Nun hat Ursula von der Leyen es geschafft. Nach dem grünen Licht des Europaparlaments kann sie am Sonntag an der Spitze der neuen EU-Kommission endlich die Arbeit aufnehmen. Doch die Deutsche geht mit vielen politischen Hypotheken an den Start. Und selbst in ihrer Kommission dürfte von der Leyen nicht lange unumstritten bleiben.
Die langjährige Bundesverteidigungsministerin leitet als erste Frau die EU-Kommission mit 32'000 Beamten. Nachdem ihre eigene Wahl im Juli im Europaparlament äusserst knapp ausgefallen war, umarmte sie nach dem klaren Ergebnis vom Mittwoch erleichtert Mitarbeiter und die Chefs der Fraktionen, die ihre Kommission unterstützt haben.
«Lasst uns an die Arbeit gehen», war von der Leyens Botschaft in Strassburg. Und die 61-Jährige hat sich viel vorgenommen, um Europa zu stärken. Ob im Verteidigungsbereich, beim digitalen Wandel oder bei der Schaffung von Jobs.
Die wohl grössten Ankündigungen hat sie im Klimaschutz gemacht - beflügelt durch die «Fridays for Future»-Demonstrationen, aber auch auch getrieben durch Grüne und Sozialdemokraten im Europaparlament. Schon in den «ersten 100 Tagen im Amt» will sie einen Gesetzentwurf vorlegen, der ein klimaneutrales Europa bis 2050 festschreibt.
Die CDU-Politikerin muss aber aufpassen, dass sie es bei den Klimaschutzzielen nicht übertreibt. Nach einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage der Bertelsmann-Stiftung könnte sie damit zwar bei den Deutschen punkten.
In anderen grossen EU-Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien und Polen ist den Menschen der Schutz von Arbeitsplätzen jedoch wichtiger. Und angesichts einer sich eintrübenden Wirtschaftslage nennt ein Parteifreund von der Leyens Klima-Pläne bereits «verrückt».
Als Chefin der EU-Kommission hat von der Leyen sicher Gestaltungsspielraum und kann die Initiative ergreifen. Ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker kann aber ein Lied davon singen, wie viel im EU-Räderwerk steckenbleibt oder kleingemahlen wird. Denn für Gesetzgebungsakte ist sowohl die Zustimmung der Mitgliedstaaten als auch des EU-Parlaments nötig.
Letzteres war unter Juncker weniger das Problem. Denn das alte Parlament war dominiert von den grossen Fraktionen der Konservativen und der Sozialdemokraten, die zusammen eine Mehrheit stellten und lange wie eine «grosse Koalition» agierten.
Seit der Europawahl im Mai hat sich die politische Landschaft grundlegend verändert. Die schwarz-rote Mehrheit ist Geschichte. Das Parlament sei jetzt «zersplitterter und schwieriger zu managen», sagt Eric Maurice vom Institut Schuman. Tatsächlich braucht von der Leyen nun mindestens drei, besser sogar vier Fraktionen, um Gesetzgebungsakte durchzubekommen.
Janis Emmanouilidis vom European Policy Center (EPC) sieht auch auf Seiten der Mitgliedstaaten Streitpotential. Dies liege einmal daran, dass es «eine wesentlich angespanntere Situation zwischen Paris und Berlin» gebe.
Und dass von der Leyen schon gegenüber dem Parlament bei der Mehrheitssuche viele Zugeständnisse machen müsse, erschwere Kompromisse mit den EU-Regierungen. «Damit ist das Gesamtbild für von der Leyen nicht rosig», sagt Emmanouilidis. Auch innerhalb der Kommission wird von der Leyen um ihre Stellung kämpfen müssen.
Denn die Staats- und Regierungschefs haben ihr mit dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans und der liberalen Dänin Margrethe Vestager gleich zwei Spitzenkandidaten der Parteien bei der letzten Europawahl als geschäftsführende Vize-Präsidenten an die Seite gestellt. Beide hatten eigentlich gehofft, selbst Kommissionschef zu werden.
Vor allem bei Timmermans macht Emmanouilidis «Unzufriedenheit» aus und sieht Probleme am Horizont. «Es wird Konflikte geben», sagt er. Mit Blick auf die nächste EU-Kommission ab 2024 wolle Timmermans «ein Rückspiel», ist sich auch ein EU-Insider sicher. Er sagt in der Kommission bereits Intrigen von der Qualität der TV-Serien «Denver» und «Dallas» voraus. (aeg/sda/afp)