Die Wogen gehen hoch am Ärmelkanal. Auslöser ist ein Brief des britischen Premiers Boris Johnson an den französischen Präsidenten Macron. «Dear Emmanuel» beginnt das zweiseitige Schreiben, das der Autor gleich auf seinem Twitter-Konto veröffentlichte.
Nach dem bisher schlimmsten Bootsunglück von Mittwoch, bei dem 27 Migranten im kalten Kanalwasser ertrunken waren, schlägt der Brite gemeinsame Patrouillen an der französischen Küste vor. Dazu wünscht er den Einsatz von Radar und Sensoren, eine bessere Luftüberwachung sowie das Recht beider Länder, in den Gewässern des jeweils anderen Landes zu operieren.
Was auf den ersten Blick nach besserer Koordination klingt, läuft allerdings auf eine Forderung hinaus, die man in Paris als geradezu als frech einstuft:
Mit anderen Worten: Frankreich soll sich um die 26'000 Menschen kümmern, die seit Jahresbeginn von der Küste um Calais aus in Schlauchbooten nach England übergesetzt haben.
Den Franzosen platzte darauf der Kragen. Der britische Vorschlag sei «armselig in der Sache und völlig deplatziert in der Form», meinte Regierungssprecher Gabriel Attal. Auch die Veröffentlichung des Schreibens wird in Paris als - natürlich innenpolitisch motivierter - Affront gesehen. Innenminister Gérald Darmanin lud seine britische Amtskollegin Priti Patel ohne Umstände von einem Treffen mit betroffenen Ländern - Belgien, Deutschland, Niederlande - sowie der EU-Kommission aus. Die Britin sei an dem Treffen am Sonntag «nicht mehr willkommen», erklärte der Franzose, der mit der Innenministerin noch am Vortag telefoniert hatte.
Pariser Medien kommentieren, Johnson träume wohl, wenn er von einer Rücknahme sogar «mit sofortiger Wirkung» ausgehe. Die Migranten wollten nun einmal nach England; Frankreich sei nur ein Transitland und erfülle seine humanitäre Pflicht, wie es im bilateralen Abkommen von Le Touquet im Jahr 2004 vorgesehen sei. Eine Rücknahme von Migranten sei nirgends vorgesehen, auch wenn das Johnson mit seinem Verweis auf entsprechende EU-Abkommen mit Belarus oder Russland andeuten wolle.
Britische Tabloids hatten diese Woche Bilder veröffentlicht, die zeigen sollen, dass die französische Küstenwache abfahrbereite Gummiboote nicht am Ablegen hindere. Das sei «schändlich», warf The Sun den Franzosen vor. Dabei hatte die französische Regierung erst vor wenigen Tagen die Überwachung mit über hundert zusätzlichen Polizeibooten und Strandjeeps verstärkt. London sollte diese und frühere Operationen nach schriftlicher Maßgabe mit 60 Millionen Euro unterstützen, hat aber dem Vernehmen nach nur 20 Millionen überwiesen.
Johnsons provokative Idee gilt in Paris als allzu durchsichtiger Versuch, den innenpolitischen Druck durch die ankommenden Migranten auf Frankreich abzuschieben. Macron hat den Premier in London deshalb aufgefordert, das jüngste Drama nicht zu «instrumentalisieren». Seine Berater werden deutlicher: Frankreich rette täglich Hunderte von Migranten - erledige aber nicht die Arbeit für ein Land, das sich mit dem Brexit aus jeder vertieften Kooperation verabschiedet habe.
Der Brexit bildet auch den Hintergrund einer neuen Eskalation im britisch-französischen Fischereistreit. Um gegen die schleppende Vergabe von Fischereilizenzen in britischen Kanalgewässern zu protestieren, blockierten französische Fischer die Einfahrt eines kleinen britischen Frachtschiffes in den bretonischen Hafen Saint-Malo. Später wollten sie einen Hafen in der Normandie - voraussichtlich Ouistreham - sperren, gefolgt von Calais. Geplant war auch die Unterbindung des Frachtverkehrs durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal, durch den ein Viertel aller britischen Importgüter aus der EU gelangen.
Der Fischereistreit betrifft heute nur noch ein paar Dutzend französische Trawler, die auf ihre Lizenz warten, nach britischer Darstellung aber nicht genügend Unterlagen eingereicht haben. Dass dieses an sich geringfügige Problem zu hitzigen Köpfen und sogar zu Blockaden führt, zeigt in sich, wie tief die Differenzen zwischen London und Paris seit dem Brexit gehen. Und wie politisch jede bilaterale Sachfrage wird. Macron übernimmt im Januar den EU-Halbjahresvorsitz und tritt im April zu seiner Wiederwahl vor allem gegen zwei Rechtspopulisten an. Mit der schroffen Absage an Innenministerin Patel macht er ungesagt klar, dass die britischen Konservativen nicht länger auf die Mithilfe der EU zählen können, nachdem sie den Nachbarn auf dem Kontinent den Rücken gekehrt haben.
Die Opfer dieser diplomatischen Verhärtung sind die Migranten. «Wie können zwei verbündete und befreundete Länder das betrübliche Spektakel tödlicher Nachbarschaftsstreitigkeiten zur Schau stellen?», fragte etwa die Pariser Zeitung Le Monde.
Die Schotten wollen aus der UK raus, Nordirland fliegt ihm um die Ohren, die Versorgungslage fliegt ihm dank Brexit um die Ohren.
Er braucht dringend eine Ablenkung
Noch nie einen so undiplomatischen Regierungschef in GB erlebt, wie diesen Mini-Trump.
An Frankreich Stelle würde ich mich gar nicht lange aufregen, kein Vertrag keine Rücknahme.