In seiner Amtszeit hat Donald Trump im Oval Office alles zerrissen, was ihm in die Finger kam: Mitteilungen, Zeitpläne, Artikel, Briefe und Memos. Seine Angestellten lasen die Papierschnitzel zusammen und fügten sie so gut wie möglich mit Klebeband wieder zusammen. Sie taten dies, weil ein Gesetz aus dem Jahr 1978 vorschreibt, dass alle präsidialen Dokumente aufbewahrt und dem Archiv des Weissen Hauses übergeben werden müssen. Dieses Gesetz wurde als Folge der Watergate-Affäre erlassen.
Trump hat gegen dieses Gesetz verstossen, genauso wie er illegal 15 Kisten von Washington in seine Residenz in Florida transportieren liess. In den Kisten befinden sich unter anderem die «Liebesbriefe» des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, aber auch die legendäre Wetterkarte, welche der Ex-Präsident mit einem Filzstift eigenhändig korrigiert hatte, um eine falsche Aussage über einen Hurrikan nachträglich zu rechtfertigen. Es gibt jedoch auch Dokumente darunter, die als «geheim» klassifiziert sind.
Trump hat wissentlich gegen dieses Gesetz verstossen. Er rügte nämlich seinerzeit Nancy Pelosi mit Hinweis auf dieses Gesetz öffentlich, als diese nach der State-of-the-Union-Rede ihre Unterlage demonstrativ zerrissen hatte. Und wie war das schon wieder mit den E-Mails und dem privaten Server von Hillary Clinton?
Okay, es mag kleinlich erscheinen, Trump an seinem Zerreiss-Tick aufhängen zu wollen. Doch inzwischen hat das Justizdepartement angekündigt, es werde der Sache nachgehen. Grosse Verbrechen können manchmal wegen kleiner Dinge gesühnt werden. Der Mafia-Boss Al Capone ging bekanntlich nicht wegen seiner Morde in den Knast, sondern wegen Steuervergehen.
Trumps Zerreiss-Tick ist symbolisch für den Zustand der Grand Old Party (GOP). Weil ihnen die Felle davonschwimmen, setzen die Republikaner auf die Karte Krawall. Aber der Reihe nach:
Auf der Achterbahn der amerikanischen Politik haben derzeit wieder einmal die Demokraten die Oberhand. Die Wirtschaftszahlen sind weit besser ausgefallen als erwartet. Omikron befindet sich in den letzten Zügen. Und die Biden-Regierung hat die Scharte ausgewetzt, die sie beim Afghanistan-Rückzug eingefangen hatte.
Die Ukraine-Krise hat sie bisher hervorragend gemeistert. «Sie hat militärische Güter in die Ukraine geschickt, hat Truppen in Osteuropa aufmarschieren lassen und Sanktionen vorbereitet. Damit hat die Biden-Regierung eine Reihe von Signalen ausgesandt, die selbst Putin nicht falsch interpretieren kann», lobt sogar Holman Jenkins im «Wall Street Journal», wenn auch mit beinahe physisch hörbarem Zähneknirschen.
Ebenfalls im «Wall Street Journal» fragt derweil Karl Rove, der ehemalige Chefstratege von George W. Bush, besorgt: «Wird die Agenda der Republikaner noch rechtzeitig vor den Wahlen 2022 erscheinen?»
Die Frage ist berechtigt. Bisher konnte Biden spotten: «Wofür stehen die Republikaner überhaupt?» Bis heute hat die GOP noch nicht einmal eine Wahl-Plattform. Stattdessen hat sich die Partei ganz Trumps Rachefeldzug verschrieben und kennt nur noch ein Thema: die Big Lie. Gerade deswegen ist nun aber ein hässlicher innerparteilicher Streit ausgebrochen.
