Julian Assange hat am Montagmorgen das Gefängnis in London, wo er seit fünf Jahren einsass, verlassen, wie Wikileaks auf X in der Nacht auf Dienstag bekannt gab.
JULIAN ASSANGE IS FREE
— WikiLeaks (@wikileaks) June 24, 2024
Julian Assange is free. He left Belmarsh maximum security prison on the morning of 24 June, after having spent 1901 days there. He was granted bail by the High Court in London and was released at Stansted airport during the afternoon, where he boarded a…
Unbemerkt von der Öffentlichkeit soll der Wikileaks-Gründer zum Londoner Flughafen Stansted gebracht worden sein und Grossbritannien verlassen haben. Wikileaks veröffentlichte in der Nacht zum Dienstag ein Video, das zeigt, wie der 52-Jährige ein Flugzeug besteigt. Eine offizielle Bestätigung der britischen Behörden lag zunächst nicht vor.
Zur überraschenden Entwicklung kommt es, weil Assange mit der US-Justiz, die ihn seit Jahren vor ein US-Gericht stellen will, einen Deal ausgehandelt hat. Dieser soll Assange Straffreiheit gewähren, sofern er seine Schuld in Teilen eingesteht. Assange kann damit eine Auslieferung in die USA wohl abwenden.
Assange handelte mit dem US-Justizministerium offenbar eine Vereinbarung aus, wonach er sich in der Spionageaffäre teils schuldig bekennen will und ihm im Gegenzug eine weitere Haft in den USA erspart bleibt, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, die am Montagabend US-Ostküstenzeit veröffentlicht wurden. Ein Gericht muss die Einigung allerdings noch absegnen.
Assange soll dazu bereits an diesem Mittwoch (Ortszeit) vor einem Gericht in einem entlegenen US-Aussengebiet erscheinen: auf den Marianeninseln. Die Inselgruppe liegt im Westpazifik, nördlich von Assanges Heimat Australien, und steht unter Hoheitsgewalt der USA.
(Ja, du musst ein wenig rauszoomen, damit du erkennen kannst, wo die Inseln wirklich genau liegen.)
In einem Brief des US-Justizministeriums heisst es, der Ort sei gewählt worden, da Assange nicht in die Vereinigten Staaten habe reisen wollen und die Inselgruppe relativ nahe an Australien, seiner Heimat, liege.
Wikileaks schrieb auf X, es habe lange Verhandlungen mit dem US-Justizministerium gegeben. Die erreichte Einigung sei noch nicht finalisiert. Nach mehr als fünf Jahren «in einer zwei mal drei Meter grossen Zelle, in der er 23 Stunden am Tag isoliert war» werde Assange aber bald wieder mit seiner Frau Stella Assange und den beiden gemeinsamen Kindern vereint werden, «die ihren Vater bislang nur hinter Gittern kennen».
Es wird nun erwartet, dass sich Assange bei dem Gerichtstermin auf den Marianeninseln am Mittwoch der Verschwörung zur unrechtmässigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen Unterlagen schuldig bekennen werde. Im Anschluss soll er in seine Heimat Australien weiterreisen.
US-Medien zufolge soll Assange zu gut fünf Jahren Haft verurteilt werden – die er aber bereits in Grossbritannien verbüsst hat. Demnach wäre er in Kürze ein freier Mann.
Die Strafverfolgung von Julian Assange und Wikileaks ist eine der langwierigsten und umstrittensten Justizaffären dieses Jahrtausends.
Die USA hatten bisher Assanges Auslieferung verlangt. Sie werfen ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assanges Unterstützer sehen ihn hingegen wegen des Aufdeckens von US-Kriegsverbrechen im Visier der Justiz aus Washington. Bei einer Verurteilung ohne eine Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft könnten Assange wegen Spionage bis zu 175 Jahre Haft drohen.
Wikileaks wurde 2006 von mehreren Personen gegründet, unter der Leitung von Julian Assange. Die Idee hinter dem Projekt war, eine Plattform zu schaffen, auf welcher Informationen, die öffentliche Angelegenheiten betreffen, aber bewusst unter Verschluss gehalten werden, publiziert werden können. Ursprünglich ging es darum, unethisches Verhalten von beispielsweise Landesregierungen anzuprangern.
