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Ukraine-Krise: Die Suche nach einer Exit-Strategie für Wladimir Putin

Russian President Vladimir Putin attends the opening ceremony of the 2022 Winter Olympics, Friday, Feb. 4, 2022, in Beijing. (AP Photo/Sue Ogrocki)
Wladimir Putin auf der Tribüne des Olympiastadions in Peking.Bild: keystone
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Die Suche nach einer Exit-Strategie für Wladimir Putin

Mit Diplomatie und Drohgebärden versucht der Westen, einen russischen Einmarsch in die Ukraine zu verhindern. Eine Frage steht im Zentrum: Wie kann Putin ohne Gesichtsverlust einlenken?
07.02.2022, 15:09
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Der Olympische Frieden ist ein Mythos aus der Antike. Demnach hatten die griechischen Stämme vertraglich vereinbart, während der Dauer der Olympischen Spiele die Waffen schweigen zu lassen. Historisch verbürgt ist er nicht, und tatsächlich kam es immer wieder zu kriegerischen Handlungen. Für die Spiele der Neuzeit gilt dies erst recht.

Die Frage, ob der russische Präsident Wladimir Putin während der Winterspiele in Peking auf einen Einmarsch in die Ukraine verzichten werde, ist deshalb zweitrangig. Es kann sein, dass er sich aus Rücksicht auf Chinas Staatschef Xi Jinping zurückhalten wird. Immerhin hat sich dieser der Forderung angeschlossen, die Ukraine dürfe niemals der Nato beitreten.

This satellite images provided by Maxar Technologies shows a troop housing area and vehicle park in Rechitsa, Belarus, Friday, Feb. 4, 2022. Russia has moved troops from Siberia and the Far East to Be ...
Dieses Satellitenbild zeigt russisches Kriegsmaterial in Belarus.Bild: keystone

Gleichzeitig hat die Kriegsgefahr zugenommen. So wurden russische Truppen laut Erkenntnissen der US-Geheimdienste aus dem Hinterland an die ukrainische Grenze verlegt. Aufgestockt wurde auch die russische Militärpräsenz mit Soldaten und Kampfflugzeugen in Belarus, wo am Dienstag ein grosses Manöver beginnen soll.

Warnung vor «False Flag»-Operationen

Die Übungen seien für niemanden eine Bedrohung, betonten die russischen Streitkräfte. Nach Ansicht westlicher Beobachter besitzt Russland jedoch inzwischen die Kapazitäten für einen massiven Angriff in der Ukraine und einen Vormarsch bis in die Hauptstadt Kiew. Als Reaktion haben die USA mit der Verlegung von 2000 Soldaten nach Europa begonnen.

In den letzten Tagen warnte die US-Regierung vor russischen «False Flag»-Operationen auf ukrainischem Gebiet, um einen Kriegsgrund zu fabrizieren. Dazu gehörten der Einsatz verkleideter Provokateure sowie von gefakten Videos, die ukrainische Angriffe auf russisches Territorium oder russischsprachige Menschen belegen sollen.

Diplomatische Aktivitäten

Es gebe dafür keine Belege, aber es handle sich um eine Option, «die in Betracht gezogen wird», sagte der stellvertretende US-Sicherheitsberater Jonathan Finer auf MSNBC. Kritik blieb nicht aus. So erinnerten US-Medien an frühere Geheimdienst-Flops mit den Massenvernichtungswaffen im Irak oder zum Vormarsch der Taliban in Afghanistan.

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Olaf Scholz in lockerem Outfit im Bundeswehr-Flieger auf dem Weg nach Washington.Bild: keystone

Die grosse Frage im Westen lautet, wie akut die Kriegsgefahr tatsächlich ist. Deshalb werden auch die diplomatischen Aktivitäten verstärkt. Der französische Präsident Emmanuel Macron reist am Montag zu Wladimir Putin nach Moskau und am Dienstag nach Kiew. Im Vorfeld hatte er die russischen Sicherheitsbedenken als «legitim» bezeichnet.