Nachdem Trump einmal mehr die absurde Behauptung in die Welt gesetzt hatte, sein Vizepräsident hätte Bidens Wahl annullieren können, konnte Mike Pence nicht mehr anders, als dies zu dementieren. Das hat er am vergangenen Freitag nun auch getan und öffentlich erklärt, Trump habe sich geirrt.
Gleichzeitig hat die Rennleitung der GOP es für nötig befunden, die beiden Abgeordneten Liz Cheney und Adam Kinzinger abzumahnen und dabei den Sturm auf das Kapitol als «legitimes politisches Verfahren» zu bezeichnen.
Das wiederum war selbst für Mitch McConnell, den republikanischen Minderheitsführer im Senat, zu viel. Er betonte einmal mehr, die Ereignisse vom 6. Januar seien ein «Aufstand» gewesen, der durch nichts zu rechtfertigen sei. Kevin McCarthy, der republikanische Minderheitsführer im Abgeordnetenhaus, hingegen drückte sich vor einer Stellungnahme. Er rannte den Journalisten davon.
Auch im innerparteilichen Streit greifen die Trump-Anhänger zum Zweihänder. So erklärte etwa Peter Navarro, ein ehemaliger Wirtschaftsberater: «Pence hat Trump verraten, Marc Short (der ehemalige Stabschef von Pence) ist eine Marionette der Koch-Brüder, Mark Meadows (Trumps ehemaliger Stabschef) ist ein Idiot und ein Feigling. Liz Cheney und Adam Kinzinger sind nützliche Idioten für Nancy Pelosi und die Woke-Linke.»
Navarro selbst hat inzwischen eine Vorladung erhalten, als Zeuge vor dem Ausschuss zur Abklärung der Ereignisse des 6. Januars auszusagen. Er hatte sich öffentlich gerühmt, zusammen mit Steve Bannon einen Plan ausgeheckt zu haben, wie man Bidens Sieg im letzten Moment hätte verhindern können.
Um von den Erfolgen der Biden-Regierung und dem innerparteilichen Zwist abzulenken, haben die Republikaner nun die kanadischen Trucker entdeckt. Unterstützt von Fox News und anderen konservativen Medien werden diese zu neuen patriotischen Helden empor stilisiert. Grund: Sie protestieren gegen einen Impfzwang, welchen die linksliberale Regierung von Justin Trudeau erlassen haben soll.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht absurd. Der Impfzwang gilt für die Ein- und Ausreise in die USA und ist von amerikanischer Seite eingeführt worden. Die Kanadier befürworten diese Massnahme mit überwältigender Mehrheit und haben Null-Verständnis für die protestierenden Trucker. Diese haben inzwischen auch die wichtigste Brücke zwischen den USA und Kanada blockiert. Dabei entsteht ein beträchtlicher wirtschaftlicher Schaden. In Detroit stockt deswegen die Autoproduktion. Daher werden die protestierenden Trucker – es handelt sich dabei um eine Minderheit von höchstens zehn Prozent –von ihrer eigenen Gewerkschaft gerügt.
Das Trump-Lager hingegen unternimmt alles, um dafür zu sorgen, dass die Trucker-Proteste auch auf die USA übergreifen. Vielleicht haben sie dabei sogar Erfolg. Es wird befürchtet, dass ähnliche Blockaden am kommenden Wochenende in Los Angeles stattfinden könnten. Anlass wäre die Austragung des Superbowls.
Trump und die GOP geben sich nicht mehr mit der Big Lie zufrieden. Die Partei, die sich einst «Recht und Ordnung» verschrieben hat, fördert nun faschistische Anarchisten.
Passieren wird nichts, gar nichts.
Was allerdings sich einstellen wird ist; die Glaubwürdigkeit in die Justiz wird immer mehr Abnehmen, es entsteht ein Freiraum für Gauner und dies wiederum nagt an der Demokratie.
Trump wird nicht nur nicht belangt, er erreichen das was er immer wollte, eine Abkehr von der Justiz und das ist brandgefährlich.
Wehret den Anfängen.