Achtung, fertig, los! Viel zu verlieren hat SPD-Kandidat Martin Schulz nicht mehr, seine Umfragewerte liegen im Keller. Dementsprechend hat er im TV-Duell mächtig Gas gegeben. Und doch immer wieder Beisshemmung gezeigt.
Angespannt wirken zuerst beide. Jedenfalls am Anfang. Angela Merkel atmet tief durch, sie bemüht sich zu lächeln, presst aber die Lippen aufeinander. Martin Schulz nimmt schon einmal sein Schlusswort vorweg. Dann aber erlebt ein Millionenpublikum am Sonntagabend, wie der SPD-Herausforderer sich in diesem einzigen TV-Duell vor der Bundestagswahl immer mehr in Fahrt redet und der Kanzlerin hier und da einen Stich versetzt.
"Best of" #TVDuell: Die wichtigsten Statements von #Merkel und @MartinSchulz. pic.twitter.com/vhjYJSYhiy
— ZDF heute journal (@heutejournal) September 3, 2017
Merkel bleibt Merkel. Sie argumentiert detailgenau und wehrt sich gegen zugespitzte Positionen, «nur weil wir im Wahlkampf meinen, uns übertreffen zu müssen».
Schläfert sie die Nation ein, ist sie die «All-inclusive-Kanzlerin» der Beliebigkeit, halten ihr die Moderatoren vor? Jeder Mensch verändere sich mit Herausforderungen, kontert die CDU-Chefin.
Schulz fordert kämpferisch «klare Kante» und bezieht sie auch. Nach gut 30 Minuten gibt es den ersten grossen Überraschungsmoment des Abends:
Schulz will den sofortigen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen, weil das die einzige Sprache sei, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verstehe. Merkel, die noch nie für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union war, mahnt zur Besonnenheit. Das könne nicht Deutschland allein, sondern müsse die gesamte EU entscheiden.
.@MartinSchulz im #TVDuell mit überraschend klarer Kante gegen die #Türkei: pic.twitter.com/lDX3NZ6ydE
— ZDF heute (@ZDFheute) September 3, 2017
Zwischendurch verspottet Schulz Merkels Zusicherung, es werde keine Rente mit 70 geben. «Frau Merkel à la bonheur! Ganz toll!», ruft er und hält der CDU-Chefin indirekt vor, zu lügen. Sie habe vor vier Jahren ja auch die Maut verneint und dann sei diese doch beschlossen worden.
Da verdreht Merkel fast die Augen, denn sie habe damals nur gesagt, dass es keine Pkw-Maut geben werde, die die deutschen Autofahrer belastet.
Einmal verliert Schulz ziemlich den Faden. Gehört der Islam zu Deutschland? Er sucht nach Worten. Um sich zu retten, sagt er ein Zitat auf, das er sich eigentlich für seine Schlussansprache aufheben wollte, wie er hervorpresst. «Jenseits von richtig oder falsch, gibt es einen Ort, an dem treffen wir uns», zitiert Schulz einen schiitischen Philosophen. Man dürfe nicht eine ganze Religion verhaften für die terroristischen Taten einer kleinen Minderheit.
Dann sagt Schulz, dass er sich diesen Satz eigentlich für den Schluss aufgespart hat. Verwirrung pur.
Für die berühmten letzten Worte an die Zuschauer hat er eine Minute. In 60 Sekunden verdiene eine Krankenschwester weniger als 40 Cent, ein Manager aber 30 Euro. Schulz versucht bei seinem Kernthema der sozialen Gerechtigkeit zu punkten. Viel sei in Bewegung. Deutschland brauche den Mut zum Aufbruch. Man müsse Zukunft gestalten und nicht Vergangenheit verwalten, ein Hieb gegen die Dauerkanzlerin. «Ich bitte Sie um Vertrauen», sagt Schulz, da sind 60 Sekunden schon rum.
#TVDuell: Das Schlussstatement von Bundeskanzlerin Angela #Merkel (CDU): pic.twitter.com/1JB0fDUrYM
— ZDF heute journal (@heutejournal) September 3, 2017
Merkel sprach vor vier Jahren mit treuem Augenaufschlag ihren inzwischen legendären Satz «Sie kennen mich» in die Kamera. Diesmal sagt sie, dass sie für und mit den Bürgern gemeinsam arbeiten will.
Dann kommt ihr seit der Flüchtlingskrise berühmt-berüchtigter «Wir-schaffen-das-Satz»: «Ich glaube, dass wir das gemeinsam schaffen können.» Und dann: «Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.» Damit übernimmt sie ganz zum Schluss die Regie und beendet noch vor den Moderatoren das Duell.
Und da war noch das ...
Waren sie heute in der Kirche? So ziemlich unerwartet stellt die Moderatorin diese unerwartete belanglose Frage. Mit einem gekünstelten Lächeln auf den Lippen sagt die protestantische Pfarrerstochter und CDU-Vorsitzende Merkel: «Ich war heute nicht in der Kirche.»
Er habe heute einen Friedhof und eine kleine Kapelle besucht, wo ein Freund begraben sei, erklärte der katholische SPD-Kanzlerkandidat. Merkel fügte rasch rasch hinzu, am Samstag, am Todestag des Vaters, habe sie eine von ihm geliebte kleine Kirche besucht und an ihn gedacht.
Der seltsamste Moment während des #TV-Duells …. Wir sagen nur #Kirche. pic.twitter.com/QqrEdZcKhk
— ZDF heute (@ZDFheute) September 3, 2017
(amü/sda/dpa)