Sri Lankas Tankstellen pfeifen aus dem letzten Loch. Nur noch 4000 Tonnen Benzin gibt es im ganzen Land – das ist der Stand von vor zwei Tagen. Normalerweise verbraucht das 21-Millionen-Einwohner-Land diese Menge an einem Tag. Doch normal ist hier schon länger nichts mehr.
Die Schulen sind geschlossen. Lehrer und Eltern werden Opfer von Treibstoff-Rationierungen. Bereiche, welche nicht zur elementaren Grundversorgung beitragen, erhalten keinen Sprit mehr. Doch auch bei der Grundversorgung hapert es: Medikamente fehlen, einige Nahrungsmittel wie Tomaten kosten das Fünffache. Zum ersten Mal seit Bestehen des Landes muss Reis importiert werden. Wer Gas für den Kochherd will, steht Stunden an.
Früher erschwingliche Dinge des alltäglichen Gebrauches kosten plötzlich ein Vermögen. Stundenlange Stromausfälle sind jetzt Normalität. Ein Land und seine Bevölkerung sind bankrott, die Stimmung ist explosiv.
Damit die Rationierungen eingehalten werden, bewacht das Militär die Tankstellen. Trotzdem kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Im April wird ein Motorradfahrer bei einem Streit vor einer Tankstelle erschossen. Mitte Juni eröffnen Militärangehörige das Feuer auf eine Gruppe von Demonstranten, als sie mit Steinen attackiert werden. Mindestens sieben Menschen werden dabei verletzt.
Tote gibt es, als Premierminister Mahinda Rajapaksa seinen Rücktritt gibt. Bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und regierungsfreundlichen Gruppen sterben sieben Menschen, über zweihundert werden verletzt. Der Ex-Premierminister muss vom Militär gerettet werden. Der wütende Mob zerstört derweil dessen Quartier.
Wie verzweifelt die Lage auf der tränenförmigen Insel ist, zeigen auch die Massnahmen der Regierung. Seit Juni gilt für Arbeiter im öffentlichen Sektor die Viertageswoche. Der zusätzliche Tag soll dazu genutzt werden, Nahrungsmittel anzupflanzen und Äcker zu betreiben. Sri Lankerinnen und Sri Lanker im Ausland werden angehalten, möglichst viel Geld in die Heimat zu senden. Es ist die wichtigste Einnahmequelle des Landes. Doch das Gegenteil passiert. Statt der üblichen 600 Millionen Dollar pro Monat treffen nur noch 318 Millionen zu Hause ein. Das Land ist zahlungsunfähig, die Kredite können nicht mehr bedient werden, die Reserven sind aufgebraucht.
Sri Lanka leidet unter dem Ukraine-Krieg. Die weltweit steigenden Nahrungsmittelpreise spürt man hier besonders stark. Ausserdem riss die Pandemie ein riesiges Finanzloch in die Staatskasse. Der Tourismus ist mit 12 Prozent der drittwichtigste Sektor hinter der Textilindustrie und den Geldsendungen der Ausland-Sri-Lanker. Dieses Geld fehlt nun.
Aber die Krise ist auch hausgemacht. Mit Ausnahme der Jahre 2015 bis 2019 stellt die Familie Rajapaksa seit fast 20 Jahren den Präsidenten, zuerst mit Mahinda Rajapaksa, seit 2019 mit Gotabaya Rajapaksa. Dieser macht seinen älteren Bruder und Ex-Präsidenten gleich zum Premierminister. Andere Verwandte nehmen ebenfalls wichtige Regierungspositionen ein – der Nepotismus-Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen, genauso wie einige Fehlinvestitionen. Mit chinesischem Geld hätte am Hafen von Colombo ein künstliches Wohn- und Geschäftsviertel entstehen sollen. Doch die Kredite konnten nicht mehr bedient werden. Jetzt gehört das Projekt China.
Steuersenkungen nach Amtsantritt von Gotabaya Rajapaksa sorgen dafür, dass Sri Lanka unter dem neuen Präsidenten mit 25 Prozent weniger Geld haushalten muss. Damit löste er ein Wahlversprechen ein – genauso wie mit dem Verbot für chemische Düngemittel, Pflanzenschutzmittel und Pestizide im April 2021. Sämtliche Bauern des Landes müssen neu auf Bio-Landwirtschaft setzen – ohne Vorlaufzeit, Schulung oder Übergangsfrist. Rajapaksa deklarierte das Vorgehen als Massnahme für die Gesundheit der Bevölkerung, Kritiker glauben, das Verbot sei eine Massnahme, um die Import-Export-Statistik des Landes zu entschärfen. Die Ernteausfälle sind nun mitverantwortlich für die Rekordpreise von Nahrungsmitteln.
Ein Ausweg aus der Situation zeichnet sich aktuell nicht ab. Die Hoffnung liegt nun auf dem neuen Premierminister Wickremesinghe. Der erfahrene Politiker besetzt das Amt bereits zum fünften Mal. Er soll mit einer Übergangsregierung unter Beteiligung der Oppositionsparteien wieder für Stabilität sorgen.
Indien und China helfen derweil mit Übergangskrediten. Die grosse Hoffnung lautet aber Internationaler Währungsfonds. Erste Verhandlungen über ein Drei-Milliarden-Rettungspaket haben bereits stattgefunden. Der IWF stellt allerdings gewisse Bedingungen – zum Beispiel politische Stabilität. Es ist noch ein weiter Weg für Sri Lanka.