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Böse Bakterien und Quallenschwärme: Was passiert, wenn die Ostsee kippt

Der Scharbeutzer Strand. Hitze in der Lübecker Bucht, 20.07.22 Schleswig-Holstein Germany *** The Scharbeutzer Strand heat in the Lübeck Bay, 20 07 22 Schleswig Holstein Germany Copyright: xAgentur54G ...
Durch die Klimakrise erhitzt sich die Ostsee, hier der Scharbeutzer Strand in der Lübecker Bucht, schneller als jedes andere Randmeer weltweit, was gravierende Folgen für die Balance in ihrem Ökosystem hat.Bild: imago-images / agentur 54 grad

Böse Bakterien und Quallenschwärme: Was passiert, wenn die Ostsee kippt

02.08.2022, 18:57
Miriam Meyer / watson.de
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Weisse Strände, klares Wasser, seichter Wellengang bei Sonnenschein – vor allem in den heissen Sommermonaten zieht es viele Urlauber für einen Bilderbuch-Urlaub ans Meer. Doch die Realität sieht vielerorts leider anders aus. Im Meerwasser sammelt sich gebietsweise dichter Algenbewuchs, es kommt grossflächig zu wahren Qualleninvasionen und immer wieder werden tote Fische und Meerestiere an die Strände gespült.

Besonders für die Ostsee, die als sogenanntes Randmeer sehr flach und fast völlig von Landmassen umschlossen ist, schlagen Meeresbiologen jetzt Alarm: «Kein anderes Randmeer weltweit, für das es Beobachtungsdaten gibt, hat sich in den letzten Dekaden so schnell erwärmt», warnte Professor Markus Meier, einer der führenden Experten für Klima und Klimawandel in der Ostseeregion vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung (IOW), auf dem diesjährigen Ostseetag in Rostock.

Dabei konnten er und sein Forschungsteam einen Temperaturanstieg um 1.6 Grad im Oberflächenwasser der Ostsee allein in den letzten dreissig Jahren feststellen. Bis zum Jahr 2100 erwarten die Forschenden eine Erwärmung des Ostsee-Oberflächenwassers von bis zu 3 Grad. Dabei kippt die Ostsee stellenweise bereits jetzt – was schwerwiegende Folgen für das Leben unter Wasser und die Küstenregionen hat.

Ostsee kann süsser oder salziger werden

«Wir wissen noch nicht, ob die Ostsee zukünftig süsser oder salziger wird – eine entscheidende Frage in Bezug auf viele gravierende ökologische Folgeerscheinungen und die Dynamik der Ostsee», antwortet das Forschungsteam des Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde auf Anfrage von watson. Es erforscht momentan noch zu ganz genauen ‹Projektionen›, wie sich der Klimawandel auf die Ostsee in den kommenden Jahren auswirken wird.

Doch die Wasser-Erwärmung zeigt schon jetzt vielfältige indirekte Auswirkungen auf:

  • die physikalisch-chemische Umwelt der marinen Organismen in der Ostsee
  • den Salzgehalt, die Schichtung- und Strömungsmuster, auf den Sauerstoffgehalt und den Säuregehalt des Wassers

Diese Veränderungen zeigen sich bereits schon seit mehreren Jahren immer stärker, wie Martin Wahl, Professor für marine Ökologie am Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung, im Gespräch mit watson erklärt.

Sauerstoffmangel am Meeresgrund durch starke Planktonblüten

Zusätzlich gelangt durch Landwirtschaft auf dem Festland täglich ungefiltert Düngemittel durch Flüsse und über das Grundwasser in die Ostsee, die geografisch von den Meeresströmungen des offenen Atlantiks abgeschottet liegt.

Genau das provoziere gefährliche Wechselwirkungen, die sich von Jahr zu Jahr verstärken würden, warnt der Meeresbiologe:

«Durch immer grössere Temperaturunterschiede zwischen der Wasseroberfläche und dem Tiefenwasser kommt es im Sommer zu einer Isolation der tieferen Wasserschichten. An der Oberfläche, wo das Wasser wärmer ist, werden dagegen die Nährstoffe, die durch Düngerüberreste übermässig vorhanden sind, schneller als sonst in Plankton-Blüten umgesetzt.»

Wenn die Planktonblüten irgendwann absterben würden, würden sie auf dem Meeresgrund von Bakterien zersetzt werden, die den Sauerstoff im Wasser verbrauchen. «Je grösser die Mengen an Plankton sind, die zersetzt werden, desto gravierender die Sauerstoffmangel-Situation am Meeresgrund – und wenn dieses sauerstofffreie Wasser mit der Strömung an die Oberfläche gelangt, dann sterben Fische und andere Meerestiere ab.»

