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Reportage: Ein Nachmittag mit der Sanität am Oktoberfest

Sanitäter am Oktoberfest
Das Team der Wiesn-Sanis bei einem Einsatz: Besonders Gaffer sind problematisch.Bild: Jannik Läkamp/t-online

«Der Alkohol ist gar nicht das Problem»: Ein Nachmittag mit der Sanität am Oktoberfest

Das Oktoberfest ist das grösste Volksfest weltweit und mutmasslich auch das mit den meisten Alkoholleichen. Die meisten davon landen beim Rettungsdienst.
29.09.2023, 18:0829.09.2023, 18:23
Daniel Salg, Jannik Läkamp / t-online
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t-online

«Einsatz für Trage 73/3», schallt es über den Hinterhof der Sanitätsstation der Wiesnwache. Für Alex Klapper (22) und seinen Kollegen Stefan Seibt (45) heisst das: Es geht wieder los. Sie rücken zusammen mit drei weiteren Sanitätern aus. Gemeinsam bilden sie ein Sanitätsteam auf der Wiesnwache. t-online begleitet sie einen Nachmittag lang auf dem grössten Volksfest der Welt.

Sanitäter am Oktoberfest
Erster Einsatz für das Team: Ausgerückt wird von der Wache im Westen der Theresienwiese.Bild: Jannik Läkamp/t-online

Viel wissen sie noch nicht über den Einsatz, als sie mit ihrer rollenden Trage – quasi ihr Rettungswagen zum Schieben – vom Behördenhof auf dem Westteil der Theresienwiese ausrücken. Einzig ein Stichwort ist ihnen bekannt: Kreislauf. Nichts, was Verwunderung bei dem Team auslöst. Einsätze wegen Kreislaufproblemen seien zurzeit – wegen des guten Wetters – die häufigsten auf dem Oktoberfest.

Also keine Eile? Doch, wie dringend sie gebraucht werden, wissen die Sanitäter meist erst nach dem Einsatz. Gerade einmal etwas mehr als vier Minuten brauchen sie auf der Wiesn durchschnittlich bis zum Einsatzort. Auch heute stehen sie innerhalb weniger Minuten dort, wo man sie braucht.

Gaffer gehören zum Alltag

In diesem Fall ist das ein kleiner Stand neben dem Bräurosl-Festzelt. Dort liegt eine ältere Dame am Boden. Ihre Füsse hat sie nach oben auf einen Stuhl gestreckt, eine Ärztin ist schon zufällig als Ersthelferin vor Ort gewesen. Der Verdacht der Sanitäter bestätigt sich: der Dame ist vermutlich wegen der Hitze schlecht geworden. Sie ist sichtlich erschöpft, aber bei Bewusstsein.

Sanitäter am Oktoberfest
Die ältere Dame liegt am Boden: Eine Ärztin war zufällig schon vor Ort und konnte Erste Hilfe leisten.Bild: Jannik Läkamp/t-online

Direkt vor Ort checkt das Team Blutzucker, Sauerstoffsättigung und die übrigen Vitalparameter. Nichts Auffälliges – es bleibt also ein Routineeinsatz. Routine ist leider auch das, was Kollege Merlin Assmann erlebt, während die anderen drei an der Patientin arbeiten: Ein Passant bleibt stehen und starrt die am Boden Liegende an. «Bitte weitergehen», sagt Assmann bestimmt.

Es wird nicht der letzte Gaffer sein, der ihnen im Laufe des Einsatzes begegnet. Genau deshalb ist die Trage des Teams mit einem blauen Sichtschutz ausgestattet. Darunter verstecken sie auch diese Patientin vor lästigen Blicken und schieben sie Richtung Wache.

Auf der Wiesn steht eine kleine Klinik

Das Wort Wache ist in diesem Fall aber fast untertrieben. Der Rettungsdienst unterhält nämlich auf dem Festgelände eine kleine Klinik. Neben 19 Liegeplätzen gibt es dort eine Art Schockraum und sogar einen mobilen Computertomografen. Rund um die Uhr sind hier Pfleger und Ärzte vor Ort. Die kümmern sich nun auch weiter um die Patientin. Das Sanitätsteam ist damit wieder einsatzbereit.

