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Italien

Italiens Norden trocknet aus

Italiens «König der Flüsse» stirbt – und mit ihm die Ernte

14.07.2022, 08:5418.07.2022, 13:04
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Italiens Norden – die Reiskammer Europas – trocknet aus: Rissige Äcker anstatt wogende Felder und Rinnsale dort, wo Flüsse sein sollten.

In den Städten der Region wird seit Monaten das Wasser rationiert. Vor einer Woche rief die italienische Regierung in fünf nördlichen Regionen den Ausnahmezustand aus. Die Folge: Kraftwerke und Thermalbäder wurden geschlossen, Zierbrunnen in Mailand wurden stillgelegt und in einigen Städten wird das Leitungswasser in der Nacht abgestellt. In Castenaso bei Bologna dürfen Coiffeure die Haare ihrer Kunden nur noch einmal spülen.

Schuld daran ist eine langanhaltende Trockenheit, die auf zunehmend aride Winter, höhere Temperaturen und deutlich weniger Niederschlag zurückgeht.

Staubtrockene Felder

Normalerweise produzieren die norditalienischen Regionen Piemont und Lombardei 52 Prozent des gesamten Reises in Europa. Doch dieses Jahr könnte ein Grossteil dieser Reisernte wegfallen. Grund dafür ist, dass gerade die schlimmste Dürre seit 70 Jahren Italien heimsucht.

Und diese Dürre könnte die neue Normalität werden: Massimiliano Pasqui, Experte für Klimawandel beim nationalen Forschungsrat Italiens, sagt der «New York Times»:

«Aus Studien über den Klimawandel wissen wir, dass die nördlichen Regionen entlang der Alpen in den letzten Jahrzehnten im Winter immer trockener geworden sind, dass es auch im Frühjahr immer seltener regnet und dass die Temperaturen höher sind.»

Höhere Temperaturen haben zur Folge, dass die Böden austrocknen. Gleichzeitig führen höhere Temperaturen dazu, dass während der kälteren Jahreszeit Regen anstatt Schnee fällt. So fehlt im Sommer die Schneeschmelze, die Wasser für die Landwirtschaft im Frühling und Sommer bringt.

Dry out crops are seen in Bereguardo, 25 kilometres southwest of Milan in northern Italy, Friday, July 8, 2022. The Italian government declared a state of emergency early this week for much of the rai ...
Eine vertrocknete Ernte in Bereguardo, 25 Kilometer südwestlich von Mailand, 8. Juli 2022.Bild: keystone
epa10027112 A dry corn field due to drought in Palazzo Pignaro, Crema, Italy, 22 June 2022. Italy's regions are to ask the government to declare a state of emergency for drought in the north of t ...
Ein trockenes Feld in Palazzo Pignaro, 22. Juni 2022.Bild: keystone

«Ich versuche, das zu retten, was noch zu retten ist», sagt der Reisbauer Gianluigi Tacchini der «New York Times». Die Frage ist nur, wie Tacchini seine Ernte retten will. Denn seine Felder sind in Santa Cristina e Bissone, wo er zur Bewässerung auf das Wasser im Fluss Po angewiesen ist. Doch dessen Pegel steht aktuell 2,5 Meter unter seinem normalen Wasserstand.

Taccini verrät der «New York Times» darum, dass er seine Felder nur noch alle 18 Tage wässere, anstatt alle acht bis zehn Tage. Einige Felder habe er mittlerweile sogar ganz aufgegeben. Er resümiert, dass er bereits die Hälfte seiner Ernte verloren habe und dass er Gefahr laufe, sogar die gesamte Saison zu verlieren.

epa10051075 Giuseppe Ubertone a farmer shows his dry field due to drought at Azienda Agricola Ronchettone in Casalbuttano in Milan, Italy, 04 July 2022. Last week, the mayor of Milan announced the nor ...
Staubige Böden da, wo eigentlich landwirtschaftliche Erzeugnisse wachsen sollte. Giuseppe Ubertone zeigt sein trockenes Feld auf der Azienda Agricola Ronchettone in Casalbuttano in Mailand, Italien, 4. Juli 2022.Bild: keystone
Rice farmer Giovanni Daghetta stands on a dried rice field, as he makes a call with a smartphone in Mortara, Lomellina area, Italy, Monday, June 27, 2022. The worst drought Italy has faced in 70 years ...
Hier sollte der Reis bereits gedeihen, doch das Feld ist staubtrocken. Giovanni Daghetta steht auf seinem Reisfeld, 27 Juni 2022.Bild: keystone

Die pessimistische Prognose des Bauern stützt auch Paolo Carrà, der Präsident des italienischen Reiskomitees. Er sagt, es sei zwar «verfrüht», die Situation vor September zu beurteilen, «aber es gibt Anzeichen dafür, dass in einigen Gebieten die Reiskulturen vollständig zerstört wurden.»

