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Präsidenschaftswahl in Frankreich: Le Pen hat gute Chancen

Marine will nicht mehr Le Pen heissen, drängt aber mehr denn je ins Elysée

Nicht einmal ihre Nähe zu Wladimir Putin kann ihr etwas anhaben: Die französische Ultranationalistin hat so gute Chancen wie noch nie, am Sonntag Staatspräsidentin Frankreichs zu werden.
20.04.2022, 12:2320.04.2022, 15:34
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Vor gut zehn Jahren, als sie ihren Vater Jean-Marie Le Pen aus der Partei warf, die er selber gegründet hatte, nannte man sie noch «die blonde Bestie». Auch die Immigranten wollte sie aus dem Land werfen, zusammen mit der EU und der Nato. Einführen, genauer: wiedereinführen wollte sie nur die Todesstrafe.

French far-right leader Marine Le Pen, center, greets people as she campaigns in a market in Pertuis, southern France, Friday, April 15, 2022. (AP Photo/Daniel Cole)
Marine Le Pen
Marine Le Pen auf dem Markt im Provence-Ort Pertuis.Bild: keystone

Heimspiel in der Provence

Jetzt wandelt «Marine», wie sie ihre Fans nur noch nennen, mit strahlendem Lächeln und staatsmännischer Pose über den hübschen Markt des südfranzösischen Städtchens Pertuis. Ein Selfie hier, ein Küsschen dort: Die Provence ist ein Heimspiel für die Rechte.

«Ich habe das Volk hinter mir. Ich werde Präsidentin sein»,

lacht die Frau, die ihren Nachnamen vergessen machen will.

Demonstrators hold a banner reading: Against far-right. For justice. No Le Pen at Elysee, during a protest against far-right in Paris, Saturday, April 16, 2022. Far-right leader Marine Le Pen is tryin ...
«Keine Le Pen im Elysée»: Protestdemo gegen die extreme Rechte.Bild: keystone

Irgendwo skandieren ein paar schwarzgekleidete Junge, Faschisten hätten hier nichts zu suchen. Ein Paar mit einer Ukrainer-Fahne schreit gegen Le Pens Putin-Affinität an. Und eine ältere Marktfahrerin mit einem moslemischen Kopftuch wirft der Starbesucherin vor, sie verletze Frankreichs sakrosanktes Prinzip der «égalité», wenn sie Immigranten wie ihr Sozialrechte vorenthalten wolle.

Le Pen erwidert lächelnd: «Ich kämpfe für alle Franzosen.» Schon schwebt sie weiter auf ihrer Wolke, zum nächsten Selfie, der nächsten «bise» (Küsschen). Der Pariser Sender BFM, der den Marktbesuch live überträgt, kommentiert anerkennend: «Sie ist populär. Sie macht hier keine Angst, sie ist kein Schreckgespenst mehr.»

Nahe der 50-Prozent-Schwelle

Vor einem Stand mit der gelben Inschrift «ein Kleid 8 Euro, zwei 15 Euro» verspricht Le Pen «mehr Kaufkraft». Das ist ihr Trumpf As. Seitdem alles teurer geworden ist, erhöht die Vorsteherin des «Rassemblement National» (RN) ihre Wahlversprechen geradezu inflationär.

Im ersten Wahlgang Mitte April ist Le Pen mit 23.2 Prozent in die Stichwahl gegen den Amtsträger Emmanuel Macron eingezogen; für die Stichwahl nähert sie sich laut Umfragen der 50-Prozent-Schwelle.

French far-right leader Marine Le Pen, left, talks to a woman as she campaigns in a market in Pertuis, southern France, Friday, April 15, 2022. (AP Photo/Daniel Cole)
Marine Le Pen
In Pertuis stritt sich Le Pen kurz mit einer Moslemin.Bild: keystone

Beim Stichwort Macron lacht die Populistin nur. «Schieben wir ihm einen Riegel!», fordert sie im Umdrehung des linken Slogans, am Sonntag geschlossen gegen Le Pen zu stimmen. Die 53-jährige, zum dritten Mal antretende Präsidentschaftskandidaten spielt die sichere, die coole Siegerin. Sie, die früher gegen alles polterte und schimpfte, wirft nun Macron vor, er werde aggressiv und verliere die Nerven.

