RGyxXyCrD
— Kriegsforscher (@OSINTua) March 31, 2024
Doch ebendiese Gefechte zeigen auch, wie ernst die Lage für die Ukraine gegenwärtig ist. Die Verteidiger leiden unter Munitionsmangel und müssen auf Hinterhalte zurückgreifen, um den russischen Vormarsch zumindest zu verlangsamen.
Das funktioniert zwar bislang gut, aber die ukrainische Armee spielt damit lediglich auf Zeit. Wenn der Westen seine Uneinigkeiten bezüglich Waffen- und Munitionslieferungen nicht überwindet, sieht es für die Verteidiger düster aus. Und auch für die NATO wird es nun ernst.
Die ukrainische Führung tut gegenwärtig viel, um die politischen Prozesse im Westen für die Lieferung weiterer Munition und Waffensysteme zu beschleunigen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wandte sich am Freitag in einem Interview mit der «Washington Post» an die USA.
Rückzug. Dieses Wort kam Selenskyj lange Zeit nicht über die Lippen. Im Gegenteil: Aus strategischen Gründen warb er stets um Unterstützung im Westen, um weitere Gegenoffensiven zu ermöglichen. Deshalb legte sich unter anderem mit dem früheren Armeechef Walerij Saluschnyj an, als dieser im November des vergangenen Jahres von einer Pattsituation sprach.
Doch nun geht es nicht mehr um Gegenoffensiven, zumindest im Jahr 2024 nicht mehr. Sondern die Ukraine muss vor allem eines: standhalten. Zumindest so lange, bis die langfristige Unterstützung aus dem Westen gesichert ist.
Die ukrainische Führung tut derweil das, was sie aus eigenen Kräften tun kann. Selenskyj senkte etwa das Mindestalter für Mobilisierungen von 27 auf 25 Jahre, was der ukrainischen Armee 400'000 neue Rekruten bringen soll. Gegen diesen Schritt hatte er sich lange gewehrt, auch weil das in der Bevölkerung unpopulär ist. Doch für die Ukraine scheint es keinen anderen Weg zu geben. Sie braucht mehr Soldaten, auch weil sie den kämpfenden Truppen an der Front per Rotation Pausen geben muss. Denn die Erschöpfung ist auch auf der ukrainischen Seite gross.
Auf den ersten Blick ist die Lage für die Ukraine düster. Aber dennoch kann Kreml-Chef Wladimir Putin in Moskau noch nicht die Korken knallen lassen – das wäre verfrüht. Denn auch seine Armee tut sich derzeit schwer.
Russland gewinnt momentan vor allem im Raum Awdijiwka langsam an Boden. Zur Erinnerung: Die Kleinstadt im Südosten des Landes wurde im Februar 2024 von der russischen Armee erobert. Hier können Putins Truppen auch deshalb noch Raumgewinne erzielen, weil die ukrainischen Verteidigungsstellungen nach dem Verlust der Stadt eher improvisiert sind. Sie mussten teilweise von den ukrainischen Soldaten selbst ausgehoben werden und sind nicht vergleichbar mit anderen Stellungen, die die Ukraine seit 2014 auf- und stetig ausgebaut hat.
Dadurch werden geringfügige Geländegewinne der russischen Armee möglich. Der Mangel an Flugabwehrraketen auf ukrainischer Seite führt ausserdem dazu, dass Putin seine Luftwaffe mittlerweile in unmittelbarer Frontnähe einsetzen kann. Russische Kampfjets werfen Gleitbomben mit viel Sprengstoff auf ukrainische Stellungen und können meistens eben nicht von der ukrainischen Flugabwehr erfasst werden, weil Kiew diese Systeme auf der über 2000 Kilometer langen Front nur punktuell einsetzen kann. Insbesondere, weil die Ukraine auch die eigenen Städte vor russischen Raketen- und Drohnenangriffen schützen muss.
Experten erwarten nun, dass Tschassiw Jar bei Bachmut der nächste Schauplatz für erbitterte Kämpfe sein wird. Der Ort wird von der Ukraine gehalten, gilt als wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Im Gegensatz zum Raum Awdijiwka sind hier die Verteidigungsstellungen besser ausgebaut. Es droht das nächste Blutbad, auch weil der Kreml seine Soldaten ohne Rücksicht auf Verluste in diesen nächsten Fleischwolf schicken wird.
Dabei geht es Moskau nicht um einen Durchbruch oder um schnelle Geländegewinne, weil die russische Armee in der Vergangenheit immer wieder Schwierigkeiten hatte, ihre Gewinne zu konsolidieren. Das bedeutet: Wenn Russland Gelände gewinnt, wird dadurch die Front länger, weil die russische Armee die Flanken der Geländegewinne zusätzlich verteidigen muss. Das bietet wiederum der Ukraine die Möglichkeit für Hinterhalte mit vergleichbar wenigen Kräften, um russische Versorgungslinien zu kappen.
