In Sri Lanka findet gerade eine Revolution mit Ankündigung statt: Seit Monaten gehen Menschen auf die Strasse, um ihren Präsidenten Gotabaya Rajapaksa loszuwerden. Denn der Inselstaat südlich von Indien mit seinen etwa 22 Millionen Einwohnern erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Grossbritannien 1948.
Am Mittwoch war der 73 Jahre alte Präsident dann endlich weg. Faktisch entmachtet flog er gemeinsam mit seiner Frau in einer Militärmaschine in das nahe gelegene Urlaubsparadies Malediven, wie die Behörden beider Länder bestätigten.
Doch dann schlägt der Jubel in Wut um:
Der Sprecher des Parlaments verkündete am Mittwochnachmittag in einer im Fernsehen übertragenen Rede, dass Noch-Präsident Gotabaya Rajapaksa am Mittwoch seinen Rücktritt offiziell einreichen wolle – so wie er es zuvor wiederholt angekündigt hatte.
Doch bis zum frühen Donnerstag ist die Kündigung noch nicht eingetroffen, sagte ein Berater von Parlamentspräsident. Und so garantiert der offizielle Präsidentenstatus Rajapaksa weiterhin Immunität vor Strafverfolgung, wie es in Medienberichten hiess.
Update folgt.
Als am Mittwoch bekannt wurde, dass Rajapaksa das Land verlassen hatte, jubelten die Protestierenden in der Hauptstadt Colombo. Doch diese Freude hielt nur kurz an, denn auf die Pest folgte die Cholera: Noch am selben Tag wurde der ebenfalls unpopuläre Premierminister Ranil Wickremesinghe übergangsweise zu Rajapaksas Nachfolger bestimmt.
Und anstatt zu schlichten, verkündete der 73-Jährige kurz nach seinem Antritt einen Ausnahmezustand, verhängte eine Ausgangssperre und wies das Militär an, die Kontrolle zu übernehmen.
Trotzdem marschierten einige Hundert Menschen zum Büro des Premierministers, drängten durch die Tore und besetzen das Gebäude – so wie sie seit dem vergangenen Wochenende auch das Büro des Staatschefs und die offiziellen Residenzen des Präsidenten und Premierministers besetzt hatten.
Am Mittwoch setzten Sicherheitskräfte rund um das Büro des Premiers Tränengas gegen Protestierende ein, die lautstark den Rücktritt von Wickremesinghe forderten. Einige Steine wurden geworfen, wie Fernsehbilder zeigten. Mindestens 35 Menschen – fast ausschliesslich Protestierende – wurden dabei nach Angaben des grössten Krankenhauses Colombos verletzt.
Die Opposition in Sri Lanka plant unterdessen, im Parlament einen Misstrauensantrag gegen Premierminister Wickremesinghe zu stellen.
Der Unmut der Bevölkerung gründet in mehreren Aspekten, wie der Experte Remo Reginold in der «SRF»-Nachrichtensendung 10vor10 analysiert:
Aufgrund weltweit steigender Rohstoffpreise und unterbrochene Lieferketten wegen des Krieges in der Ukraine würden vor allem Benzin und Gas zum Kochen in Sri Lanka massiv teurer.
Die Corona-Pandemie hat den wirtschaftlich wichtige Tourismussektor stark geschwächt, weshalb wichtige Einnahmen für das Land fehlten.
Und politische Strukturen mit einer korrupten und quasi-autokratischen Regierungsfamilie sowie der vergangene Bürgerkrieg hätten das Land finanzielle ausgeblutet. Nach dem Krieg hätten wirtschaftliche Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen in Grossprojekte die Staatsverschuldung noch vergrössert. Mit Steuersenkungen als eingelöste Wahlversprechen wurde der finanzielle Spielraum noch enger. Schulden von 50 Milliarden Dollar häuften sich an.
In der Folge wirbelte der Abwärtsstrudel: Es fehlte Geld, um im Ausland Treibstoff oder Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen. Die Protestierenden machten den jetzt geflüchteten Präsidenten und dessen Familie für ihr miserables Leben verantwortlich. Es folgten die Rücktrittsforderungen.
Bilder gingen um die Welt, wie verzweifelte Menschen vor Tankstellen in ellenlangen Schlangen stundenlang nach Benzin oder Diesel anstanden oder eben auch nach Gas zum Kochen. Der öffentliche Verkehr brach immer wieder zusammen – ebenso die Stromversorgung im Land.
Dabei war Präsident Rajapaksa lange beliebt auf dem Inselstaat südlich von Indien, und seine Familie hielt sich ebenfalls lange an der Macht. Er und sein Bruder wurden von der singhalesisch-buddhistischen Mehrheit sogar als Helden gefeiert, die einen 26 Jahre langen Bürgerkrieg mit Zehntausenden Opfern beendeten, indem sie einen Aufstand tamilischer Rebellen brutal niederschlugen.
Nur, mit einem Wechsel an der Staatsspitze ist das Problem nicht gelöst: Das UN- Nothilfebüro warnte im Juni, die Krise könne eine sich anbahnende Hungerkrise verschärfen. Das Land brauche jetzt vor allem frisches Geld. Darum solle der Internationale Währungsfonds (IMF) einspringen.
Sri Lanka sendet inzwischen Signale in alle Welt aus. Indien und China oder der Golfstaat Katar sollen helfen. Aber auch Russland soll mit einem Kredit helfen, damit Sri Lanka den so dringend benötigten Treibstoff einführen kann. Ausserdem bemüht sich das Land, die Staatsschulden umzustrukturieren – also Bedingungen und Laufzeiten für Rückzahlungen zu ändern.
(Newsdesk/sda/dpa)