Ein Fussballspiel ist ein komischer Ort für eine Tragödie, aber genau hier geschah es. Ein Freund und ich schauten uns am Samstag gerade ein Spiel der lokalen Fussballmannschaft in Kathmandu an, als die Erde heftig zu beben begann. Bevor ich überhaupt wusste, was passierte, standen wir schon auf der Strasse und klammerten uns aneinander fest, um nicht hinzufallen. Sekunden später brach die ganze Seitenwand des Fussballstadions zusammen. Die anderen Fans strömten raus, überall war Blut.
Meine ersten verzweifelten Gedanken galten meiner Frau und meinem 15-monatigen Baby. Ich versuchte immer und immer wieder, sie zu erreichen, während wir uns um die Verletzten kümmerten. Wir brachten alle so schnell wie möglich in ein Krankenhaus. Wir wussten, dass die Spitäler innert kürzester Zeit komplett überfüllt sein würden. Nach 20 Minuten, die mir wie eine Ewigkeit erschienen, erreichte ich endlich meine Frau – sie und unser Baby hatten überlebt. Sie war mit unserem Sohn in den Garten gerannt.
Viele andere hatten nicht so viel Glück. Tausende kamen ums Leben und es bricht mir das Herz, zu wissen, dass die Zahl der Todesopfer stündlich steigt. Vor den Krankenhäusern sieht man lange Schlangen, riesige Menschenmengen, die verzweifelt auf eine Behandlung warten. Und die vielen Nachbeben machen alles nur noch schlimmer. Bei jedem Nachbeben werden die Patienten in den Spitalbetten auf die Strassen gebracht. Inklusive all ihren Infusionen. Die Gefahr, drinnen zu bleiben, ist einfach zu gross.
Als ich am Samstag nach Hause ging, wurde mir das Ausmass der Katastrophe erst richtig bewusst. Das wunderschöne historische Viertel von Kathmandu liegt in Trümmern. Historische Gebäude, Tempel und unzählige Wohnhäuser standen hier früher dicht an dicht. Das Erdbeben hat jahrhundertealte Geschichte schlicht ausgelöscht. Ganz abgesehen von lebenswichtiger Infrastruktur. Nepal ist ein armes Land und wird für den Wiederaufbau all unsere Hilfe brauchen.
Wie Zehntausende Nepalesen, schlafe ich seit Samstag in einem Zelt in meinem Garten. Nicht nur meine Familie übernachtet hier, sondern auch Dutzende Nachbarn und Kollegen, die selber keinen Garten haben und deren Häuser nicht sicher sind. Auch wenn Häuser noch stehen, ist es nicht sicher, drinnen zu schlafen. Nachbeben bringen immer wieder Gebäude zum Einstürzen. Also bleiben wird draussen – trotz Regen.
Trotz allem versuchen die Leute, sich gegenseitig zu helfen. Wir teilen das wenige kostbare Wasser und die trockenen Schlafplätze. Wir glauben, dass zwei Millionen Kinder von dieser Katastrophe betroffen sind – sie brauchen jetzt dringend lebensrettende Hilfe.
Die Menschen leben in temporären und überfüllten Notunterkünften und Zeltstädten, ohne sauberes Wasser und sanitäre Anlagen. Es ist kalt und nass, es gibt kaum sauberes Trinkwasser und die Kinder werden bereits krank. Die Gefahr von Infektionskrankheiten ist riesig. Die Menschen brauchen jetzt vor allem sauberes Wasser, Nahrung, medizinische Hilfe, und Notunterkünfte. Mit jedem Tag werden die Familien verzweifelter.
Sobald wir sichergestellt hatten, dass alle unseren Mitarbeitenden in Sicherheit waren, begann Save the Children seinen Nothilfeeinsatz. Wir verteilen Zeltplanen für Notunterkünfte, Hygienepakete und spezielle Hilfsgüter für Mütter und Babys an die betroffene Bevölkerung.
Und es zeichnet sich eine zweite Katastrophe ab: Die Kinder in den betroffenen Regionen haben Traumatisches erlebt. Viele haben ihre Eltern verloren. Die Nachbeben machen sogar uns Erwachsenen eine Riesenangst, geschweige denn den Kindern. Diese Kinder brauchen dringend psychologische Betreuung. Save the Children hat jahrzehntelange Erfahrung in der Betreuung von Kindern in Krisensituationen – und wir tun auch jetzt alles dafür, dass Kinder die dringend nötige Betreuung erhalten.
Derzeit ist unsere Priorität, Menschen in abgelegenen, bergigen Regionen in der Nähe des Epizentrums mit Hilfe zu erreichen. Die Lage in Kathmandu ist schrecklich, aber die Menschen hier erhalten immerhin Hilfe. In den abgelegenen Regionen ist bisher erst wenig Hilfe angekommen. Ganze Dörfer liegen in Schutt und Asche, Erdrutsche versperren Strassen, unzählige Leichen wurden noch nicht geborgen.
Wir hoffen verzweifelt, dass die Lage nicht so schlimm ist, wie wir sie uns vorstellen. Wir werden alles Nötige tun, um den Menschen in Nepal zu helfen. Das Engagement der Weltbevölkerung und der internationalen Gemeinschaft ist beeindruckend. Doch ich kann euch versichern, dass es noch sehr viel mehr Hilfe brauchen wird.
Dieser Augenzeugenbericht erschien zuerst am 28. April 2015 in der australischen «Herald Sun».