Welches Bild wird bleiben, wenn man sich an Angela Merkels lange Amtszeit erinnert? Der verweigerte Handschlag von Donald Trump? Der Labrador, mit dem Wladimir Putin die Hunde-Phobikerin einzuschüchtern versuchte? Oder halt doch die Raute, diese etwas spezielle Geste, die zum Markenzeichen der deutschen Bundeskanzlerin wurde?
Die Raute steht für Vernunft und Stabilität. Für Verlässlichkeit und Integrität. Alles Eigenschaften, die die Deutschen an ihrer Regierungschefin schätzen. Nach 16 Jahren im Amt ist Merkel so populär wie kaum je zuvor. Im ZDF-Politbarometer liegt die 67-Jährige mit deutlichem Abstand vor SPD-Vizekanzler und Möchtegern-Nachfolger Olaf Scholz.
Am Ende wird Angela Merkel gleich lang regiert haben wie ihr «Ziehvater» Helmut Kohl. Einen grossen Unterschied aber gibt es: Merkel tritt freiwillig ab, während Kohl nicht von der Macht lassen konnte, obwohl seine letzte Legislatur eine zu viel war. Prompt verlor er 1998 die Wahl gegen Gerhard Schröder, später versackte er im Sumpf einer Parteispendenaffäre.
Heute erinnert sich kaum jemand daran, denn Kohls Image als «Kanzler der Einheit» überstrahlt alle seine Versäumnisse und Fehlleistungen. Was aber bleibt von Merkel? Ihre nicht wenigen Kritiker von rechts meinen, Deutschland habe ihre Regierungszeit nur dank der starken Wirtschaft überstanden, die man Schröders Agenda 2010 verdanke.
2005 war die CDU-Politikerin mit einem wirtschaftsliberalen Programm zur Bundestagswahl angetreten und hätte beinahe gegen den angeschlagenen Schröder verloren. Diese Erfahrung hat Angela Merkel geprägt. Selbst wohlwollende Gemüter attestieren ihr, sie habe im Kanzleramt kaum Visionen entwickelt, sondern in erster Linie den Status Quo verwaltet.
Vielleicht passt das zu ihrer Vita. Die 1954 als Angela Kasner in Hamburg geborene und in der DDR aufgewachsene Pfarrerstochter zeigte nie viel Risikofreude. Die promovierte Physikerin war auf Distanz zum SED-Regime, aber keine Dissidentin. Politisch aktiv wurde sie erst in der Wendezeit. Viele ehemalige DDR-Bürger fremdeln bis heute mit ihr.
Oft hat man sie unterschätzt, nicht zuletzt ihren Machtinstinkt. Auch darin erinnert sie an Helmut Kohl. Wie dieser räumte sie potenzielle Rivalen resolut aus dem Weg – Roland Koch oder Friedrich Merz können darüber Choräle singen. Gleichzeitig besetzte sie die politische Mitte, indem sie Themen wie Homo-Ehe oder Atomausstieg übernahm.
Darunter litt vor allem die SPD, die trotzdem zwölf Jahre mit ihr in einer «grossen Koalition» regierte. Zu eigentlicher Hochform lief Merkel während Krisen auf, von denen es nicht wenige gab: Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise und nun die Coronakrise. Das brachte ihr vor allem im Ausland grossen Respekt und regelrechte Bewunderung ein.
Das Magazin «Forbes» krönte sie neunmal zur «mächtigsten Frau der Welt». Nach der Flüchtlingskrise 2015 und dem denkwürdigen Satz «Wir schaffen das» ernannte «Time» sie zur «Person des Jahres» und bezeichnete sie kurzerhand als «Kanzlerin der freien Welt». Es war ein Statement mit Blick auf Populisten wie Donald Trump und Viktor Orban.
Ihre Bilanz aber bleibt zwiespältig. Die Flüchtlingskrise machte auch die AfD stark. Und in der Euro-Schuldenkrise verhinderte sie den von Finanzminister Wolfgang Schäuble angestrebten Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone. «Aber sie hatte nie eine Vision, wie es danach weitergehen soll», sagte der damalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis der BBC.
