Der Olympische Frieden ist ein Mythos aus der Antike. Demnach hatten die griechischen Stämme vertraglich vereinbart, während der Dauer der Olympischen Spiele die Waffen schweigen zu lassen. Historisch verbürgt ist er nicht, und tatsächlich kam es immer wieder zu kriegerischen Handlungen. Für die Spiele der Neuzeit gilt dies erst recht.
Die Frage, ob der russische Präsident Wladimir Putin während der Winterspiele in Peking auf einen Einmarsch in die Ukraine verzichten werde, ist deshalb zweitrangig. Es kann sein, dass er sich aus Rücksicht auf Chinas Staatschef Xi Jinping zurückhalten wird. Immerhin hat sich dieser der Forderung angeschlossen, die Ukraine dürfe niemals der Nato beitreten.
Gleichzeitig hat die Kriegsgefahr zugenommen. So wurden russische Truppen laut Erkenntnissen der US-Geheimdienste aus dem Hinterland an die ukrainische Grenze verlegt. Aufgestockt wurde auch die russische Militärpräsenz mit Soldaten und Kampfflugzeugen in Belarus, wo am Dienstag ein grosses Manöver beginnen soll.
Die Übungen seien für niemanden eine Bedrohung, betonten die russischen Streitkräfte. Nach Ansicht westlicher Beobachter besitzt Russland jedoch inzwischen die Kapazitäten für einen massiven Angriff in der Ukraine und einen Vormarsch bis in die Hauptstadt Kiew. Als Reaktion haben die USA mit der Verlegung von 2000 Soldaten nach Europa begonnen.
In den letzten Tagen warnte die US-Regierung vor russischen «False Flag»-Operationen auf ukrainischem Gebiet, um einen Kriegsgrund zu fabrizieren. Dazu gehörten der Einsatz verkleideter Provokateure sowie von gefakten Videos, die ukrainische Angriffe auf russisches Territorium oder russischsprachige Menschen belegen sollen.
Es gebe dafür keine Belege, aber es handle sich um eine Option, «die in Betracht gezogen wird», sagte der stellvertretende US-Sicherheitsberater Jonathan Finer auf MSNBC. Kritik blieb nicht aus. So erinnerten US-Medien an frühere Geheimdienst-Flops mit den Massenvernichtungswaffen im Irak oder zum Vormarsch der Taliban in Afghanistan.
Die grosse Frage im Westen lautet, wie akut die Kriegsgefahr tatsächlich ist. Deshalb werden auch die diplomatischen Aktivitäten verstärkt. Der französische Präsident Emmanuel Macron reist am Montag zu Wladimir Putin nach Moskau und am Dienstag nach Kiew. Im Vorfeld hatte er die russischen Sicherheitsbedenken als «legitim» bezeichnet.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Zurückhaltung, für die er heftig kritisiert wurde, ebenfalls abgelegt. Am Montag trifft er sich in Washington mit Präsident Joe Biden, und für nächste Woche ist ebenfalls eine Reise nach Moskau und Kiew geplant. Deutschland gilt als grösster Bremser in der Nato, was in Osteuropa für Unmut sorgt.
Der Aktionismus kann eine gewisse Ratlosigkeit nicht kaschieren. Denn eigentlich kann Wladimir Putin mit einem Angriff auf die Ukraine nichts gewinnen. Er würde die Nato mehr stärken als schwächen. West- und Osteuropa würden zusammenrücken. In Finnland, Schweden und sogar Österreich könnte der Nato-Beitritt angestrebt werden.
Der grösste Teil der ukrainischen Bevölkerung dürfte sich definitiv nach Westen orientieren. Logisch wäre eine russische Invasion somit nicht. Das Problem ist, dass man sie Wladimir Putin dennoch zutraut. Der russische Autokrat agiert zunehmend erratisch. Das zeigt auch sein immer rücksichtsloseres Vorgehen gegen die Opposition in Russland.
Allerdings ist es ihm nicht gelungen, den Westen und die Nato zu spalten. Nach Ansicht des erfahrenen US-Diplomaten Richard Haass, der für demokratische und republikanische Präsidenten tätig war, hat sich Putin in eine wenig beneidenswerte Lage gebracht: «Er muss entweder eskalieren oder einen Weg finden, ohne Gesichtsverlust einzulenken.»
Es sei unmöglich vorherzusagen, was Putin tun werde, schreibt Haass in einem unter anderem von der NZZ veröffentlichten Beitrag. Er könne sich für eine begrenzte Intervention in der Ostukraine entscheiden, «ohne sich grössere Sanktionen einzuhandeln». Doch selbst in diesem Fall besteht das Risiko, dass das nordatlantische Bündnis gestärkt würde.
Entscheidend ist deshalb mehr denn je, ob sich für Wladimir Putin eine Exit-Strategie finden lässt. Denn vermutlich weiss der Präsident selbst nicht, wie er aus dem Morast herausfinden kann, in den er sich nach Ansicht von Haass hineinbegeben hat. Und weil Putin eben Putin ist, müssen Europa und Ukraine mit der Kriegsgefahr klarkommen.
Das wäre dann er grösste und beeindruckendste April-Scherz aller Zeiten.
Ich fürchte einfach, dass so einer wie Putin Null Humor besitzt.
Die Krim zurück geben und der Ukraine Entschädigung zahlen