Die Frage war vielleicht rhetorisch, aber sehr gefühlt: «Glauben Sie, dass es Spass macht, eine solche Reform zu machen?», herrschte Macron am Mittwoch die zwei Journalisten des Mittagsjournals an. Die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 sei «kein Luxus, kein Vergnügen, sondern eine Notwendigkeit», erklärte der Präsident angriffig.
Auf seine Ausführungen, warum diese Reform nötig sei, vermochte der Präsentator von France-2 nur noch zu fragen, wieso er das den Franzosen nicht schon seit Monaten erklärt habe. Doch der energiegeladene Präsident hörte nicht hin. Er versprach neue Reformen für Arbeiter mit harten Jobs, für den Berufswechsel ab 55 Jahren oder für Mindestlohnbezüger.
Am Rentenalter 64 hält er aber fest. Diese Reform soll auf das Jahresende hin umgesetzt werden, sofern der Verfassungsrat grünes Licht gibt. Die Forderung der Gewerkschaften nach einem Rückzug der Reform überging Macron bei seinem ersten offiziellen Eingriff in die Rentendebatte.
Die Fronten scheinen damit verhärtet, eine Lösung des schweren Konfliktes ist nicht in Sicht. Der Vertreter der Gewerkschaft CGT in Marseille, Olivier Mateu, hatte schon vor Macrons TV-Auftritt erklärt, alles andere als ein Rückzug der Reform wäre für ihn inakzeptabel. Die Gewerkschaften rufen für Donnerstag zu einem neuen Protesttag auf.
In Paris und anderen Städten kommt es seit einer Woche jede Nacht zu schweren Ausschreitungen. Züge werden zudem in Bahnhöfen - am Mittwoch etwa in Toulouse und Nizza - festgehalten. Die Ölraffinerien sind blockiert, was in ganz Südfrankreich zu Benzinmangel führt.
In Marseille sperrte die CGT am Mittwoch auch die Zufahrten zum Hafen. Wegen des Streiks von Kehrichtarbeitern häufen sich in vielen Städten die Müllberge.
Macron bekannte sich zum Streikrecht; gegen die diversen Blockaden bietet er aber Arbeiter des Privatsektors auf. Am Dienstag hatte er vor Vertretern seiner Partei «Renaissance» ausgeführt, «die Menge» auf der Strasse habe keine demokratische Legitimität; jede Form von Gewalt werde er bekämpfen.
In Frankreich werden immer wieder Parlamentarierbüros verwüstet; anderen wird der Strom gekappt. Macron lässt sie nun polizeilich schützen.
Der Präsident kann letztlich gar nicht anders, als stur auf seiner Linie zu bleiben, wenn er nicht schlicht kapitulieren will. Die Linksunion Nupès und die Rechtspopulistin Marine Le Pen verlangen einen Regierungswechsel mit allfälligen Neuwahlen oder - noch besser - eine Volksabstimmung zur Rentenfrage. Beides kommt für Macron nicht in Frage.
Der Rücktritt von Premierminister Elisabeth Borne wäre für den Präsidenten allzu billig. Im Visier der Protestbewegung ist schliesslich Macron, nicht Borne. Sie ist ferner erst die zweite Premierministerin Frankreichs nach Edith Cresson. Dies war von Staatschef François Mitterrand 1992 nach nur elf Monaten in die Wüste geschickt worden war. Bornes Ablösung nach bloss zehn Monaten im Amt käme einer Ohrfeige für die Frauenfrage gleich.
Ein «référendum» steht für Macron ebenso ausser Frage: Es würde, da nur sehr selten anberaumt, von den französischen Stimmberechtigten unweigerlich in ein Plebiszit gegen den Herrscher im Elysée-Palast umgemünzt. Schon der ehemalige Landesvater Charles de Gaulle hatte diese Erfahrung gemacht, als er 1969 nach einer verlorenen Senatsreform den Hut nehmen musste. Und Macron ist derzeit noch unbeliebter: Seine Popularität ist in den Meinungsumfragen auf 28 Punkte abgesackt - den tiefsten Wert seit der Gelbwestenkrise von 2019.
Auch darin zeigt sich, dass nicht die Opposition, sondern landesweit der Präsident für die Eskalation der Lage verantwortlich gemacht wird. Die sehr labile, aufrührerische Stimmung im Land wird Macron ebenso angekreidet wie die nicht abreissende Serie von Verwüstungen und Krawallen in zahllosen Städten. Laurent Berger von der gemässigten Gewerkschaft CFDT warnte Macron, dass er mit seiner Arroganz und Starrsinnigkeit noch die Nation gegen sich aufbringe. Ausser von Seiten des Unternehmerverbandes Medef sind effektiv kaum Stimmen zugunsten der Rentenreform zu hören. (bzbasel.ch)
Seit längerer Zeit, befindet sich Frankreich in einer wirtschaftlichen und vor allem finanziellen Abwärtsspirale, welche sich immer schneller dreht und am Schluss uns alle mit in den Abgrund reisst.
Wir werden es noch erleben, wie der Zorn dann die Schwächsten am meisten treffen wird und unheilige Allianzen einen Flächenbrand auslösen können.