Bei der zweiten Parlamentswahl innerhalb von gut 100 Tagen in Bulgarien sehen Prognosen die populistische Partei ITN des Entertainers Slawi Trifonow als Sieger mit knappem Vorsprung vor der Partei des Ex-Ministerpräsidenten Boiko Borissow. Die erst 2020 gegründete systemkritische ITN («Es gibt so ein Volk») erhielt nach Schätzung zweier Meinungsforschungsinstitute am Sonntag 23.4 bis 24 Prozent der Stimmen. Borissows GERB käme demnach auf 22.9 bis 23.5 Prozent.
Weiter wachsen dürfte der Vorsprung der Entertainer-Partei nach der Auszählung der Stimmen von Bulgaren in 68 Ländern - darunter in Deutschland und Österreich. Die ersten Prognosen nach der Wahl hatten zunächst einen hauchdünnen Vorsprung für Borissow ausgemacht. Laut den Meinungsforschern von Gallup International ist es unwahrscheinlich, dass sich das prognostizierte Wahlergebnis noch einmal dreht.
Amtliche Endergebnisse soll es erst binnen vier Tagen geben. Die Neuwahl wurde notwendig, weil sich die zerstrittenen Parteien nach der Abstimmung vom 4. April nicht auf eine Koalition einigen konnten.
«Die Unterstützung, die ITN erhielt, ist erstaunlich», schrieb der Entertainer Trifonow auf Facebook. Der 54-Jährige trat bei dieser Wahl selbst nicht an. Er wolle am Montag seine konkreten Pläne bekannt geben. Seine Partei gehört zu keiner politischen Familie im EU-Parlament. Die ITN forderte den «politischen Status quo» mit dem Wahlslogan «Es ist Zeit für etwas Anderes» heraus. Sie will unter anderem das Mehrheitswahlrecht einführen und die staatlichen Hilfen für die Parteien drastisch verringern.
«Es gibt so ein Volk» ist auf Koalitionspartner in der Volksversammlung mit 240 Parlamentariern angewiesen, um zu regieren. In Frage kämen zwei weitere sogenannte Protestparteien - die konservativ-liberal-grüne Anti-Korruptions-Koalition Demokratisches Bulgarien DB und die kleine Partei «Richte dich auf! Mafiosi raus!». Das Anti-Borissow-Lager rechnete mit Wählerstimmen für die Parteien, die sich für Korruptionsbekämpfung und Justizreform einsetzen. Korruption ist für Bulgarien ein langwieriges Problem: Seit dem EU-Beitritt 2007 stand das Land deswegen unter Sonderbeobachtung aus Brüssel.
Sollten sich die Prognosen bestätigen, wäre dies für Borissows GERB die erste Wahlniederlage seit 2009. Die GERB hatte die Wahl vor drei Monaten noch mit gut 26 Prozent gewonnen. Im Europaparlament gehört die GERB ebenso wie die deutschen CDU und CSU zur Europäischen Volkspartei (EVP).
Borissows frühere Regierung - seine dritte mit kurzer Unterbrechung - war wegen Korruptionsvorwürfen massiv in die Kritik geraten. Die von Staatschef Rumen Radew eingesetzte jetzige Übergangsregierung enthüllte zahlreiche Missstände, Korruptionspraktiken und Versäumnisse der alten GERB-Regierung. (sda/dpa)