Die ausgetrockneten Felder sind auch für die italienische Wirtschaft verheerend, denn nach Angaben von Coldiretti, dem nationalen Verband der Landwirtschaft, entfallen auf die Po-Region etwa 30 Prozent der nationalen landwirtschaftlichen Produktion gemessen am Marktwert. Neben Reis werden hier vorwiegend Tomaten und Oliven für Olivenöl angebaut.

Coldiretti schätzt, dass die aktuelle Dürre die Landwirte in diesem Jahr etwa 3 Milliarden Euro kosten werde. Kyle Holland, Analyst bei der Marktforschungsgruppe Mintec, sagt dem «The Guardian», dass Marktanalysen darauf hindeuten würden, dass die italienische Olivenölproduktion zwischen 20 und 30 Prozent unter der des letzten Jahres liegen könnte – was die weltweiten Marktpreise von Olivenöl unweigerlich in die Höhe schiessen lassen würde.

Rinnsale statt sprudelnde Flüsse

Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) veröffentlichte kürzlich ein Vorher-Nachher-GIF mit dem Titel «Po River dries up» (Deutsch: «Der Po trocknet aus»). Darin werden Satellitenbilder der Po-Ebene um die Stadt Piacenza über den Zeitraum von Juni 2020 bis 2022 verglichen. Deutlich erkennbar ist, wie innerhalb von drei Jahren immer mehr Uferregionen des Flusses austrocknen:

Animiertes GIFGIF abspielen
«Po River dries up» Satellitenbilder vom Juni 2020, 2021 und 2022.Bild: European Space Agency (ESA)

Der Po ist Italiens längste Wasserstrasse. Er erstreckt sich von den Alpen bis zur Adria. Jahrhundertelang war er ein Teil eines komplizierten Bewässerungssystems, das dazu beitrug, «die fruchtbarsten Ebenen der Welt» zu bewässern – wie Napoleon seinerzeit die Poebene nannte. Denn aufgrund der flachen Ebene waren die Ufer des Flusses häufig eher ein sich langsam bewegender Sumpf. Die nährstoffreichen Böden waren daher immer optimal mit Wasser versorgt.

Heute ist der Po in einigen Abschnitten zu einem Rinnsal geschrumpft: In Gualtieri, einer Stadt am mittleren Po, tauchten Anfang dieses Jahres sogar zwei Schiffswracks wieder auf, die seit 1944 vollständig unter Wasser lagen.

Normalerweise sind der Po und seine Zuläufe im Juni aufgrund der Schneeschmelze ziemlich voll, aber in Italien wurden im letzten Winter lediglich ein Drittel der durchschnittlichen Schneemenge gemessen. Entsprechend fiel auch das Wasser der Schneeschmelze geringer aus.

23.6.2022
Drought In Northern Italy: The Aridity Of The Ticino River. A view of the Ticino rivers near Ponte Della Becca a bridge on the confluence of the Ticino and Po rivers, near Pavia. The situati ...
Ein Blick auf das Flussbett des Ticino, der in den Po mündet, in der Nähe von Pavia, 23. Juni 2022.Bild: imago
A man walks on the dry-out side of the riverbed of the Ticino river near Bereguardo, some 25 kilometers south of of Milan in northern Italy, Friday, July 8, 2022. The Italian government declared a sta ...
Ein Mann geht auf dem ausgetrockneten Flussbett des Ticino bei Bereguardo, etwa 25 Kilometer südlich von Mailand in Norditalien, 8. Juli 2022.Bild: keystone

Der antike Dichter Vergil bezeichnete den Po aufgrund seines mächtigen Umfangs einst als «fluviorum rex» – «König der Flüsse». Heute, knapp 2000 Jahre später, liegt der einst mächtige König im Sterben. (yam)

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169 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Scaros_2
14.07.2022 09:16registriert Juni 2015
Aber wir haben ja kein Klimawandel und damit auch kein Problem *hust*
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LordGraf
14.07.2022 09:22registriert Mai 2020
würde es was bringen mehr bäume beziehungsweise wald zu pflanzen damit wieder mehr feuchtigkeit in die luft kommt. es gibt doch so ein gutes projekt in brasilien wo ein ganzes tal dank dem anpflanzen von wald wieder mit wasser versorgt wird (da mehr regenfälle usw).
das gleiche problem wie italien hatte vor langer zeit auch amerika als sie die prärie nur noch für weizen benötigten und so das ganze gebiet austrockneten weil das heimische gras vernichtet wurde wo den boden zusammen gehalten hat.
wäre eventuell ein ansatz. wir müssen lösungen finden und die wirtschaft zurück stufen!
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Statler
14.07.2022 09:14registriert März 2014
«Aber sie sagten, es würde noch Jahrzehnte dauern!» - «Tja, da lag ich wohl falsch» (Day after tomorrow).
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