Vom Tsunami erfährt Pius Ott etwa um 10.30 Uhr am Mittwochmorgen. Er ist von der Grossstadt Sendai in Richtung Süden unterwegs. «Ich war etwa 15 Kilometer ausserhalb der Stadt, als plötzlich diverse Warnmeldungen auf meinem Telefon aufploppten», erzählt Ott.
Diese seien allerdings alle auf Japanisch gewesen, sodass er sie zuerst mit einer App übersetzen musste. Dann verstand auch Ott die Warnung:
Genau das tut Ott dann auch. Gleichzeitig zu den Warnmeldungen geht Sirenengeheul los und aus Lautsprechern ertönen weitere Warnungen, von denen Ott nur «Tsunami! Tsunami! Tsunami!» versteht. «Im ersten Moment hatte ich Panik», berichtet Ott. «Ich fuhr nämlich wirklich direkt an der Küste entlang und stellte mich darauf ein, dass da jeden Moment eine grosse Welle auf mich zurollen könnte.»
Pius Ott hält sich gerade an der Pazifikküste Japans auf. watson erreicht ihn in der Kleinstadt Minamisoma in der Präfektur Fukushima, etwa 270 Kilometer nördlich von Tokio. Ott ist während mehrerer Monate auf dem Fahrrad unterwegs. Sein Plan: Quer durch Japan fahren und danach durch Südkorea und China bis nach Hongkong.
Pius Ott erzählt, dass er sich immer mehr beruhige, je weiter er sich ins Landesinnere bewege. Einerseits gebe es entlang des Weges immer wieder Markierungen, die anzeigten, wie hoch über dem Meeresspiegel er sich befinde und wo man vor Tsunamis Schutz finde.
Andererseits realisiert Ott, dass die Einheimischen recht gelassen auf die Situation reagieren. «Ich habe den Eindruck, die Leute sind sich solche Situationen hier gewöhnt und gehen recht routiniert damit um.»
Zum Zeitpunkt der Tsunami-Warnung befindet sich Ott genau in dem Gebiet Japans, das schon 2011 von einer Tsunami-Welle getroffen wurde. Damals zerstörten die Wellen auch Teile des Kernkraftwerks Fukushima. Gemäss Ott schaut es danach aus, als würde dieser Tsunami glimpflicher ablaufen. Die japanische Wetterbehörde hat die Tsunami-Warnung teilweise herabgestuft. Die Warnungen für die nördliche Hauptinsel Hokkaido sowie die nordöstliche Region Tohoku bleiben dagegen vorerst bestehen.
Trotzdem entscheidet sich der gebürtige Sarganser, der seit 1991 in Australien lebt, nach einigen Stunden weiterzuradeln. Dabei wagt er sich auch wieder näher an die Küste heran. Er erzählt: «Bis zu diesem Zeitpunkt war 30 Grad und schönster Sonnenschein. Plötzlich aber fand ich mich in einem dichten Nebelfeld. Die sind durch die Tsunamiwellen entstanden.»
Und noch etwas anderes findet er ungewöhnlich:
Die Flüsse seien unruhig gewesen, hätten Wellen ins Landesinnere getragen. «Die Region hat aber viel investiert in den letzten Jahren, um eine weitere Katastrophe abzuwenden. Über die ganze Küste hinweg gibt es Seemauern, die die Wellen brechen. Und die Flüsse können mittels Dämmen gestaut werden.»
Bis jetzt sei es zu keinen Schäden gekommen, so Ott. Er hat sich für die Nacht in einem Hotel in der Küstenstadt Minamisoma einquartiert – allerdings etwa zwei Kilometer vom Meer entfernt.