Frankreich hat mal wieder die Wahl - die tupfgenau gleiche wie schon vor fünf Jahren: Damals wie heute schafften es die beiden Kandidaten Emmanuel Macron, 44 («La République en marche») und Marine Le Pen, 53, («Rassemblement National») in die Endrunde der französischen Präsidentschaftswahlen. Vor der entscheidenden Abstimmung am kommenden Sonntag (um 20 Uhr wissen wir, wer gewonnen hat) hatten die beiden Anwärter auf den Platz im Pariser Elysée-Palast genau eine Chance, in der grossen Manege die Klingen zu kreuzen: das grosse TV-Duell vom Mittwochabend.
Knapp drei Stunden lang haben sich der Ex-Banker und amtierende Präsident und die Ex-Anwältin und rechte Parteichefin rhetorisch aufs Dach gegeben. 5 Dinge sind aufgefallen.
Der Ruf, ein abgehobener Präsident der Reichen zu sein, eilt Monsieur Macron seit Jahren voraus. Mit ungeschickten Äusserungen wie jener über die demonstrierenden Gelbwesten-Anhänger, die er einst als «abscheuliche Menschenmasse» beschrieben hatte, zementierte er das Bild eines hochnäsigen Elite-Politikers, der die Bodenhaftung irgendwo zwischen seiner steilen Karriere als Investment-Banker und dem Pariser Elysée-Palast verloren hatte.
Sein oberstes Ziel musste es im TV-Duell daher sein, volksnah rüberzukommen. Das ist Macron kräftig misslungen. Er fiel durch desinteressierte Körperhaltung auf, unterbrach seine Debatten-Gegnerin immer wieder unflätig und wurde einmal sogar von der Moderatorin zurechtgewiesen:
Auch Le Pen selbst entging das teils unanständige Verhalten ihres Gesprächspartners nicht. Macron, der Le Pen - inhaltlich durchaus zurecht - immer wieder korrigierte, wirkte etappenweise wie ein strenger Lehrer. «Ich brauche keinen Nachhilfeunterricht, danke!», schmetterte ihm Le Pen nach etwa zwei Stunden schief lächelnd entgegen.
Das politische Programm der rechtsradikalen Präsidentschaftskandidatin wird von gemässigten Kräften als unrealistisch bis gefährlich eingestuft. Bei ihrem Auftritt vor dem TV-Millionenpublikum aber machte die Chefin des «Rassemblement National» eine auffällig gute Figur. Le Pen lächelte viel, verlor nie die Fassung, leistete sich keine gröberen Schnitzer und wirkte über weite Strecken viel souveräner als Macron.
2017 noch verpatzte sie ihren Auftritt beim entscheidenden TV-Duell, wirkte viel zu streng und inkompetent. Das war 2022 definitiv nicht mehr der Fall. Ob ihre professionell-freundliche Fassade reicht, um skeptische Wählerinnen und Wähler über ihr radikales Parteiprogramm hinwegzutäuschen?
Marine Le Pen machte ihre «absolute Solidarität mit der Ukraine» zwar unmissverständlich klar. Dennoch schwebt der 9-Millionen-Euro-Kredit, den sie 2015 bei einer russischen Bank zur Finanzierung ihrer Partei aufgenommen und noch immer nicht vollständig zurückbezahlt hat, wie ein Damokles-Schwert über ihrer Kampagne. Macron ging hart mit der Putin-nahen Le Pen ins Gericht und warf ihr vor, sie könne keine unabhängige Aussenpolitik betreiben, solange sie bei Moskau in der Kreide stehe. Macron schimpfte:
Le Pen konterte, Macron sei drauf und dran, ein Gas-Embargo gegen Russland zu akzeptieren, was einem «Harakiri» für die französische Wirtschaft gleichkäme. Von verschiedenen Seiten wird Macron zudem dafür kritisiert, dass er es in insgesamt 19 Telefongesprächen mit Putin nicht fertiggebracht hat, den Kreml-Herrscher von seinen Kriegsplänen abzubringen.
Macron gegen Le Pen: Das ist - mindestens aus Sicht der französischen Linken, nichts anderes als die Wahl zwischen Pech und Schwefel. Doch die beiden Kandidaten haben komplett andere Visionen für die Zukunft der Republik. Das machte die TV-Debatte überdeutlich. Nur ein paar Beispiele:
- Macron will das Rentenalter sukzessive auf 65 erhöhen (mit Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen), um die Altersvorsorge nicht zu überstrapazieren. Le Pen hingegen will, dass man spätestens mit 62 in Pension gehen kann, «weil man sonst gar nichts mehr davon hat».
- Le Pen will das Tragen von Kopftüchern in der Öffentlichkeit verbieten und bezeichnet etwa Burkas als «islamistische Uniformen». Macron hingegen sähe in einem solchen Vorstoss eine radikale Überreaktion auf ein nicht wirklich existierendes Problem.
- Le Pen will die Anzahl von Überwachungspersonal und Ärzten in Alterskliniken erhöhen lassen. Macron hingegen will die Pflege zuhause (also das hiesige Spitex-Modell) massiv ausbauen.
- Macron will Frankreich gemeinsam mit Deutschland zum starken Führungsduo innerhalb der EU machen. Le Pen will die EU radikal reformieren und zu einem «Europa der Nationen» mit grosser Souveränität der einzelnen Mitgliedsländer machen.
Laut einer Erhebung der Online-Plattform Politico liegt Macron mit 55 zu 45 Prozent Wähleranteil rund 10 Prozent vor seiner Konkurrentin. Der Abstand sank vor zwei Wochen zwischenzeitlich allerdings auf rund 6 Prozent zusammen. Seine Zustimmungswerte sind zudem katastrophal. Nur gerade 43 Prozent der Franzosen sind mit seiner Arbeit als Präsident zufrieden. Rund 14 Prozent gaben zudem an, dass sie sich ihre Meinung erst nach dem TV-Duell machen würden. Ob Le Pens souveräner Auftritt sie näher an Macron ran bringt, wissen wir am Sonntag um 20 Uhr. Bis dahin ist klar, wer die Wahlen gewonnen hat und Frankreich für die nächsten fünf Jahre regieren wird. (saw/aargauerzeitung.ch)
Wer will schon einen hochintelligenten, dossierfesten Präsidenten Macron, wenn er eine viel versprechende (nicht zu verwechseln mit einer vielversprechenden) Präsidentin Le Pen haben kann.
La Grande Nation blickt einer spannenden Zukunft entgegen.