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Belarus: Was zur Flugzeugentführung in Minsk bekannt ist

Belarus zwingt Flugzeug zur Landung, um einen Blogger festzunehmen.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko liess einen kommerziellen Linienflug in Minsk notlanden, um einen oppositionellen Blogger verhaften zu lassen.bild: keystone/watson

«Akt des Staatsterrorismus» – die 8 wichtigsten Punkte zur Flugzeugentführung in Minsk

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko liess eine Ryanair-Maschine mit einem falschen Bombenalarm in Minsk notlanden, um einen oppositionellen Journalisten zu verhaften. Die Reaktionen aus dem Ausland sind heftig.
24.05.2021, 05:5025.05.2021, 08:10
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Was genau ist passiert?

Behörden in der autoritär regierten Republik Belarus haben nach Berichten von Staatsmedien in Minsk ein Flugzeug von Ryanair auf dem Weg von Athen nach Vilnius (Litauen) zur Landung gebracht. An Bord war auch der vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko international gesuchte Blogger Roman Protassewitsch, der nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna in Minsk festgenommen wurde.

Wie hat man das Flugzeug dazu gebracht, zu landen?

Die Flugleitzentrale in Minsk soll den Piloten mit einem Abschuss der Maschine gedroht haben, wenn sie nicht landen. Dazu sei auch ein mit Raketen bewaffneter Kampfjet MiG-29 aufgestiegen, um das Flugzeug zur Umkehr und auf den Boden zu zwingen.

Dass ein Kampfjet aufstieg, haben die Behörden in Minsk zwar bestätigt, nicht aber die Drohung gegen die Piloten. Staatsmedien in Minsk berichteten vielmehr, die Piloten hätten nach einer angeblichen Bombendrohung selbst um Landung in Minsk ersucht. Dem widersprachen zahlreiche Experten, weil die Maschine bereits näher an ihrem Zielort Vilnius als an Minsk gewesen war, bevor sie umgeleitet wurde.

War der Bombenalarm eine Falle?

Sehr wahrscheinlich. Denn nach der Landung stellte sich gemäss belarussischen Behördenangaben heraus, dass es keinen Sprengsatz an Bord gegeben habe. Zudem sass zufälligerweise auch der vom belarussischen Staat gesuchte Aktivist Roman Protassewitsch im Flugzeug.

Wer ist dieser Roman Protassewitsch?

Der Blogger Protassewitsch gehört zu den vielen international zur Fahndung ausgeschriebenen Oppositionellen, denen Lukaschenko selbst den Kampf angesagt hat.

FILE - In this Sunday, March 26, 2017 file photo, Belarus police detain journalist Raman Pratasevich, center, in Minsk, Belarus. Raman Pratasevich, a founder of a messaging app channel that has been a ...
Protassewitsch (M.) wurde bereits im März 2017 einmal verhaftet.Bild: keystone

Der Geheimdienst KGB hatte den Journalisten auf eine Liste mit Menschen setzen lassen, denen die Beteiligung an terroristischen Handlungen vorgeworfen werde, wie das Portal tut.by bei Telegram berichtete.

Protassewitsch hat unter anderem den oppositionellen Nachrichtenkanal Nexta mitbegründet. Für Nexta war er auch als Redakteur tätig.

Die Behörden in Belarus hatten Nexta als extremistisch eingestuft. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl immer wieder zu Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen.

Wie ging das Drama weiter?

Nach der Umleitung nach Belarus ist die Passagiermaschine der Gesellschaft Ryanair am Sonntag mit mehr als achtstündiger Verspätung auf dem Flughafen der litauischen Hauptstadt Vilnius gelandet. Das Flugzeug mit der Nummer FR4978 landete um 21.25 Uhr (20.25 Uhr MESZ), wie auf der Webseite des Flughafens zu sehen war. Ursprünglich sollte die in Athen gestartete Maschine mit mehr als 100 Menschen an Bord um 13.00 Uhr Ortszeit landen.

Wird es Konsequenzen geben?

Das ist sehr wahrscheinlich. In welcher Form genau ist indes noch nicht klar.

Litauen leitete nach der Landung Ermittlungen wegen Entführung eines Flugzeugs ein. Die Voruntersuchung werde von der Kriminalpolizei des baltischen EU- und Nato-Landes durchgeführt, teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit. Dazu sollen auch die Passagiere und die Besatzung des Flugzeugs befragt werden. «Wir erwarten auch, dass sie mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten und unseren Beamten alle Informationen zur Verfügung stellen, die sie kennen», sagte Litauens Regierungschefin Ingrida Simonyte der Agentur BNS zufolge nach einem Treffen mit den Passagieren am Flughafen in Vilnius.

Die EU-Staats- und Regierungschef werden zudem am Montag über neue Sanktionen gegen Belarus beraten. EU-Ratschef Charles Michel setzte das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des ohnehin geplanten zweitägigen EU-Sondergipfels in Brüssel (19.00 Uhr). «Der Vorfall wird nicht ohne Konsequenzen bleiben», teilte der Belgier am Sonntagabend mit. Zugleich verurteilte er die erzwungene Landung der Ryanair-Maschine sowie die berichtete Festnahme eines belarussischen Journalisten durch die Behörden der autoritär regierten Republik.

