Am 22. Dezember wurde in Schottland ein Gesetz zur einfacheren Änderung des Geschlechtseintrags von trans Menschen angenommen. Und zwar deutlich: 86 Abgeordnete stimmten dafür, 39 dagegen.
Die britische Regierung war darüber alles andere begeistert. Sie machte sehr schnell deutlich, dass sie auf der Seite der Gesetzeskritiker steht – und drohte mit einer Gegenmassnahme. Dazu ist sie berechtigt.
Beim umstrittenen Gesetz handelt es sich um eine Neuregelung des sogenannten Gender-Gesetzes. Die Neuregelung sieht vor, dass die Pflicht eines medizinischen Gutachtens als Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechtseintrags entfallen würde.
Das heisst, es müsste im Vorfeld keine Diagnose der sogenannten Genderinkongruenz (englisch: gender dysphoria) durch eine Fachperson gestellt werden. Genderinkongruenz beschreibt den Zustand, bei dem sich Personen nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Mit dem Wegfallen des Gutachtens würde eine Selbstidentifizierung des Geschlechts ausreichen.
Personen, die eine solche Genderinkongruenz verspüren, könnten ihren Geschlechtseintrag damit nicht nur schneller, sondern auch einfacher ändern. Zudem würde das Mindestalter für einen solchen Antrag von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. Und trans Menschen müssten nicht mehr wie zuvor zwei Jahre in der neuen Geschlechterrolle gelebt haben. Mit dem neuen Gesetz würden bereits drei Monate ausreichen.
Die Gesetzesänderung wurde von der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon bereits vor sechs Jahren vorgeschlagen. Der Prozess zur Änderung des Geschlechtereintrags sei zu bürokratisch und übergriffig, klagten die Gesetzesbefürworter. Um diese Problematik anzugehen, führte die schottische Regierung zwei grosse öffentliche Konsultationen zum Thema durch. Im Anschluss schlug sie dann die einfacheren, neuen Regelungen vor. Dazu argumentierte sie:
Die Abstimmung über das Gesetz führte im schottischen Parlament im Dezember zu einer beispiellosen zweitägigen Nachtsitzung. Schlussendlich wurde das Gesetz deutlich mit 86 zu 39 Stimmen angenommen.
Die Schotten können ihre eigenen Gesetze zu Themen wie Gesundheit, Bildung und Umwelt verabschieden. Für Themen wie Verteidigung, nationale Sicherheit, Migration und Aussenpolitik ist allerdings das britische Parlament zuständig.
Dank des «Scotland Act» kann die britische Regierung zudem schottische Gesetze in sehr wenigen spezifischen Fällen blockieren. Beispielsweise wenn sie der Ansicht ist, dass ein schottisches Gesetz mit internationalen Vereinbarungen oder der nationalen Sicherheit inkompatibel wäre. Oder wenn das schottische Gesetz mit einem britischen Gesetz zu einem Thema kollidiert, das nicht in die Zuständigkeit Schottlands fällt.
Nach dem «Scotland Act» hat die britische Regierung vier Wochen Zeit, um ein dezentralisiertes Gesetz zu blockieren. Und genau das hat sie jetzt vor.
Die britische Regierung hatte am Montagabend angekündigt, das geplante Gender-Gesetz aus Sorge um einen Verstoss gegen britische Gleichstellungsregeln blockieren zu wollen. Die Gleichstellungsgesetzgebung wird nämlich ebenfalls zentral geregelt und obliegt Westminster.
Der konservative schottische Minister Alister Jack, der Schottland im Kabinett des britischen Premierministers Rishi Sunak vertritt, verkündete, dass er zum ersten Mal Abschnitt 35 des «Scotland Act» anwenden werde:
Er fügt an, dass trans Menschen, welche das Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags durchliefen, seinen Respekt, seine Unterstützung und sein Verständnis verdienten. Bei seiner Entscheidung gehe es aber um die Folgen, welche die Gesetzgebung für die Anwendung des Gleichstellungsschutzes in ganz Grossbritannien hätten.
Er habe den Entscheid nicht leichtfertig gefällt, betont Alister weiter:
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bezeichnete die Blockadehaltung Londons auf Twitter als «Frontalangriff auf unser demokratisch gewähltes schottisches Parlament» und seine Befugnisse.
This is a full-frontal attack on our democratically elected Scottish Parliament and it's ability to make it's own decisions on devolved matters. @scotgov will defend the legislation & stand up for Scotland’s Parliament. If this Westminster veto succeeds, it will be first of many https://t.co/3WXrjyivvC
— Nicola Sturgeon (@NicolaSturgeon) January 16, 2023
Sturgeon kündigte an, weiterzukämpfen und für das schottische Parlament einzustehen. Denn sie befürchtet: «Wenn Westminster damit durchkommt, wird es das erste von vielen Malen sein.» Schottland kann die Entscheidung der britischen Regierung nicht aufheben. Dem Land bleiben nur zwei Optionen: Entweder kann es den Gesetzesentwurf ändern und ihn erneut ins schottische Parlament bringen oder es kann die britische Regierung vor Gericht anfechten.
Der BBC zufolge wird erwartet, dass der Fall vor Gericht enden wird. Des Weiteren wird er sich wohl – wie auch die Unabhängigkeitsfrage – zu einer Auseinandersetzung der beiden Regierungen vor Gericht entwickeln und die Beziehung weiter belasten.
(saw, mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa.)
Ich denke ein Eigengoal von London.