Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist ein spezielles; zur deutschen «Staatsräson» hat die damalige Kanzlerin Angela Merkel die Sicherheit des jüdischen Staates im März 2008 vor der Knesset erklärt, ohne dass klar geworden wäre, welche praktischen Konsequenzen die Bundesrepublik aus dieser Bekundung ziehen sollte.
Heute, rund 17 Jahre später, tut sich Deutschland schwer, eine Position zum Krieg in Gaza zu finden: Aus der Politik, aber auch aus den Medien ertönen täglich Forderungen, Berlin müsse mehr Druck auf Benjamin Netanyahus Regierung ausüben.
Am linken Flügel der Sozialdemokraten, der zweitgrössten Regierungspartei, wollen einige ein Ende der Waffenlieferungen an Israel. Diejenigen, die die Frage stellen, ob es ausgerechnet an Deutschland sei, den jüdischen Staat zu belehren, werden dagegen immer leiser.
Friedrich Merz, der christdemokratische Kanzler, der als Israel-freundlich gilt, beschreitet bisher einen Mittelweg: Allzu deutliche Kritik am jüdischen Staat überlässt er seinem Aussenminister Johann Wadephul, der auch schon vor einer «Zwangssolidarität» mit Israel warnte. Da Merz und Wadephul Parteikollegen sind und als Vertraute gelten, liegt der Verdacht nahe, dass sie sich auf eine Arbeitsteilung nach dem Prinzip «Good cop, bad cop» verständigt haben könnten.
Merz verlegt sich dabei aufs Humanitäre: Die Luftbrücke für Gaza, die Deutschland nun gemeinsam mit Jordanien einrichten will, dürfte auch ein Versuch des Kanzlers sein, Druck aus der innerdeutschen Debatte zu nehmen: Gegen die Lieferung von Hilfsgütern kann niemand etwas einwenden, während ein mögliches Ende der Waffenlieferungen natürlich ebenso umstritten wäre wie Sanktionen, etwa im Bereich der wissenschaftlichen Zusammenarbeit.
Am Dienstag, bei einem Besuch des jordanischen Königs Abdullah II. in Berlin, konkretisierten Merz und sein Gast die gemeinsamen Pläne auf einer Pressekonferenz: Zwei deutsche Transportflugzeuge seien bereits nach Jordanien unterwegs und sollten von dort vielleicht schon am Mittwoch, spätestens aber am Wochenende zu Hilfsflügen starten, sagte der Kanzler. Dabei gehe man in Abstimmung mit Israel vor.
Dass Merz die Debatte damit beruhigt hat, ist unwahrscheinlich: Unter seinen europäischen Nachbarn steht Berlin mit seiner abwägenden Haltung immer einsamer da: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat letzte Woche angekündigt, einen Staat Palästina anerkennen zu wollen; Merz sagte am Dienstag noch einmal, dies könne nur «der letzte Schritt auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung» sein.
Die Frage eines Journalisten, ob die Bundesrepublik ein Einreiseverbot gegen die rechtsextremen israelischen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir erlassen könnte, wie es die Niederlande am Dienstag getan haben, beantwortete Merz nicht.
Eine Mehrheit der Deutschen ruft derweil nach einem härteren Kurs gegenüber Israel: Laut einer Umfrage im Auftrag der Illustrierten «Stern» meinen 74 Prozent, ihr Land solle mehr Druck ausüben. Unter den Wählern der Linkspartei sind 94 Prozent, unter denen der Grünen 88 Prozent dieser Ansicht, doch auch unter den Anhängern der Regierungsparteien CDU und SPD sehen dies jeweils 77 Prozent so.
Am wenigsten stark drängen die Sympathisanten der AfD auf mehr Distanz gegenüber dem jüdischen Staat, doch auch unter ihnen sähe es eine Mehrheit von 61 Prozent gern, wenn Merz' Regierung schärfere Töne gegenüber Netanyahu und dessen Kabinett anschlagen würde.
Zwischentöne scheinen in der Debatte immer weniger gefragt zu sein: Dass die Lage in Gaza komplex ist und auch die islamistische Hamas Schuld am Leiden der Bevölkerung trägt, geht immer häufiger unter.
Leidtragende dieser Stimmung sind nicht zuletzt die deutschen Juden, egal, ob sie nun mit der israelischen Regierung und deren Vorgehen in Gaza einverstanden sind oder nicht: Berichte über antisemitische Übergriffe sind in deutschen Zeitungen mittlerweile fast so häufig zu lesen wie Forderungen nach einer Änderung der deutschen Nahost-Politik. (bzbasel.ch)