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Frankreichs Rechte feiert 50-Jahre-Jubiläum – ohne Parteigründer Le Pen

Far-right leader Marine Le Pen speaks after the early result projections of the French presidential election runoff were announced in Paris, Sunday, April 24, 2022. French polling agencies are project ...
Marine Le Pen bei einem öffentlichen Auftritt. Sie warf ihren Vater Jean-Marie Le Pen 2015 aus der Partei.Bild: keystone

Jubiläum wider Willen: Frankreichs Rechte erinnert sich ungern an die braune Vergangenheit

Frankreichs Rechte feiert ein halbes Jahrhundert Bestehen. Ihre Chefin Marine Le Pen tut alles, um die Erinnerung an die braune Vergangenheit ihrer Bewegung zu vermeiden – und damit an ihren Vater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen.
06.10.2022, 05:2406.10.2022, 05:24
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Ein Sonderkongress zum runden Geburtstag? Eine Jubelfeier mit ordenbehängten Parteiveteranen und europäischen Nationalisten? Nichts von alledem plante Marine Le Pen am Mittwoch, dem 50. Geburtstag des französischen «Front National» (FN). Für sie genügt ein kurzes, sehr diskretes Kolloquium unter der - bis heute nicht eingehaltenen - Devise «Von der Hoffnung an die Macht».

Waffen-SS und Kolonialnostalgiker

Auch der greise Parteigründer Jean-Marie Le Pen war nicht geladen. Der 94-jährige Rechtsextremist hatte den FN am 5. Oktober 1972 aus der Taufe gehoben. Vichy-Milizionäre des Zweiten Weltkriegs, ehemalige Waffen-SS, Algerienkämpfer und Kolonialnostalgiker hatten den damals jüngsten Abgeordneten der französischen Nationalversammlung als gemässigtes Aushängeschild vorgeschoben. Nach dem Rat des italienischen Neofaschisten Giorgio Almirante (MSI) sollte er einen «lächelnden Faschismus» verkörpern.

Former far-right National Front party leader Jean-Marie Le Pen clenches his fist at the statue of Joan of Arc, Monday May 1, 2017, in Paris. Jean-Marie Le Pen is holding the Joan of Arc event again Mo ...
Jean-Marie Le Pen im Jahr 2017.Bild: AP

Jean-Marie Le Pen lächelte aber nicht lang, sondern bootete die Ultrarechten der «Neuen Ordnung» (Ordre Nouveau) aus und machte den FN zu seiner persönlichen Wahlplattform. 1986 zog er mit 35 Abgeordneten - und tatkräftiger Unterstützung durch den sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, der die gaullistischen Konservativen schwächen wollte - in die Nationalversammlung ein.

Mit der Behauptung, die Gaskammern des Zweiten Weltkriegs seien «ein Detail der Geschichte», und anderen Affären und Gerichtsurteilen machte er sich einen Namen als Scheusal der Republik. «Eine Million Arbeitslose, das ist eine Million Immigranten zu viel», polterte der Mann mit dem Glasauge. 2002 erlebte er seine persönliche Sternstunde, als er den Sozialisten Lionel Jospin aus dem Präsidentenrennen schlug. Erst in der Stichwahl unterlag er gegen Jacques Chirac.

Keine lauten Töne mehr

2015 wurde Jean-Marie Le Pen von seiner eigenen Tochter aus dem FN geworfen. Marine Le Pen hatte genug von seinen garstigen Sprüchen, die ihre Strategie der «Entdämonisierung» ständig durchkreuzten, und taufte die Partei in «Rassemblement National» (RN) um. Das klingt unverfänglicher und bedeutet «auch einen politischen Bruch», wie der langjährige Le Pen-Spezialist Jean-Yves Camus heute meint.

Das RN habe den Immigrationsstopp zwar immer noch zum Kerninhalt, verbiete sich aber jedes laute Wort dazu. Auch den EU- und Euro-Austritt propagiere sie nicht mehr, sagt Camus. Dafür berufe sie sich mittlerweile sogar auf den Weltkriegshelden und Republikbegründer Charles de Gaulle.

Das wirkt sehr aufgesetzt, aber Le Pen weiss, dass sie bei ihrer vierten Präsidentschaftskandidatur im Jahre 2027 nur dann eine Chance hat, wenn sie den «republikanischen Damm» gegen ihre Partei durchbrechen und auch Stimmen des konservativ-gaullistischen Lagers anziehen kann.

Viele ihrer Anhänger in Südfrankreich hassen de Gaulle jedoch bis heute, weil er «ihr» Algerien 1962 in die Unabhängigkeit entlassen hatte. Auf diese reaktionären Wähler bleibt Le Pen mindestens so sehr angewiesen wie die Römer Wahlsiegerin Giorgia Meloni auf ihre «Brüder Italiens».

French President Emmanuel Macron, right, meets French far-right Rassemblement National (RN) leader and Member of Parliament Marine Le Pen at the Elysee Palace in Paris, France, Tuesday, June 21, 2022. ...
Marine Le Pen mit Präsident Emmanuel Macron. 2027 will sie voraussichtlich ein weiteres Mal für Macrons jetzigen Posten kandidieren.Bild: keystone

Zugleich hat Le Pen ihren 89 RN-Abgeordneten in der Nationalversammlung offensichtlich eingebläut, verbindlich und konsensuell aufzutreten - lächelnd eben. Der Erfolg ist da: In einer Umfrage von dieser Woche wird Le Pens RN erstmals überhaupt weniger «gefährlich» (so der Umfrageterminus) eingestuft als die Linksallianz um die Unbeugsamen von Jean-Luc Mélenchon.

Masochisten sind sie nicht

Jede Erinnerung an die Anfänge des «Lepenismus» ist da unerwünscht. Denn in Wahrheit offenbart die Parteigeschichte nicht nur eine politische Kontinuität in der Sache, sondern auch die 50-jährige Herrschaft der Le Pen'schen Familiendynastie über die «nationale» Bewegung Frankreichs.

Folgerichtig wird ihr runder Geburtstag so leise wie möglich begangen, und auch ohne Auseinandersetzung mit der Ära von Jean-Marie Le Pen. «Wir machen uns nicht selber den Prozess», meint der RN-Europaabgeordnete Philippe Olivier, der mit Marine Le Pens ältester Schwester Marie-Caroline verheiratet ist. «Wir sind doch keine Masochisten.»

Jean-Marie Le Pen verschmerzt derweil seine Nichteinladung an die 50-Jahre-Tagung und lädt 50 Getreue zu einer Privatfete in seine Villa im Pariser Nobelvorort Saint-Cloud ein. Einem Radiosender erklärte er von sich in der dritten Person: «Es ist doch absurd, Jean-Marie Le Pen in der Geschichte des FN vergessen zu wollen.» Womit er sogar recht hat. (aargauerzeitung.ch)

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Le Pen und der Front National: Eine Erfolgsgeschichte
Video: srf
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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schneider Alex
06.10.2022 06:15registriert Februar 2014
Nein, Marine Le Pens Wählerscharen sind keine geschichtsblinden Rassisten. Sie wohnen da, wo die letzte Fabrik geschlossen wurde, wo es keine Post, kein Kino mehr gibt.
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