Auch andere Spitzenpolitiker in der EU wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äusserten sich entsetzt über das belarussische Vorgehen. «Das unverschämte und illegale Verhalten des Regimes in Belarus wird Konsequenzen haben», schrieb von der Leyen am Sonntagabend bei Twitter. «Die Verantwortlichen für die Ryanair-Entführung müssen sanktioniert werden.» Die EU hatte bereits im vergangenen Jahr Sanktionen unter anderem gegen Machthaber Alexander Lukaschenko verhängt.

Wegen der anhaltenden Unterdrückung der Demokratiebewegung in Belarus hatte die EU bereits im vergangenen Jahr Sanktionen gegen das Land verhängt. Insgesamt stehen knapp 60 Personen aus Belarus auf der EU-Sanktionsliste, unter ihren Machthaber Lukaschenko. Die Strafmassnahmen sehen Einreiseverbote vor und ermöglichen das Einfrieren von Vermögenswerten.

Wie reagieren die Schweiz, die USA und die NATO?

Auch die US-Regierung hat die Aktion der Behörden in Belarus scharf verurteilt. US-Aussenminister Antony Blinken schrieb am Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter mit Blick auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, es habe sich um eine «dreiste und schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes» gehandelt. «Wir fordern eine internationale Untersuchung und stimmen uns mit unseren Partnern über die nächsten Schritte ab. Die Vereinigten Staaten stehen an der Seite der Menschen in Belarus.»

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten schreibt auf Twitter:

Sehr beunruhigende Nachrichten über einen Flug von #Athen nach #Vilnius, der zur Landung in #Minsk gezwungen wurde, mit der anschließenden Inhaftierung von Raman Pratasevich. Die belarussischen Behörden müssen alle Passagiere einschließlich ihm ihre Reise nach Vilnius fortsetzen lassen. Eine gründliche Untersuchung ist unerlässlich.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat eine internationale Untersuchung der Flugzeug-Umleitung durch die belarussischen Behörden nach Minsk gefordert. «Das ist ein schwerwiegender und gefährlicher Vorfall, der internationale Untersuchungen erfordert.»

Was sagt Ryanair?

An Bord der Ryanair-Maschine, die von belarussischen Behörden zur Landung gezwungen wurde, waren nach Ansicht von Unternehmenschef Michael O'Leary auch Agenten des Geheimdienstes KGB. «Es wirkt, dass es die Absicht der Behörden war, einen Journalisten und seine Reisebegleiterin (aus dem Flugzeug) zu entfernen», sagte der Chef der irischen Billigfluglinie am Montag dem irischen Radiosender Newstalk. «Wir vermuten, dass auch einige KGB-Agenten am Flughafen (in Minsk) abgeladen wurden.» O'Leary sagte, es handle sich um einen «Fall von staatlich unterstützter Entführung, (...) staatlich unterstützter Piraterie».

Ryanair verurteilte die «rechtswidrigen Handlungen der belarussischen Behörden» als «Akt der Luftpiraterie». «Dies wird jetzt von den EU-Sicherheitsbehörden und der Nato behandelt», teilte das Unternehmen mit. Ryanair arbeite mit der EU und dem Verteidigungsbündnis zusammen. «Aus Sicherheitsgründen können wir keine weiteren Kommentare abgeben», betonte die Airline.

O'Leary lobte die Besatzung für ihren «phänomenalen Job». Der Vorfall sei «sehr beängstigend» gewesen, für Personal und Passagiere, die stundenlang von Bewaffneten festgehalten worden seien. Der irische Aussenminister Simon Coveney forderte die EU zu einer «sehr deutlichen Antwort» auf. Die Führung von Belarus besitze keine demokratische Legitimität und verhalte sich wie eine Diktatur, sagte Coveney dem Sender RTÉ.

(dfr/sda/dpa)

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137 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wir (M)Ostschweizer*innen nun im Süden
24.05.2021 06:34registriert Juni 2019
Die gesamte Pro Alexander Lukaschenko Regierungsmitglieder auf eine Liste setzen und zur Perdona non Grata erklären.
Zusätzlich müssten internationale Geschäftsbeziehungen und ev. Sportsanlässe eingestellt werden. Wer zur Zeit mit Belarus eine geschäftliche oder gesellschaftliche Beziehung eingeht hilft den Bewohnern überhaupt nicht
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BernerSchädel
24.05.2021 07:49registriert Dezember 2020
Und der Giftzwerg im Kreml wird Freudentänze aufführen. Wenn vergiften von politischen Gegnern nicht reicht, holt man halt grad das ganze Flugzeug vom Himmel um diese zu entführen. So sehen Terrorismus Regime aus!
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Heimscheisser
24.05.2021 07:56registriert April 2021
"Die Reaktionen sind heftig" "Regierungschef XY verurteilt die Aktion".
Und was passiert? Nichts. Die Sanktionen haben Lukaschenko nicht mal davon abgehalten, eine solche Aktion vor den Augen aller Europäer zu starten. Danach herrscht er munter weiter. Es ist zum verzweiflen diese Ohnmacht, den Menschen in Weissrussland nicht helfen zu können.
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