Sydney nach Attentat am Bondi Beach unter Schock: «Es war die absolute Hölle auf Erden»
Mindestens zehn Menschen, darunter einer der mutmasslichen Täter, sind bei einem Angriff am Bondi Beach in Sydney ums Leben gekommen. Ein zweiter mutmasslicher Schütze befindet sich in Polizeigewahrsam, sein Zustand ist bislang unklar. Zwölf weitere Menschen wurden verletzt, darunter zwei Polizeibeamte. Zudem wurde am Tatort ein mutmasslicher improvisierter Sprengsatz (IED) entdeckt, der vom Bombenentschärfungsdienst untersucht wurde.
Was sich in diesen nüchternen Zahlen zusammenfasst, begann an einem Sommerabend, der kaum australischer hätte sein können. Bondi Beach, einer der beliebtesten Strände Sydneys war an diesem Sonntag – bei rund 30 Grad und schon tief stehender Sonne – eigentlich ein Bild der Idylle. Familien sassen im Sand, Kinder spielten am Wasser, Touristen schlenderten entlang der Promenade, als Schüsse die Strandidylle zerrissen.
In sozialen Netzwerken verbreiten sich Videos vom Tatort: Menschen rennen vom Strand weg, andere liegen am Boden, Ersthelfer knien neben den Verletzten. Szenen, die sonst eher mit den USA als mit Australien verbunden werden – einem Land mit strengen Waffengesetzen und vergleichsweise wenig Schusswaffengewalt.
Während Chanukka-Feier der jüdischen Gemeinde
Der NSW-Rettungsdienst (NSW Ambulance) wurde nach eigenen Angaben um 18.45 Uhr (Ortszeit) alarmiert. Zunächst bestätigte der Dienst, dass sechs Menschen mit Schussverletzungen in umliegende Krankenhäuser gebracht worden seien. Später folgte die Korrektur, und die Zahlen der Toten und Verletzten stiegen dramatisch an. 25 Rettungseinheiten waren im Einsatz, darunter Hubschrauber.
Besonders brisant ist der Kontext. Zum Zeitpunkt der Schüsse fand am Strand eine Veranstaltung der jüdischen Gemeinde statt, organisiert zur ersten Nacht von Chanukka, dem jüdischen Lichterfest. Hunderte Menschen waren zusammengekommen, viele Familien mit Kindern.
Alex Ryvchin, Co-Geschäftsführer des Executive Council of Australian Jewry (ECAJ), sagte im Radiosender 2GB, die Schiesserei habe sich während dieser Veranstaltung ereignet. Der Mediendirektor der Organisation sei verletzt worden. «Hunderte von Menschen waren versammelt. Es ist eine Familienveranstaltung», sagte Ryvchin. «Sie hörten dutzende knallende Geräusche. Und die Leute fingen einfach an zu rennen, über Absperrungen zu rennen, ihre Kinder zu schnappen. Es war Chaos.» Und weiter: «Ich glaube nicht, dass dies ein Angriff war, der zufällig am Bondi Beach stattfand. Ich denke, das war sehr bewusst und sehr gezielt.»
«Hölle auf Erden»
Augenzeugenberichte zeichnen ein Bild von Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Ein Zeuge sagte dem öffentlich-rechtlichen Sender ABC, die Schüsse hätten etwa zehn Minuten lang angedauert – «die absolute Hölle auf Erden». Er habe Menschen in Blutlachen liegen sehen. Ein anderer Mann berichtete gegenüber ABC, er habe zwei schwarz gekleidete Schützen auf einer Fussgängerbrücke nahe eines Parkplatzes gesehen, die auf die im Park versammelten Menschen gefeuert hätten.
Auch weiter oben, in den Restaurants mit Blick auf den Strand, griff die Panik um sich. Elizabeth Mealey, ehemalige Journalistin und Anwohnerin aus Randwick, sass im Restaurant Icebergs, als sie die Schüsse hörte. «Wir dachten, es sei Feuerwerk, aber das war es nicht. Es war etwas viel Schlimmeres», sagte sie zu ABC. «Die Leute fingen an, den Strand hochzurennen. Es war Panik.»
Premierminister Anthony Albanese sprach noch am Abend von «schockierenden und verstörenden» Szenen. Auch der Premier von New South Wales, Chris Minns, zeigte sich «zutiefst verstört» angesichts der Berichte und Bilder aus Bondi.
Schmerzhafte Erinnerungen
Für viele Australier weckt die Tat schmerzhafte Erinnerungen. Erst im April 2024 war der Stadtteil Bondi von einem Amoklauf erschüttert worden. Am 13. April griff der 40-jährige Joel Cauchi im Einkaufszentrum Westfield Bondi Junction wahllos Menschen mit einem Messer an. Sechs Menschen wurden getötet, mindestens zwölf weitere verletzt, darunter ein Baby. Der Täter, der an Schizophrenie litt, wurde von der Polizeibeamtin Amy Scott im Einkaufszentrum gestellt und erschossen.
Die erneute Gewalttat trifft Australien zudem in einer ohnehin angespannten sicherheitspolitischen Lage. Erst im August zuvor hatte Albanese in Canberra einen diplomatischen Schritt von historischem Ausmass verkündet: Australien wies den iranischen Botschafter aus – erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg, wie die Regierung betonte. Zugleich schloss Canberra seine Botschaft in Teheran.
Nach Angaben der Regierung soll der Iran mindestens zwei Angriffe auf jüdische Einrichtungen in Australien gesteuert haben: auf die Adass-Israel-Synagoge in Melbourne sowie auf das Restaurant Lewis’ Continental Kitchen in Sydney. Teheran wies die Vorwürfe zurück. Ob die Schüsse von Bondi in direktem Zusammenhang mit diesen Vorwürfen stehen, ist derzeit nicht bekannt. Die Polizei äusserte sich dazu nicht. Doch der Zeitpunkt – am ersten Abend von Chanukka – und der Ort lassen viele Fragen offen.
Bondi Beach steht für australische Leichtigkeit, für Sommer, Freiheit und Unbeschwertheit. Dass ausgerechnet hier, an einem warmen Sonntagabend, Menschen um ihr Leben rennen, erschüttert das Land. Während Ermittler Hintergründe und Motive prüfen, bleibt ein Gefühl, das sich nur schwer vertreiben lässt: dass Australien, bislang weitgehend verschont von solcher Gewalt, zunehmend Teil einer globalen Eskalation geworden ist. (aargauerzeitung.ch)