Marine, die nicht mehr Le Pen genannt werden will, weil das irgendwie rechtsextrem klingt, gibt sich geläutert und gelassen. Ihr Schritt ist einstudiert langsamer geworden, ihre Reibeisenstimme weicher und etwas heller. Im weichen Licht einer Salonlampe erzählt sie TV-Interviewern von ihren sieben Bengalkatzen. Oder von dem Bombenattentat gegen ihren Vater, bei dem sie als Achtjährige einige Glassplitter abbekommen hatte.

Auch ihr Privatleben breitet Marine heute gerne aus, was für Frankreich sehr unüblich ist. Die Villa ihres Vaters Jean-Marie Le Pen im Pariser Nobelvorort Saint-Cloud verliess sie im Jahr 2014, nachdem sein Dobermann eine ihrer Hauskatzen verspeist hatte.

Nach drei Ehen und Lebenspartnerschaften, aus denen sie drei Kinder mitnahm, lebt sie heute mit einer Frau zusammen, die sie seit ihrer frühesten Kindheit kennt. Marine bestellt den Garten, Ingrid die Küche. Die Wohngemeinschaft funktioniere besser als mit Männern, bekennt die menschlich gewordene Präsidentschaftskandidatin:

«Man schnauzt sich nicht ständig an.»
FILE - In this July 14, 2009 file photo Jean-Marie Le Pen, right, and his daughter Marine Le Pen sit at the European Parliament, in Strasbourg, eastern France. Money, and how to get it, has dogged Fre ...
Ein Bild von 2009, als Marine und ihr Vater Jean-Marie Le Pen noch vereint im Europaparlament sassen - ohne sich ständig anzuschnauzen.Bild: AP/AP

Bereitwillig spricht sie gar von ihrem anderen Trauma, dem verpatzten TV-Streitgespräch gegen Macron im Jahre 2017.

«Man wird besser, wenn man gelitten hat, gestürzt ist und sich Vorwürfe macht, weil man enttäuscht hat»,

sagt Marine herzergreifend. Ihre neue Rolle beherrscht sie, ihre Auftritte zähmt sie bis zur Selbstaufgabe. Auch politisch: Den «Frexit» hat sie nicht mehr im Programm, die Nato will sie nur noch kommandomässig verlassen. Das Kopftuchverbot auf offener Strasse bezeichnet sie nun als «komplex», das heisst undurchführbar. Auch die Todesstrafe will sie den Franzosen nicht mehr zur Volksabstimmung unterbreiten.

Goldlüster und Gobelin-Teppiche

Gegen die Immigranten will Le Pen weiter radikal vorgehen: Franzosen sollen bei der Arbeitssuche und Sozialrechten eine «préférence nationale» (Vorrang der Nationalität) haben; nur noch ein Viertel der ausländischen Väter sollen ihre Familien nachziehen können. Über solche unschönen Dinge spricht Marine aber nicht gerne. Braucht sie auch gar nicht: Alle Franzosen wissen von früher, dass Le Pen so viel bedeutet wie Anti-Immigration. Auch ein hübscher Vorname ändert daran nichts.

Ja, die Franzosen haben immer noch Mühe, sich die Rechtspopulistin inmitten der Goldlüster und Gobelin-Wandteppiche des Elysée-Palastes vorzustellen. Mit wem würde sie regieren, wenn sogar ihre Nichte Marion Maréchal zu Le Pens Intimfeind Eric Zemmour übergelaufen ist?

French far-right Front National leader Marine Le Pen, right, and her niece Front National Deputy Marion Marechal Le Pen, center, greet residents during an electoral visit at a market in Avignon, south ...
Le Pen und ihre abtrünnige Nichte Marion Maréchal (links).Bild: AP/AP

Auch scheint höchst zweifelhaft, ob Le Pens marginale Partei RN im Juni die Parlamentswahlen gewinnen kann. Dann müsste die Präsidentin einen ihr nicht genehmen Premierminister ernennen, also eine «cohabitation» eingehen. Und was dann? Egal, wir sehen weiter, wenn wir im Elysée sind, sagt die Frau, die nur noch einen Vornamen haben will. (saw/aargauerzeitung.ch)

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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Chris_A
20.04.2022 12:48registriert Mai 2021
Hoffentlich fallen die Mehrheit der Franzosen nicht auf so jemanden rein.
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pinex
20.04.2022 13:36registriert August 2014
Sie spielt nun die Wölfin im Schafspelz.
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cheko
20.04.2022 13:14registriert Dezember 2015
Hoffentlich kommt es nicht so weit..
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