Ostsee hat immer häufiger Quallen-Problem

Doch damit nicht genug: Während der Grossteil der Meeresbewohner Atemprobleme bekommt, vermehren sich bei wärmeren Temperaturen vor allem Quallen und Bakterienkulturen im Wasser schneller.

«In Schleswig-Holstein haben wir bereits jedes Jahr so grosse Mengen an Ohren-Quallen, die dicht im Wasser schwimmen, dass man oft gefühlt schon über die Kieler Förde laufen könnte, anstatt zu schwimmen.»
Martin Wahl, Professor für marine Ökologie

Sie ernähren sich von dem Überangebot an Nährstoffen aus Plankton und Algen, die wiederum vermehrt im Wasser auftreten, wenn es ein Überangebot an Nährstoffen im Wasser gibt. «Die Quallen profitieren also indirekt von den Bauern, die ihre Äcker überreichlich und pulsartig düngen, was dann über das Grundwasser in die Ostsee fliesst», ordnet Meeresexperte Wahl ein.

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Durch die Erwärmung der Ostsee kommt es inzwischen immer wieder zu einem massenhaften Auftauchen von Ohrenquallen in der Kieler Förde.Bild: imago-images

«Im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein haben wir bereits jedes Jahr so grosse Mengen an Ohren-Quallen, die dicht im Wasser schwimmen, dass man oft gefühlt schon über die Kieler Förde laufen könnte, anstatt zu schwimmen», erzählt Wahl. Allerdings sei diese Quallenart harmlos und täte den Badenden vorerst nichts: «Die sind vielleicht eklig, aber sie brennen nicht.»

Anders als Feuerquallen, die inzwischen auch im Norden Europas immer öfter gesichtet werden und momentan schon das Mittelmeer an den Küsten Italiens überlasteten. Oder auch Vibrio-Bakterienkulturen, die eigentlich ein natürlicher Bestandteil des Ostseeplanktons sind. Jedoch vermehren sie sich im Zuge des Klimawandels bei Wassertemperaturen ab 20 Grad besonders gut und stellen damit ein zunehmendes Gesundheitsrisiko auch für Menschen dar, wie ein umfangreicher Forschungsbericht des Leibniz-Instituts in Warnemünde von 2021 ergibt:

«Die Vibrio vulnificus Bakterienkulturen kann beispielsweise bei vorerkrankten und anderweitig geschwächten Menschen allein durch Wasserkontakt zu schwerster Sepsis mit tödlichem Ausgang kann. Die höchsten Infektionsraten fallen daher genau mit der Haupttouristensaison in Nordeuropa zwischen Mai und Oktober zusammen.»

So würden Vibrio-Wundinfektionen bereits seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt während Hitzewellen beobachtet. Das Institut rät daher ausdrücklich davon ab, vor allem nach Hitzetagen zur Erfrischung in die Ostsee zu springen.

Ostsee kippt – so könnte der Prozess eingedämmt werden

Auch wenn bereits grossflächige Veränderungen im Ökosystem der Ostsee losgetreten wurden, sehen die Forschenden trotzdem noch Handlungsmöglichkeiten, die Klimafolgen abzuschwächen. «Hier in Küstennähe planen wir, mittelfristig grosse schwimmende Kulturen von Blasentang anzulegen, einer Grossalge, die die die überschüssigen Nährstoffe aus dem Wasser saugt, um sich zu ernähren», gibt Ostseeexperte Wahl zur Aussicht. Der Blasentang werde dann abgeerntet und könne an Land als Dünger verwendet werden.

Das hätte viele Vorteile: «Unter anderem, dass nicht zusätzliche Nährstoffe ins Wasser kommen und zumindest lokal die Nährstoffe wieder herausgesaugt werden. Wir versuchen damit einen geschlossenen Kreislauf zu etablieren und dem Problem der Überdüngung, also Überfrachtung mit Nährstoffen, zu Leibe zu rücken – vorausgesetzt die Landwirte lassen sich davon überzeugen», erklärt er.

«Zumindest haben uns schon erste Landwirte zugehört. Und auch den notleidenden Fischern käme diese Alternative zugute, sie können dann, anstatt Fische zu fangen, Algen fangen.» Es gebe also noch eine Zukunftsperspektive – auch für eines der stärksten verschmutzten Ökosysteme der Welt.

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Jakob Meier
02.08.2022 21:46registriert November 2020
"Aber es ist doch ein normaler Sommer"
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Gin Toni
02.08.2022 21:59registriert Oktober 2020
In 9 von 10 Fällen wo der Mensch in die Natur eingreift zeigt sich ein konträres Ergebnis. Das erinnert mich an Szenen aus einem Stummfilm, wo ein Mann in einem sinkenden Schiff versucht 20 Löcher zu stopfen. Ehre den Forschern die Gegensteuer geben wollen. Aber das ist doch alles nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Leider.
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