Drogenboss in Frankreichs Superknast: freier Ausgang für Bewerbungsgespräch
Kommt er wieder zurück? Einen Tag lang stand Frankreich im Bann dieser Frage, nachdem ein Strafvollzugsrichter einem berüchtigten Drogenbaron einen eintägigen Freipass zur Jobsuche zugestanden hatte. Ouaihid Ben Faïza, 52, konnte seine Haftanstalt im nordfranzösischen Vendin-le-Vieil am Montagmorgen ohne jedes Geleit verlassen, um nach Lyon zu einem Bewerbungsgespräch zu fahren.
Die mehrstündige Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug TGV absolvierte er ohne Polizei- oder sonstige Aufsicht. Dabei war er 2014 schon einmal bei einem Arztbesuch mit Waffengewalt entwichen. Dafür hatte er zusätzlich acht Jahre Haft erhalten.
Grosses Staunen herrscht in Frankreich vor allem, weil der mehrfach rückfällige Chef eines Dealernetzes im Pariser Vorort La Courneuve kein kleiner Fisch ist und auch nicht in irgendeiner Haftanstalt einsitzt. Seine Zelle befindet sich im brandneuen Hochsicherheitsflügel der Anstalt Vendin-le-Vieil. Dort sind seit vier Monaten auf Betreiben von Justizminister Gérald Darmanin hundert der gefährlichsten Drogenbosse inhaftiert.
Eine doppelte Mauer von zehn Metern Höhe umgibt den Trakt, dazu kommen vier hohe Kontrolltürme und 450 Kameras. Störsender und Netze sollen verhindern, dass Handys von aussen in die Zellen gelangen. Besuchstermine werden nur über Gegensprechanlagen abgehalten. Die 250 Wärter arbeiten im Turnus, damit sie nicht «gekauft» werden können. Vendin-le-Vieil sei so sicher wie die italienischen Gefängnisse für Mafiosi, hatte sich Darmanin bei der Einweihung im Juli gebrüstet.
Die unkontrollierte Ausgangsbewilligung für den als hochgefährlich eingestuften Häftling Faïza wirkt deshalb wie Hohn für Darmanin, den Hardliner der Macron-Regierungen. Pariser Medien spekulieren, ob der zuständige Richter bewusst von jeder Kontrolle absah, um den in der Richterzunft verhassten Minister lächerlich zu machen.
6000 Demonstranten gegen Drogengewalt
Für Darmanin kommt die Faïza-Affäre jedenfalls zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Vergangene Woche erreichte der Volkszorn über die Straflosigkeit vieler Dealerbanden einen neuen Höhepunkt: Zwei vermummte Täter erschossen in Marseille von einem Motorrad aus den Bruder des bekannten Anti-Narco-Aktivisten Amine Kessaci. Vermutlich war das ein Einschüchterungsversuch durch das lokale Drogenkartell DZ Mafia. Dessen Boss soll die Killer aus dem Gefängnis angeheuert haben. Am Samstag gingen in Marseille 6000 Menschen auf die Strasse, um gegen die zunehmende Gewalt der «Narcos» zu protestieren.
Kurz darauf wurde der freie Tag des Wiederholungstäters Faïza in Nordfrankreich bekannt. Am Montag warteten die Journalisten der Pariser Live-Sender frühmorgens vor der Hochsicherheitsanstalt, als der Drogenhändler an die frische Luft trat. Bevor er noch um ein Interview gebeten werden konnte, holte ihn seine Frau zum Glück im Auto ab. Darmanins Mannen steckten der Presse, der territoriale Nachrichtendienst DNRT beschatte Faïza diskret. Aus den sozialen Medien kam eher die Frage, ob da die Gendarmen von Saint-Tropez am Werk seien.
Der an sich freie, aber plötzlich landesweit bekannte und von allen Seiten überwachte Supernarco konnte gar nicht anders, als sich nach seinem Anstellungsgespräch in Lyon wieder Richtung Vendin-le-Vieil zu begeben. Um Punkt 21 Uhr meldete er sich vor den laufenden TV-Kameras zurück im Knast.
Die Posse endete damit zur allgemeinen Zufriedenheit. Faïzas Anwältin betonte auf dem Sender BFM, ihr Klient habe seinen guten Willen bewiesen, nachdem er schon in Haft durch gutes Benehmen aufgefallen sei; in der Kantine verteile er sogar die Esstabletts an seine Mitgefangenen. Sie hoffe, sagte die Anwältin, dass Faïza bald eine bedingte Freilassung erwirke, um in Lyon bei dem Hydraulik-Unternehmen einsteigen zu können.
Weniger erfreulich sind die Statistiken der um sich greifenden Gewalt im Drogenmilieu. In den französischen Gefängnissen sitzen rund 10'000 Häftlinge wegen Drogendelikten. 2024 gab es 367 Morde oder Mordversuche, einen pro Tag. (aargauerzeitung.ch)
