«Kann wieder freier atmen»: Einfluss der Silicon-Valley-Milliardäre nimmt massiv zu
Im September 1944 versuchten 35’000 Fallschirmjäger der Alliierten, eine strategisch wichtige Brücke bei Arnheim in den Niederlanden zu erobern. Obwohl die deutschen Truppen bereits mehr oder weniger geschlagen waren, scheiterte das Unternehmen am Übermut der alliierten Generäle. Richard Attenborough hat dieses Scheitern in einem epischen Film festgehalten und dafür gesorgt, dass der Ausdruck «a bridge too far» (eine Brücke zu weit) zu einem geflügelten Wort wurde.
Die im Überschwang des Sieges getroffene Nominierung von Matt Gaetz zum Justizminister war für Donald Trump eine solche «bridge too far». Weil der Widerstand im Senat zu gross war, musste Gaetz nach wenigen Tagen das Handtuch werfen. Doch dieser Dämpfer soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der wiedergewählte Präsident wie die Alliierten im Herbst 1944 auf einem Siegeszug befindet. Davon profitieren vor allem die Techno-Libertären aus dem Silicon Valley.
Seit endlich alle Stimmen ausgezählt sind, wird zwar ersichtlich, dass Trumps Sieg keineswegs so überwältigend war wie ursprünglich behauptet. Er hat weniger als die Hälfte aller Stimmen erhalten und im Kongress verfügen die Republikaner über eine hauchdünne Mehrheit.
Trotzdem glaubt Trump, ein Mandat für eine konservative Revolution erhalten zu haben. Deshalb hat er Elon Musk zu einer Art Schattenpräsident erhoben und ihn – zusammen mit dem Biotech-Unternehmer Vivek Ramaswamy – beauftragt, die amerikanische Verwaltung, den «Deep State», auszumisten. Zu diesem Zweck wurde eine Art Sonderministerium mit dem Titel Department of Government Efficiency (DOGE) gegründet.
Musk und Ramaswamy haben nicht nur freudig zugesagt, im «Wall Street Journal» haben sie bereits ihre Pläne in groben Zügen umrissen: «Am 5. November haben die Wähler Donald Trump mit einem entscheidenden Vorsprung gewählt und ihn mit einem Mandat für einen umfassenden Wandel ausgestattet, und sie verdienen es, genau dies zu erhalten», stellen die beiden in einem gemeinsamen Gastkommentar fest.
Bescheiden sind die Ziele von Musk/Ramaswamy nicht wirklich. Sie wollen das Staatsbudget um Hunderte von Milliarden Dollar entlasten, und das schon bald. Deshalb wollen sie Hunderttausende von Staatsangestellten feuern, Hunderte von Amtsstellen auflösen und Tausende von Gesetzen aufheben. Was die Verfassung betrifft, fühlen sie sich dabei auf sicherem Boden. Deshalb erklären sie selbstbewusst:
Elon Musk ist zwar der auffälligste, aber keineswegs der einzige Tech-Milliardär im Umfeld von Trump. Nebst dem inzwischen sattsam bekannten Financier Peter Thiel und dem Venture-Kapitalisten Marc Andreessen machen sich andere grosse Hoffnungen. Dazu gehören Joe Lonsdale, der Mitbegründer von Palantir, der Hedge-Fund-Manager Bill Ackman und der ehemalige Uber-Chef Travis Kalanick. Sie vereint nicht nur ein gewaltiges Vermögen, sondern auch eine libertäre Weltanschauung.
Die Techno-Libertären suhlen sich bereits in ihrem Triumph. So liess etwa Andreessen kürzlich in einem Podcast verlauten, Trumps Erfolg fühle sich an, «wie wenn ein Schuh von meinem Hals weg wäre. Ich kann freier atmen und wache jeden Tag glücklicher auf als am Tag zuvor».
In seinem 2023 erschienenen Buch «The End of Reality» befasst sich Jonathan Taplin mit den Vorstellungen der Tech-Libertären. Die «Financial Times» zitiert ihn wie folgt:
Die Tech-Libertären haben auch die Idee der «Charter Cities» wiederbelebt. Darunter versteht man Städte in Entwicklungsländern, die von den Milliardären finanziert werden, in denen jedoch nur leben darf, wer auf seine Bürgerrechte verzichtet und sich einer Technokratie unterwirft. In Honduras gibt es bereits eine solche Charter City. Sie heisst Prospera und wird von Andreessen, Thiel und Sam Altman finanziert. Das Ziel dieser Stadt wird umschrieben mit: «Wir bauen die Zukunft der menschlichen Regierungsform: privat verwaltet und profitorientiert.»
Was kann die Techno-Libertären noch stoppen? Hier einige Hoffnungsschimmer:
- Auch sie könnten ihren «A bridge too far»-Moment erleben. Wie erwähnt hat Trump die Wahlen äusserst knapp gewonnen. Daraus ein Mandat für eine libertäre Revolution abzuleiten, ist eine sehr steile These, die am Widerstand der Bevölkerung scheitern könnte.
- Eine Verwaltung ist kein privates Unternehmen. Sie im Stile von Twitter sanieren zu wollen, ist daher nicht möglich. (Einmal abgesehen davon, dass Musk Twitter nicht saniert, sondern wahrscheinlich kaputt gemacht hat.) Dazu nur zwei Beispiele: Es gibt in den USA rund 19’000 Grenzwächter. Dort die Axt anzusetzen, dürfte kaum im Sinne von Trump sein. Wer die Hälfte der rund 1800 Fluglotsen feuern will, stellt die Sicherheit des Flugverkehrs infrage, und wer drastisch bei Medicaid und Medicare kürzen will, verstösst gegen ein wichtiges Versprechen, das Trump im Wahlkampf abgegeben hat.
- Die Wirtschafts- und Handelspolitik könnte einen weiteren Inflationsschub auslösen und damit auch die Legitimität der Trump-Regierung untergraben.
- Das neue Kabinett von Trump ist derart gegensätzlich zusammengewürfelt, dass heftige Grabenkämpfe absehbar sind.
- Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bromance zwischen Trump und Musk zerbricht, ist hoch. Ein Streit der beiden Egomanen würde wohl auch die libertären Träume platzen lassen.