Je mehr Gebiet Russland also einnimmt, desto mehr Kräfte muss es aufwenden, um es zu verteidigen. Auch gegen die ukrainische Bevölkerung, aus der teilweise Partisanen aktiv im Untergrund kämpfen. Für Russland ist das auf lange Sicht eigentlich eine katastrophale Situation, die momentan allerdings vom Mangel der Ukraine in den Schatten gestellt wird.
Darin sieht Putin seine Chance. Der bisherige Kriegsverlauf zeigt: Dem Kremlchef sind seine Panzer wichtiger als seine Soldaten. Aber auch weil die russische Armee mit ihrem Gerät haushalten muss, verfolgt der Kreml die Strategie, die Ukraine langsam zu erdrücken. Deshalb verwickelt Russland die Verteidiger in Artilleriegefechte, stürmt an, bis den Verteidigern die Munition ausgeht und sie sich zurückziehen müssen. Diese Entwicklung ist derzeit an einigen Frontabschnitten zu beobachten.
Russland setzt also auf einen Sieg durch Erschöpfung der Ukraine, grosse Durchbrüche sind dafür nicht unbedingt notwendig. Es ist ein Abnutzungskrieg.
Doch auch Putins Plan hat Tücken und ist für Russland keineswegs eine sichere Strasse in Richtung Kriegssieg. Zwar verfügt es über mehr Geld und im Zweifel auch über mehr Menschen und eine grössere Kriegsindustrie als die Ukraine. Trotzdem ist die Hoffnung des Kreml auf einen Abnutzungssieg gefährlich.
Einerseits kämpfen die russischen Invasoren auch gegen eine Bevölkerung, die das Gelände kennt und die eben nicht unter der Herrschaft Russlands leben möchte. Das wurde den USA in Vietnam und den Sowjets in Afghanistan und Finnland zum Verhängnis. Militärische Übermacht oder gar der Besitz der Atombombe führt eben nicht immer automatisch zu einem konventionellen militärischen Erfolg.
Andererseits verfügen die westlichen Unterstützer der Ukraine im Kollektiv über eine grössere Wirtschaftskraft und mehr industrielle Möglichkeiten als Russland. Wenn also die NATO als Akteur im Ukraine-Krieg aktiver werden sollte, wird man in Moskau genauer hinschauen, denn genau das ist Putins Achillesferse. So schlug etwa NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor dem Gipfel am Mittwoch ein fünfjähriges Militärhilfepaket im Wert von 100 Milliarden Euro für die Ukraine vor. Das Paket soll dem westlichen Bündnis eine direktere Rolle bei der Unterstützung Kiews einräumen, sagten fünf Diplomaten am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters.
Das hätte den Nebeneffekt, dass innenpolitische Streitigkeiten in einigen Mitgliedstaaten die Unterstützung der Ukraine nicht weiter in dieser Form lähmen könnten, wie sie es aktuell tun. Die Massnahme zielt natürlich auf die USA, wo Republikaner ein Ukraine-Hilfspaket im Kongress blockieren und wo Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl im November ins Weisse Haus zurückkehren könnte.
Putin spekuliert auf dieses Szenario und die NATO könnte mit einem langjährigen Hilfspaket diesem Kalkül zuvorkommen. Wenn dann auch noch die westlichen Produktionskapazitäten für Munition und Waffen ausgebaut würden, gäbe das der Ukraine mittelfristig Luft zum Atmen. Und auch Putin müsste sich einen anderen Plan überlegen.
Das Land kämpft dafür, dass die Menschen, die Nation, die Kultur, die Sprache, etc. nicht vernichtet werden. Und die UA kämpft dafür, nicht wieder als RU-Kolonie unter dem Diktat des Kremls zu enden.
Ein Erfolg der RuZZen würde nur das bedeuten, was in den besetzten Gebieten Realität ist: Die totale Willkür, Filtration, Folter, sexuelle Gewalt, Verschleppung, etc.
Die Besetzung oder auch eine Waffenruhe bedeuten längst noch keinen Frieden.
Der freie Westen muss ALLES dafür tun, das Putin kein Präjudiz für andere Despoten gelingt.
Ich vermisse jedoch in diesem Artikel das Big Picture. Worum geht es und warum kriegt die Ukraine nicht die notwendigen Mittel um Russland aus ihrem Land zu vertreiben. Da bleiben viele Fragen offen.
Russland verheizt viele Menschen, vorallem aus dem aemen östlichen Gebieten um einem absurden Traum zu folgen, der einstigen Sowjetunion.
Die Ukraine, die sich zunehmend nach Westen orientiert hat, verteidigt ihre Unabhängigkeit. Die Unterstützung "des Westens" ist mässig. Gerade genug um von Russland nicht überrannt zu werden. Warum nur das?