Der Euro bleibt ein fragiles Konstrukt. Und in Griechenland war Angela Merkel wegen ihrer Sparauflagen regelrecht verhasst, es gab Bilder der Kanzlerin in Nazi-Uniform. Heute sind ihr viele Griechen dankbar, dass ihr Land den Euro behalten konnte, ebenso für die Aufnahme der auf der Balkanroute Richtung Westen ziehenden Flüchtlinge.
Der humanitäre Lack bröckelte schon bald. 2016 wurde zu Angela Merkels «Annus horribilis». Es begann mit der Silvesternacht in Köln und endete mit dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Dazwischen gab es weitere Terrorakte, sie machten der «Willkommenskultur» den Garaus. 2016 war auch das Jahr von Brexit und Donald Trump.
Die Kanzlerin vertagte deshalb ihren für 2017 geplanten Rücktritt. Heute fragt man sich wie bei Helmut Kohl, ob sie nicht vier Jahre zu lange regiert hat. «Wir haben einen riesigen Reformstau», sagte der SPD-nahe Ökonom Marcel Fratzscher der Agentur dpa. Das gelte für den Klimaschutz, die digitale Transformation, die wirtschaftliche Transformation, den Wettbewerb mit China und USA oder die «soziale Polarisierung».
Angela Merkel hat oft über die Digitalisierung geredet, aber wenig geliefert. Ein deutscher Kollege nahm an einem Hintergrundgespräch teil, an dem die Kanzlerin ihre Digital-Strategie vorstellte. Sein Fazit: «Sie hat keine.» Die Wirtschaftsmacht Deutschland gilt als «Funkloch Europas», in der Coronakrise ratterten auch in deutschen Gesundheitsämtern die Faxgeräte.
Eine «Unvollendete» bleibt Merkels Energiewende. Der Ausbau der Erneuerbaren ist ins Stocken geraten. Im ersten Halbjahr 2021 hat die Kohle die Windkraft vom ersten Platz bei der Stromerzeugung verdrängt. Dahinter folgt die Kernenergie, dabei soll der Atomausstieg 2022 abgeschlossen sein, bei auch in Deutschland wachsendem Strombedarf.
In der Coronakrise gerieten vor allem die Beschäftigten im Billiglohn-Sektor unter Druck. Und wegen der Überalterung der Bevölkerung kommen die Rentensysteme in Schieflage. «Jetzt entscheidet sich, wohin Deutschland in den nächsten 50 Jahren steuert», meinte Marcel Fratzscher, einer der meistbeachteten Ökonomen des Landes.
Angela Merkel hinterlässt der neuen Regierung viele Baustellen, ebenso der Europäischen Union, für die sie im Gegensatz zu Helmut Kohl nie Herzblut vergoss. Deutschlands Rolle in der Welt bleibt eine permanente Herausforderung. Und sie hinterlässt eine CDU, die sich in einer Identitätskrise befindet und womöglich in der Opposition erneuern muss.
Der «Spiegel» bezeichnete Merkels Amtszeit als «Ära der verpassten Chancen». Es ist die Kehrseite einer Politik, die auf Stabilität zielte, aber frei von Visionen war. Ihre Popularität ist trotzdem erklärbar. Die Deutschen haben aufgrund ihrer wechselvollen Geschichte ein grosses Bedürfnis nach Sicherheit, gerade in Krisenzeiten.
Die Raute-Kanzlerin konnte es befriedigen. Angela Merkel selbst beantwortete an einem Podium mit der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie die Frage, ob sie ruhigen Gewissens aus dem Amt scheide, mit einem sehr klaren «Ja». Sie meinte aber auch, das Land brauche jetzt etwas Neues. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Sie haben weder eine Vision noch Strategie(en)…
Letztlich sind viele nur Verwalter, die sich am Ende eben nur um ihre eigene Karriere kümmern, aber nicht ernsthaft um das Unternehmen von welchem sie ihr üppiges Salär bezirhen…
Ja doch, da ist viel gelaufen.
Damit das Haus gut aussieht wurde hie und da etwas übertrieben renoviert (goldene Türklingeldrücker oder neue Treppenhausleuchten) aber die wirklich notwendigen Renovationen wie defekte Heizung, undichte Fenster oder Schimmel in den Wohnungen wurden vor sich her geschoben.
Merkel hat nie richtig regiert sondern nur verwaltet.