Wenn jemand sich in einer aussichtslosen Lage befindet, dann pflegt der Amerikaner zu sagen: «He (or she) is cooked.» Donald Trump ist nach seiner Anhörung vor einem nationalen Gericht in Miami gekocht – und zwar so was von. Juristisch befindet er sich in einer hoffnungslosen Lage, und dem Aufruf an seine Anhänger, vor dem Gerichtsgebäude zu protestieren, sind gestern nur sehr wenige MAGA-Mützen-Träger gefolgt.
Sonderermittler Jack Smith hat ganze Arbeit geleistet. Auf 49 Seiten listet er seine Anklagepunkte minutiös auf und zählt 37 strafrechtliche Verstösse auf, die der Ex-Präsident begangen haben soll. Untermauert wird das Ganze von Bildern, die zeigen, wie sorglos Trump selbst höchst geheime Dokumente hat herumliegen lassen, und von Zitaten aus Tonbändern, in denen er selbst bekennt, dass er gegen das Gesetz verstossen hat.
Folgerichtig werden der Ex-Präsident und sein persönlicher Assistent Walter Nauta wegen Verschwörung, Verstoss gegen das Spionagegesetz und Behinderung der Justiz angeklagt. Theoretisch kann er deswegen bis zu 400 Jahre hinter Gitter wandern.
Die Kirsche auf der Anklage-Torte ist die Abschrift eines Selbstgespräches des Trump-Anwalts Evan Corcoran. Darin schildert er, wie sein Klient ihn gedrängt hat, die Vertreter des Justizdepartements anzulügen und Dokumente verschwinden zu lassen. Corcoran wird wahrscheinlich Kronzeuge im Prozess gegen Trump werden.
Selbst die treuesten, rechtlich versierten Trump-Fans zeigen sich verblüfft. Allen voran Trumps ehemaliger Justizminister William Barr. Dieser hat ausgerechnet auf Fox News erklärt: «Sollte auch nur die Hälfte der aufgeführten Anklagepunkte zutreffen, dann ist Trump erledigt.»
Auch Alan Dershowitz, ein ehemaliger Harvard-Rechtsprofessor, der Trump unzählige Male auf Fox News und bei dessen Impeachment verteidigt hat, räumt in einem Kommentar im «Wall Street Journal» ein: «Mr. Smith hat einen weit überzeugenderen Fall präsentiert, als viele Beobachter – mich inbegriffen – erwartet haben.»
Ty Cobb, Trumps ehemaliger Anwalt im Weissen Haus, sieht seinen ehemaligen Boss gar bereits hinter Gittern und Jonathan Turley, ein weiterer, Trump wohlgesinnter Rechtsprofessor, erklärt: «Es bleibt ein Geheimnis, weshalb er sich geweigert hat, die Dokumente herauszurücken.»
Bezeichnend ist auch, dass inzwischen fast alle bisherigen Anwälte des Trump-Teams ihr Mandat niedergelegt haben und der Ex-Präsident verzweifelt auf der Suche nach Ersatz ist.
Der erdrückenden Anklageschrift hat Trump wenig entgegenzusetzen. Es sind dies im Wesentlichen zwei Punkte:
Der Presidental Records Act. Dieses aus dem Jahr 1978 stammende Gesetz regelt, welche Dokumente ein aus dem Amt scheidender Präsident behalten und welche er dem Nationalarchiv übergeben muss. Trump behauptet, dieses Gesetz ermächtige ihn, Dokumente nach eigenem Ermessen in seinem Besitz zu behalten. Das ist falsch. Das Gesetz schreibt vor, wie und wann der scheidende Präsident seine persönlichen von den amtlichen Dokumenten trennen darf.
Dieser Prozess muss zudem zu einem Zeitpunkt über die Bühne gehen, an dem sich der Präsident noch im Weissen Haus befindet. Das Nationalarchiv und das Justizministerium haben Trump mehr als genug Zeit eingeräumt, illegal mitgenommene Dokumente zurückzugeben. Dokumente wohlgemerkt, die höchst geheime Informationen enthalten.
Hillary Clinton und Joe Biden. Der beliebte Whataboutism, den Trump und die konservativen Medien bis zum Erbrechen wiederholen: Auch bei der ehemaligen Aussenministerin und beim Präsidenten seien Dokumente gefunden worden, die nicht in deren Besitz gehört hätten.
