Ein britischer Untersuchungsbericht birgt politischen Sprengstoff: «Die FSB-Operation zur Tötung von Herr Litwinenko ist wahrscheinlich von Herrn Patruschew und auch Präsident Putin gebilligt worden», heisst es in dem Text, der in London vorgestellt worden ist. Nikolai Patruschew war von 1999 bis 2008 Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.
Damit belasten die Briten die obersten Kreise der russischen Führung: Sie sollen den Mord am Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko in Auftrag gegeben haben, der 2006 in London an einer Poloniumvergiftung starb. Dem 43-Jährigen soll das Gift in den Tee gemischt worden sein.
Der Bericht benennt Dmitri Kowtun und Andrej Lugowoi als Täter. Sie hätten jedoch «im Auftrag von Anderen» gehandelt. Der ehemalige KGB-Agent und Personenschützer Lugowoi soll im Herbst 2006 das Polonium nach London geschmuggelt haben. Inzwischen sitzt er in der Duma, dem russischen Parlament. Kowtun, der einst als Kellner in Hamburg arbeitete, soll von Lugowoi für das Verbrechen angeworben worden sein. Inzwischen haben sich die beiden Männer zerstritten.
#Litvinenko: the paragraph that blames Putin pic.twitter.com/tI5fqofSkb
— Oliver Bullough (@OliverBullough) 21. Januar 2016
Kurz vor seinem Tod hatte Litwinenko selbst Putin beschuldigt, den Mord in Auftrag gegeben zu haben. Der Kreml hat jede Verstrickung entschieden bestritten. Litwinenko hatte 2000 mit der russischen Regierung gebrochen und war anschliessend ins Exil nach Grossbritannien gegangen.
Richter Robert Owen hatte die Ermittlungen seit Januar 2015 geleitet. Nun stellte er den Abschlussbericht vor dem Obersten Gericht Londons vor. Das Papier ist diplomatisch heikel. Die britische Regierung wollte verhindern, dass der Fall öffentlich wieder aufgerollt wird, doch Litwinenkos Witwe Marina setzte sich vor Gericht durch.
«Ich bin sehr froh, dass die Worte, die mein Ehemann auf seinem Sterbebett sprach und in denen er Herrn Putin beschuldigte, nun von einem britischen Gericht bestätigt worden sind», sagte Marina Litwinenko nach der Vorstellung des Berichts.
Die gerichtliche Untersuchung ist nicht mit einem Prozess gleichzusetzen und hat keine direkten strafrechtliche Konsequenzen. Trotzdem reagierten Stimmen in Russland erbost auf den Bericht. «Moskau wird das Urteil des britischen Gerichts nicht akzeptieren. London hat das Prinzip der Unschuldsvermutung verletzt», sagte ein namentlich nicht genannter Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Ria.
Der Hauptverdächtige Lugowoi sagte: «Die Anschuldigungen gegen mich sind absurd. Die heute veröffentlichten Ergebnisse zeigen einfach nur einmal mehr Londons antirussische Position.» Sein mutmasslicher Komplize Kowtun wollte sich nicht äussern.
Den Originalbericht gibt es hier zum Nachlesen
(syd/spon/afp/ap/reuters)