Weisse Strände, klares Wasser, seichter Wellengang bei Sonnenschein – vor allem in den heissen Sommermonaten zieht es viele Urlauber für einen Bilderbuch-Urlaub ans Meer. Doch die Realität sieht vielerorts leider anders aus. Im Meerwasser sammelt sich gebietsweise dichter Algenbewuchs, es kommt grossflächig zu wahren Qualleninvasionen und immer wieder werden tote Fische und Meerestiere an die Strände gespült.
Besonders für die Ostsee, die als sogenanntes Randmeer sehr flach und fast völlig von Landmassen umschlossen ist, schlagen Meeresbiologen jetzt Alarm: «Kein anderes Randmeer weltweit, für das es Beobachtungsdaten gibt, hat sich in den letzten Dekaden so schnell erwärmt», warnte Professor Markus Meier, einer der führenden Experten für Klima und Klimawandel in der Ostseeregion vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung (IOW), auf dem diesjährigen Ostseetag in Rostock.
Dabei konnten er und sein Forschungsteam einen Temperaturanstieg um 1.6 Grad im Oberflächenwasser der Ostsee allein in den letzten dreissig Jahren feststellen. Bis zum Jahr 2100 erwarten die Forschenden eine Erwärmung des Ostsee-Oberflächenwassers von bis zu 3 Grad. Dabei kippt die Ostsee stellenweise bereits jetzt – was schwerwiegende Folgen für das Leben unter Wasser und die Küstenregionen hat.
«Wir wissen noch nicht, ob die Ostsee zukünftig süsser oder salziger wird – eine entscheidende Frage in Bezug auf viele gravierende ökologische Folgeerscheinungen und die Dynamik der Ostsee», antwortet das Forschungsteam des Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde auf Anfrage von watson. Es erforscht momentan noch zu ganz genauen ‹Projektionen›, wie sich der Klimawandel auf die Ostsee in den kommenden Jahren auswirken wird.
Doch die Wasser-Erwärmung zeigt schon jetzt vielfältige indirekte Auswirkungen auf:
Diese Veränderungen zeigen sich bereits schon seit mehreren Jahren immer stärker, wie Martin Wahl, Professor für marine Ökologie am Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung, im Gespräch mit watson erklärt.
Zusätzlich gelangt durch Landwirtschaft auf dem Festland täglich ungefiltert Düngemittel durch Flüsse und über das Grundwasser in die Ostsee, die geografisch von den Meeresströmungen des offenen Atlantiks abgeschottet liegt.
Genau das provoziere gefährliche Wechselwirkungen, die sich von Jahr zu Jahr verstärken würden, warnt der Meeresbiologe:
Wenn die Planktonblüten irgendwann absterben würden, würden sie auf dem Meeresgrund von Bakterien zersetzt werden, die den Sauerstoff im Wasser verbrauchen. «Je grösser die Mengen an Plankton sind, die zersetzt werden, desto gravierender die Sauerstoffmangel-Situation am Meeresgrund – und wenn dieses sauerstofffreie Wasser mit der Strömung an die Oberfläche gelangt, dann sterben Fische und andere Meerestiere ab.»
Doch damit nicht genug: Während der Grossteil der Meeresbewohner Atemprobleme bekommt, vermehren sich bei wärmeren Temperaturen vor allem Quallen und Bakterienkulturen im Wasser schneller.
Sie ernähren sich von dem Überangebot an Nährstoffen aus Plankton und Algen, die wiederum vermehrt im Wasser auftreten, wenn es ein Überangebot an Nährstoffen im Wasser gibt. «Die Quallen profitieren also indirekt von den Bauern, die ihre Äcker überreichlich und pulsartig düngen, was dann über das Grundwasser in die Ostsee fliesst», ordnet Meeresexperte Wahl ein.
«Im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein haben wir bereits jedes Jahr so grosse Mengen an Ohren-Quallen, die dicht im Wasser schwimmen, dass man oft gefühlt schon über die Kieler Förde laufen könnte, anstatt zu schwimmen», erzählt Wahl. Allerdings sei diese Quallenart harmlos und täte den Badenden vorerst nichts: «Die sind vielleicht eklig, aber sie brennen nicht.»
Anders als Feuerquallen, die inzwischen auch im Norden Europas immer öfter gesichtet werden und momentan schon das Mittelmeer an den Küsten Italiens überlasteten. Oder auch Vibrio-Bakterienkulturen, die eigentlich ein natürlicher Bestandteil des Ostseeplanktons sind. Jedoch vermehren sie sich im Zuge des Klimawandels bei Wassertemperaturen ab 20 Grad besonders gut und stellen damit ein zunehmendes Gesundheitsrisiko auch für Menschen dar, wie ein umfangreicher Forschungsbericht des Leibniz-Instituts in Warnemünde von 2021 ergibt:
So würden Vibrio-Wundinfektionen bereits seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt während Hitzewellen beobachtet. Das Institut rät daher ausdrücklich davon ab, vor allem nach Hitzetagen zur Erfrischung in die Ostsee zu springen.
Auch wenn bereits grossflächige Veränderungen im Ökosystem der Ostsee losgetreten wurden, sehen die Forschenden trotzdem noch Handlungsmöglichkeiten, die Klimafolgen abzuschwächen. «Hier in Küstennähe planen wir, mittelfristig grosse schwimmende Kulturen von Blasentang anzulegen, einer Grossalge, die die die überschüssigen Nährstoffe aus dem Wasser saugt, um sich zu ernähren», gibt Ostseeexperte Wahl zur Aussicht. Der Blasentang werde dann abgeerntet und könne an Land als Dünger verwendet werden.
Das hätte viele Vorteile: «Unter anderem, dass nicht zusätzliche Nährstoffe ins Wasser kommen und zumindest lokal die Nährstoffe wieder herausgesaugt werden. Wir versuchen damit einen geschlossenen Kreislauf zu etablieren und dem Problem der Überdüngung, also Überfrachtung mit Nährstoffen, zu Leibe zu rücken – vorausgesetzt die Landwirte lassen sich davon überzeugen», erklärt er.
«Zumindest haben uns schon erste Landwirte zugehört. Und auch den notleidenden Fischern käme diese Alternative zugute, sie können dann, anstatt Fische zu fangen, Algen fangen.» Es gebe also noch eine Zukunftsperspektive – auch für eines der stärksten verschmutzten Ökosysteme der Welt.