Diese Verteidigungslinie ist ebenfalls brüchig. Hillary Clinton hat tatsächlich für ihre E-Mails teilweise einen privaten Server benützt. Sie hat jedoch dabei im Gegensatz zu Trump fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt. Deshalb hat das FBI das Verfahren gegen sie auch eingestellt. Zudem waren die meisten dieser E-Mails völlig harmlos. Es wurden darin beispielsweise Yoga-Stunden verabredet.
Immer wieder wird auf Fox News die Behauptung aufgestellt, diese E-Mails seien mit Bleach-Bit zerstört worden. Das tönt nach einer hochgiftigen Chemikalie. Bleach-Bit ist jedoch ein Software-Programm, das im freien Handel erhältlich ist.
Die Vorwürfe gegen Joe Biden sind nicht minder absurd. Er habe 1850 Kisten mit Dokumenten beiseitegeschafft, erklärt Trump immer und immer wieder. Tatsächlich sind auch in der Garage von Joe Biden Dokumente gefunden worden, die ins Nationalarchiv gehören. Ein weiterer Sonderermittler untersucht diesen Fall.
Bei den 1850 Kisten handelt es sich jedoch um Dokumente aus der Zeit, in der Biden noch Senator war. Diese unterliegen nicht dem Presidental Act. Biden hat sie völlig legal der University of Delaware zur Verfügung gestellt.
Angesichts der juristisch aussichtslosen Lage unternehmen der Ex-Präsident und seine Anwälte alles, um den Prozess hinauszuzögern, möglichst bis nach den Wahlen 2024. Würde dann Trump oder ein ihm freundlich gesinnter Republikaner wiedergewählt – beispielsweise Ron DeSantis –, dann würde das Verfahren eingestellt, so das Kalkül.
Dieses Kalkül hat durchaus Chancen, aufzugehen. Als Richterin in diesem Jahrhundertprozess ist, nach einem Zufallsprinzip, ausgerechnet Aileen Cannon gewählt worden. Diese ist kurz vor dem Auszug aus dem Weissen Haus noch von Trump ernannt worden. Die junge Richterin hat sich bereits unrühmlich in Szene gesetzt. Nach der Durchsuchung von Trumps Residenz Mar-a-Lago hat sie versucht, das Verfahren zu verzögern, und wurde deshalb von einem sehr konservativen Berufungsgericht überstimmt und öffentlich abgekanzelt.
Für Trump ist die Einsetzung von Richterin Cannon so etwas wie ein Sechser im Lotto. Es wird befürchtet, dass sie seine Verzögerungstaktik unterstützen wird. Allerdings dürfte ihr das nicht leicht fallen. Nach ihrem juristischen Trauerspiel im vergangenen Herbst steht sie unter scharfer Beobachtung der Medien und ihrer Berufskollegen und kann im schlimmsten Fall zum Rücktritt gezwungen werden.
Der Ex-Präsident macht auch in der Öffentlichkeit Druck. Er präsentiert sich einerseits als Märtyrer – «Sie sind hinter dir her. Ich stehe ihnen nur im Weg», wiederholt er unablässig. Oder er spielt den Rächer, der Vergeltung üben wird: «Wenn ich einmal wiedergewählt sein werde, und ich werde wiedergewählt, dann werde ich den Deep State total vernichten», droht er.
Da wir mit einem Koch-Vergleich begonnen haben: Es gibt die berühmte Metapher vom Frosch in der Pfanne. Wird das Wasser nur langsam erhitzt, dann wird dieser Frosch gegart, ohne dass er es realisiert.
Trump will dieses Prinzip auf die Massen und zu seinen Gunsten anwenden. Er flutet die Medien so lange mit so vielen Verschwörungstheorien, bis niemand mehr Fakten und Lügen auseinanderhalten kann. «Es ist unmöglich zu übertreiben, wie gefährlich dies für unser Land ist», stellt Thomas Friedman in der «New York Times» fest.
Hier könnte man noch erwähnen dass Trumps Tochter genau das selber gemacht hat und ebenfalls nicht belangt wurde.
Zu viele Schlupflöcher (z.B. die Richterin, seine potentielle Wahl zum Präsidenten) und zu viele "Freunde" (z.B. de Santis als potenziell gewählter Präsident).
Rechtspopulisten gewinnen leider praktisch immer!