Andreas Schober ist wütend. Seit vielen Jahren ist er AfD-Mitglied, sitzt für die Partei im Kreistag von Elbe-Elster in Brandenburg und ist dort stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Auch durch Recherchen von t-online hat er erfahren, dass zwei Kandidaten in ihrer Bewerbung für die Europawahl bei ihren Lebensläufen falsche Angaben gemacht haben. Am Telefon sagt er: «Die AfD hat mit dieser Wahl alle Werte verkauft, für die sie eigentlich stand.»
Noch viel mehr ärgert ihn aber, dass der Bundesvorstand sich nur halbherzig daran macht, die Vorwürfe aufzuklären: Mit einem Beschluss, der die Kritisierten schützt, statt die nötigen Fragen zu stellen. Deshalb hat Schober eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Er will juristisch gegen die Wahl vorgehen. Schliesslich laute der Partei-Slogan: «Mut zur Wahrheit». Doch die Frage ist, ob die Wahl juristisch überhaupt anfechtbar ist. In jedem Fall wächst der politische Druck auf den Bundesvorstand.
Konkret geht es um mindestens zwei der 35 Europaparlaments-Kandidaten: Arno Bausemer aus Stendal und Mary Khan-Hohloch. Bausemer hatte nachweislich falsche Angaben zu seiner Ausbildung und Berufserfahrung gemacht. Bei Khan-Hohloch gibt es begründete Zweifel an ihrem Studienabschluss und ihrer Berufserfahrung. Schon auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg hatte es Proteste gegen ihre Wahl gegeben. Seitdem war die parteiinterne Kritik nicht abgeebbt.
Bei einer Vorstandssitzung gut eine Woche nach dem Eklat beschloss der Bundesvorstand um Alice Weidel und Tino Chrupalla dann tatsächlich, dass nicht nur die zwei überführten Hochstapler, sondern alle 35 Listenplätze Nachweise liefern müssen. Doch nicht so, wie sich das Schober und zahlreiche andere AfDler vorstellen.
Denn Bausemer, Khan-Hohloch und die anderen müssen zwar Belege für die Antwort auf die Pflichtfrage zur abgeschlossenen Berufsausbildung und Studium liefern, was zumindest bei Bausemer ein Problem werden könnte. Beim Punkt zur beruflichen Erfahrung müssen sie jedoch nur belegen, was sie dazu mündlich in ihrer Bewerberrede gesagt haben. Beide hatten sich in Magdeburg nicht zu ihrer Berufserfahrung geäussert. Die angebliche Aufklärung ist also ein Winkelzug des AfD-Bundesvorstandes. So könnte vor allem Weidels Vertraute Khan-Hohloch davonkommen.
Schober will das nicht akzeptieren. Schon in der Nacht nach der Vorstandssitzung schrieb er eine Nachricht in einem Telegram-Kanal der AfD. Die Nachricht verteilte sich in der Partei wie ein Lauffeuer. Er widmete sie allen «aufrichtigen, ehrlichen und mutigen Patrioten, die im Nachhinein vielleicht festgestellt haben, dass sie von bestimmten Personen belogen, betrogen und vorgeführt worden sind.»
Manche Mitglieder, auch aus Bundestag und Landtagen, hätten sich die Partei «zur Beute gemacht», schrieb Schober. Sie schreckten nicht davor zurück, die Partei massiv zu schädigen. «Das perfide daran ist, dass sich bestimmte Personen aus dem Bundesvorstand schützend über (sic!) diejenigen stellen, die mit nachweislichen Falschaussagen und Unwahrheiten unrechtmässig auf einen aussichtsreichen Listenplatz für das Europäische Parlament vorgedrungen sind.»
Weiter schrieb Schober: «Nach so einer Farce, der heutigen Sitzung des BuVos, kann man nur noch den Kopf schütteln.» Er will 60 der 600 Delegierten dazu bewegen, mit ihm beim Bundesschiedsgericht der AfD Einspruch gegen die Wahl einzulegen. «Das sind 10 Prozent. Juristen sagen mir, dass das eine gute Grösse ist, um den Einspruch auch rechtlich durchzubekommen», sagte Schober t-online.
In seinem Aufruf in den Telegramgruppen kritisiert er die Parteichefin Alice Weidel hart. Er schreibt: «Ich habe Alice stets bewundert und es ist einfach unerträglich, dass sie nichts gegen Betrug, Lüge und Korruption in der eigenen Partei unternimmt. Sie hätte es gekonnt.» Und: «Nach meiner Meinung, kann sie keine Kanzlerkandidatin werden.»
Wie viele Delegierte sein Vorhaben inzwischen tatsächlich unterstützen, dazu will Schober nichts sagen. Nur so viel: «Ich habe in den vergangenen Tagen sehr viel telefoniert.» Es seien auch Beschimpfungen dabei gewesen, Leute, die ihm parteischädigendes Verhalten vorwerfen. Aber durch sie will er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Wie genau der juristische Weg aussieht, ist für Schober noch nicht klar. Das werde am Montag besprochen, teilte er t-online mit.
Die Schiedsgerichtsordnung der AfD lässt eine sogenannte Anfechtung der Wahl zu. Darin heisst es im Paragraf 12: «Die Anfechtung ist nur begründet, wenn die Rechtsverletzung geeignet war, das Ergebnis der Abstimmung zu beeinflussen.» Diesen Tatbestand sieht Schober offenbar als gegeben an. Denn die Delegierten hätten vielleicht anders abgestimmt, hätten sie von den Falschangaben der Hochstapler gewusst.
Doch die Zeit drängt. Denn laut Satzung müssen Wahlen «binnen eines Monats, nachdem der Antragsteller von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat», angefochten werden. Der erste Parteitag fand am 29. Juli statt, die Frist läuft also möglicherweise schon am Dienstag ab. Nur in Ausnahmefällen gilt eine Frist von sechs Monaten, darauf will sich Schober aber nicht einlassen, er will kein Risiko eingehen.
Allerdings sieht die Parteirechts-Professorin Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf wenig Chancen für eine Anfechtung der Wahl: «Die Liste ist für eine ordnungsgemässe Wahl zusammengestellt worden. Es spielt keine Rolle, ob im Vorfeld jemand die Unwahrheit gesagt haben könnte.» Die AfD habe hier kein juristisches Problem, «sondern ein politisches». Der einzige Weg führe daher über die Parteispitze: «Der Bundesvorstand könnte entscheiden, die Wahl neu durchzuführen. Das ist der einzige Weg.» Dass die Liste nachträglich angepasst wird, sei dagegen nicht zulässig.
Schober dagegen sieht das offenbar anders. Er lotet gerade gemeinsam mit Anwälten die Möglichkeiten aus. Und er setzt auf die Parteibasis. Für viele Mitglieder ist die Hochstapler-Affäre ein unhaltbarer Zustand. Die Frage ist: Wie gross ist die Macht dieser Basis?
Schober wünscht sich ausserdem einen Parteitag, zu dem alle Mitglieder eingeladen sind, nicht nur die 600 Delegierten. Es müsse möglich sein, dass nach dem Schweizer Vorbild der Volksentscheide «alle 33'000 Mitglieder der AfD, über die Statuten, Satzungen und die Besetzung des Bundesvorstandes» über direkte Wahlen mitentscheiden können, sagt er t-online. «Das verstehe ich unter Basisdemokratie.»
Eigentlich ist es doch Ziel der AfD, Deutschland und die Demokratie zu schädigen.
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