Ab 2007 veröffentlichte Wikileaks geheime Dokumente aus verschiedensten Ländern, die Korruption, Propagandastrategien oder auch Kriegsverbrechen belegten. Mehrfach waren auch die USA betroffen, beispielsweise gab es Enthüllungen zum US-Gefängnis auf Guantánamo oder dem Abu-Ghraib-Gefängnis in Bagdad, die weltweit für Entsetzen sorgten. Mehrere Länder wie China, Russland, Israel oder die Türkei sperrten Wikileaks zeitweise.
Später sorgte Wikileaks für andere Kontroversen: So wird den Betreibern (und insbesondere Julian Assange) nachgesagt, bewusst politisch Einfluss genommen zu haben, indem bestimmte Informationen zu bestimmten Zeitpunkten veröffentlicht wurden. Unter anderem soll damit Donald Trump im Wahlkampf für das US-Präsidentenamt 2016 unterstützt worden sein.
Einen Überblick zu den Kontroversen um Wikileaks gibt es hier:
Julian Assange hatte vor etwa fünf Jahren seine Haft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London angetreten. Vor seiner Festnahme im April 2019 hatte er sich sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände, Künstler und Politiker fordern seit langem Assanges sofortige Freilassung.
Auch die australische Regierung hatte sich für die Freilassung ihres Staatsbürgers eingesetzt. US-Präsident Joe Biden weckte kürzlich etwas Hoffnung in diese Richtung. Er sagte auf die Frage, ob die USA ein australisches Ersuchen prüfen wollten, die Strafverfolgung gegen Assange einzustellen: «Wir erwägen das.»
Es gab also zwar Anzeichen für eine mögliche politische Lösung – das Timing dafür überraschte nun jedoch.
Assange hatte zuletzt in Grossbritannien Berufung gegen seine Auslieferung in die USA eingelegt. Eigentlich sollte darüber im Juli vor dem High Court in London verhandelt werden. Dieser hatte einem entsprechenden Antrag Assanges im Mai teilweise stattgegeben und damit eine unmittelbare Überstellung des 52-Jährigen an die USA abgewendet.
Bei Angehörigen und Unterstützern von Assange sorgten die Neuigkeiten für grosse Freude.
So hat sich beispielsweise die Mutter des Wikileaks-Gründers zu Wort gemeldet. Sie hat nach der Freilassung ihres Sohnes aus der Haft in London den vielen Unterstützern gedankt, die sich jahrelang für ihn eingesetzt haben. Gegenüber dem australischen Sender ABC sagte Christine Assange:
Das zeige, wie wichtig und mächtig stille Diplomatie sei, so Assange.
«Viele haben die Situation meines Sohnes ausgenutzt, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen, daher bin ich den unsichtbaren, hart arbeitenden Menschen dankbar, die Julians Wohlergehen über alles andere gestellt haben», erklärte Christine Assange weiter.
Julians Frau, Stella Assange, postete auf X das Video, das von Wikileaks verbreitet wurde. Dazu schrieb sie «Julian ist frei!» und bedankte sich bei allen Unterstützern ihres Mannes.
Julian is free!!!!
— Stella Assange #FreeAssangeNOW (@Stella_Assange) June 25, 2024
Words cannot express our immense gratitude to YOU- yes YOU, who have all mobilised for years and years to make this come true. THANK YOU. tHANK YOU. THANK YOU.
Follow @WikiLeaks for more info soon…pic.twitter.com/gW4UWCKP44
Weiter rief Stella Assange zu Hilfe für ihren Mann nach seiner Freilassung auf. «Wir beabsichtigen, einen Notfallfonds einzurichten für Julians Gesundheit und Genesung», sagte sie in einem Videoclip, der in der Nacht zum Dienstag auf YouTube veröffentlicht wurde. Assanges Team hatte zuletzt wiederholt gewarnt, der Gesundheitszustand des Wikileaks-Gründers sei schlecht. An Gerichtsterminen nahm er deshalb nicht persönlich teil.
«Ich bitte Euch, wenn Ihr könnt, einen Beitrag zu leisten und uns beim Übergang in diese neue Phase der Freiheit von Julian zu helfen», sagte Stella Assange weiter. Das Video wurde den Angaben zufolge am 19. Juni aufgezeichnet. Wikileaks-Chef Kristinn Hrafnsson sagte darin:
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.
Auch wenn Assange teilweise fragwürdig Aktionen durchgezogen hat, das Vorgehen gegen ihn war absolut unmenschlich.
Fazit: Gute Idee. Saumiserable Umsetzung.