Sanitäter am Oktoberfest
Die Patienten auf dem Oktoberfest werden auf solchen Tragen transportiert: Der blaue Aufbau soll sie vor Gaffern schützen.Bild: Jannik Läkamp/t-online

Alle fünf Sanitäter haben sich freiwillig zum Dienst auf der Wiesn gemeldet und bekommen für ihren ehrenamtlichen Einsatz lediglich eine Aufwandsentschädigung. «Würde es mir keinen Spass machen, wäre ich nicht hier», sagt Klapper.

Sein Kollege Seibt sieht es genauso, er macht im Leben abseits des Oktoberfests einen Bürojob bei der Lufthansa. Für den Sanitätsdienst auf der Wiesn nimmt er sich seit 2018 extra Urlaub, zudem hat er in seiner Freizeit eine entsprechende Ausbildung absolviert.

Ob Betrunkene ihnen die Arbeit hier nicht schwer machen? «Der Alkohol ist gar nicht das Problem», findet Klapper, «sondern eher die Folgen davon. Das, was der Alkohol mit den Menschen macht.» Damit meint er Brüche von Trunkenbolden ebenso wie klaffende Wunden nach Schlägereien. Generell unterscheide sich die Arbeit auf der Wiesn aber kaum vom normalen Rettungsdienstalltag, von Brüchen bis hin zu Schlaganfällen sei alles dabei.

Bis zu 12 Teams gleichzeitig auf der Wiesn

In Stosszeiten sind bis zu zwölf Sanitätsteams gleichzeitig auf dem Oktoberfest unterwegs. Der nächste Einsatz führt das Team um Alexander Klapper und Stefan Seibt heute zu einer alten «Bekannten»: Eine chinesische Staatsbürgerin braucht ihre Hilfe. Einige Stunden zuvor waren sie schon einmal zu ihr gerufen worden.

Beim ersten Einsatz habe sich die Frau nur unwohl gefühlt. Sie leide an psychischen Vorerkrankungen und nehme deshalb Medikamente ein. Sie und ihr Mann hatten nach dem ersten Einsatz den Sanitätern versichert, das Oktoberfest zu verlassen. Darum liess das Team die beiden ziehen.

Nun also stehen sie wieder vor der Frau. Anstatt heimzugehen, habe sie noch eine Mass getrunken. Aber bloss eine, so ihr Mann. Sicher ist: Das war keine gute Idee, jetzt ist die Frau definitiv ein Fall für die Ärzte in der Wiesnklinik. Sie wirkt sichtlich benommen und reagiert nur noch träge auf die Fragen des Teams. Wohl weil sich ihre Medikamente nicht mit Alkohol vertragen, vermutet Klapper.

Sanitäter am Oktoberfest
Als die Sanitäter eintreffen, liegt auch diese Patientin am Boden: Sie kennen sie bereits von einem vorherigen Einsatz.Bild: Jannik Läkamp/t-online

Der amtierende «Mass-König»

Ob die Dame wirklich nur ein Bier getrunken hat? Das werden die fünf nicht erfahren. In der Wiesnklinik messen die Ärzte den Blutalkoholwert nur bei besonders stark alkoholisierten Patienten. Die krassesten Fälle haben sogar die Chance, mit ihren Werten auf einem Whiteboard in der Sanitätsstation zu landen.

Sanitäter am Oktoberfest
Eine Statistik, die wohl abschrecken soll: Alkoholisierte Patienten haben die Chance, «Mass-König» zu werden.Bild: Jannik Läkamp/t-online

Der amtierende «Mass-König», so bezeichnen sie hier den am stärksten alkoholisierten Patienten, kam nach 10 Mass Bier auf die Sanitätsstation. Nach sechs Stunden ausnüchtern hatte er noch unrühmliche 2.08 Promille im Blut. So schlimm ist es bei der Frau zum Glück nicht.

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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lynx
29.09.2023 21:09registriert Juni 2021
Schon krass: Da wird so viel Geld umgesetzt, aber die Sanitäter:innen werden nicht bezahlt...
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Janster
29.09.2023 18:48registriert März 2021
"Alkohol ist nicht das Problem nur die Folgen davon". Das ist für mich genau die Definition von Problemen mit Alkohol. Der Alkohol als Substanz ist erst Mal unproblematisch aber wenn er getrunken wird in den entsprechenden Mengen hat das oft entsprechende Konsequenzen
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Feuerblümchen
29.09.2023 19:33registriert Juli 2019
Die Sanitäter arbeiten ehrenamtlich, machen hauptberuflich was anderes und werden kaum bezahlt, aber man baut einen Schockraum auf und organisiert ein mobiles CT? Sachen gibts..
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