Die Nato stärken statt schwächen

Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Zurückhaltung, für die er heftig kritisiert wurde, ebenfalls abgelegt. Am Montag trifft er sich in Washington mit Präsident Joe Biden, und für nächste Woche ist ebenfalls eine Reise nach Moskau und Kiew geplant. Deutschland gilt als grösster Bremser in der Nato, was in Osteuropa für Unmut sorgt.

Der Aktionismus kann eine gewisse Ratlosigkeit nicht kaschieren. Denn eigentlich kann Wladimir Putin mit einem Angriff auf die Ukraine nichts gewinnen. Er würde die Nato mehr stärken als schwächen. West- und Osteuropa würden zusammenrücken. In Finnland, Schweden und sogar Österreich könnte der Nato-Beitritt angestrebt werden.

Man traut es Putin zu

Der grösste Teil der ukrainischen Bevölkerung dürfte sich definitiv nach Westen orientieren. Logisch wäre eine russische Invasion somit nicht. Das Problem ist, dass man sie Wladimir Putin dennoch zutraut. Der russische Autokrat agiert zunehmend erratisch. Das zeigt auch sein immer rücksichtsloseres Vorgehen gegen die Opposition in Russland.

Allerdings ist es ihm nicht gelungen, den Westen und die Nato zu spalten. Nach Ansicht des erfahrenen US-Diplomaten Richard Haass, der für demokratische und republikanische Präsidenten tätig war, hat sich Putin in eine wenig beneidenswerte Lage gebracht: «Er muss entweder eskalieren oder einen Weg finden, ohne Gesichtsverlust einzulenken.»

Der Weg aus dem Morast

Es sei unmöglich vorherzusagen, was Putin tun werde, schreibt Haass in einem unter anderem von der NZZ veröffentlichten Beitrag. Er könne sich für eine begrenzte Intervention in der Ostukraine entscheiden, «ohne sich grössere Sanktionen einzuhandeln». Doch selbst in diesem Fall besteht das Risiko, dass das nordatlantische Bündnis gestärkt würde.

Entscheidend ist deshalb mehr denn je, ob sich für Wladimir Putin eine Exit-Strategie finden lässt. Denn vermutlich weiss der Präsident selbst nicht, wie er aus dem Morast herausfinden kann, in den er sich nach Ansicht von Haass hineinbegeben hat. Und weil Putin eben Putin ist, müssen Europa und Ukraine mit der Kriegsgefahr klarkommen.

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20 Jahre Putin in Bildern
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20 Jahre Putin in Bildern
1999: Wladimir Putin und Boris Jelzin beim Händedruck. Wenige Monate zuvor wurde Putin zum Premierminister ernannt.
quelle: tass / str
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Putin, Nato und der Zankapfel: Der Ukraine-Konflikt einfach erklärt
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176 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hans Jürg
07.02.2022 15:33registriert Januar 2015
Um sein Gesicht zu wahren, könnte er die Situation noch bis zum 1. April aufrecht erhalten und dann vor die internationale Presse treten und laut: "апрель, апрель!" (April, April!) rufen.

Das wäre dann er grösste und beeindruckendste April-Scherz aller Zeiten.

Ich fürchte einfach, dass so einer wie Putin Null Humor besitzt.
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sweeneytodd
07.02.2022 23:36registriert September 2018
An alle die hker Kommentieren "Die Nato ist ja nicht besser, Osterweiterung und so". Nur so am Rande, aber ein Staat kann durchaus über eine gewisse Zeit sein politisches Gedankengut ändern und mit der Zeit sich einem anderen System zugehörig fühlen. Nebenbei ist es Sache der jeweiligen Staaten, in welchem Bündniss sie beitreten wollen. Wenn Russland dies nicht passt, betreibt es das was man den Amis auch immer vorwirft: Imperialismus. Keiner der ehemaligen Oststaaten wurde zu einem Nato beitritt gezwungen, Russland ist selber Schuld, wenn sie offenbar unattraktiver sind.
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Tokyo
07.02.2022 15:21registriert Juni 2021
einfach die grünen Männchen zum Urlaub heim holen.
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