Ganz Frankreich scheint zurzeit wütend zu sein. Zurecht? Am Donnerstag wurde nämlich die umstrittene Rentenreform angenommen. Nun kam es von Marseille bis Paris zu heftigen Protesten. Damit noch nicht genug: Seit dem 6. März streikt in Paris die städtische Müllabfuhr. Nun scheint die Stadt im Müll zu versinken. Wir fassen zusammen, was in Frankreich los ist:
Seit Februar 2023 kommt es in Frankreich immer wieder zu Demonstrationen. Der Grund: Der französische Präsident Emmanuel Macron wollte das Pensionsalter erhöhen. Ausserdem soll die Zahl der nötigen Einzahlungsjahre für eine volle Rente schneller steigen. Ab 2027 muss man neu 43 Jahre statt bisher 42 Jahre gearbeitet haben, um mit 64 die volle Rente zu erhalten.
Damit war die französische Bevölkerung nicht einverstanden: Rund 70 Prozent der Bevölkerung sprachen sich dagegen aus.
Mit 62 Jahren ist das Rentenalter in Frankreich tiefer als in den meisten europäischen Ländern. Italien, Deutschland und Spanien haben das Rentenalter bereits auf 67 erhöht. In Grossbritannien liegt es bei 66 Jahren.
Die französische Regierung hat am Donnerstagnachmittag entschieden, die umstrittene Rentenreform durchzuboxen. Dies ohne die eigentlich anstehende Abstimmung in der Nationalversammlung. Sie griff zu einem Sonderartikel der Verfassung, um das wichtigste Reformprojekt von Präsident Emmanuel Macron umzusetzen. Das Rentenalter wird dadurch von 62 auf 64 Jahre erhöht.
Wer abschlagsfrei in Rente gehen möchte, muss nun 43 Jahre lang Beiträge gezahlt haben. Wer das schafft, soll aber in Zukunft eine höhere Mindestrente von 1200 Euro bekommen. Längeres Arbeiten soll ausserdem helfen, das erwartete Defizit der Rentenkassen auszugleichen.
Weil er Angst hatte, die notwendige Mehrheit im Parlament nicht zu gewinnen, ging Macron aufs Ganze. Nun könnte dieser Entscheid auch sein Ende bedeuten: Am kommenden Montag stimmt die französische Nationalversammlung über einen Misstrauensantrag ab.
Wird diese abgelehnt ist das neue Gesetz zur Rentenreform automatisch angenommen. Wird sie aber angenomen tritt das neue Gesetz nicht in Kraft und es kommt verfassungskonform zum Sturz der Regierung unter Premierministerin Elisabeth Borne.
Danach hat Macron noch zwei Möglichkeiten: Entweder kann er einen neuen Premier ernennen mit dem Auftrag eine neue Regierung zu bilder oder er kann das Parlament auflösen und neue Wahlen ansetzten.
Die französische Bevölkerung ist wütend über den Entscheid. Am Donnerstagabend sind bei einer Protestkundgebung in Paris 217 Menschen von der Polizei festgenommen worden. Im Zentrum der Hauptstadt sei es auf dem Place de la Concorde zu Ausschreitungen gekommen. Die Bereitschaftspolizei setzte nach Medienberichten Wasserwerfer und Tränengas ein, um den Platz zu räumen. Demonstrierende hatten dort unter anderem Holzpaletten in Brand gesetzt und Gegenstände auf die Polizei geworfen. Insgesamt seien 6000 Teilnehmer gezählt worden.
Auch in anderen französischen Städten wie Marseille, Dijon, Nantes, Rennes, Rouen, Grenoble, Toulouse und Nizza kam es zu Protesten. Die Gewerkschaften riefen für den kommenden Donnerstag zu einem neuen landesweiten Streik- und Protesttag auf. Millionen von Menschen waren bereits gegen das Reformvorhaben auf die Strasse gegangen.
Innenminister Gérald Darmanin wies unterdessen die Polizei an, die Parlamentsabgeordneten angesichts der anhaltenden Proteste besonders zu schützen. Die Parlamentarier seien Bedrohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen ausgesetzt, schrieb der Minister, wie France Info berichtete.
Auch am Freitagmorgen ist die Wut in den französischen Strassen zu spüren. So in Paris: Auf der Stadtautobahn kam es nach einem Aufruf der Gewerkschaft CGT zu zeitweiligen Blockaden und Behinderung des Berufsverkehrs an mehreren Abfahrten in das Zentrum. Auch in anderen Städten wie etwa in Rennes und Brest blockierten Protestierende vorübergehend Strassen und Kreisverkehre, berichtete die Zeitung «Le Parisien». Auch Gymnasien und Universitäten wurden teils von protestierenden jungen Leuten blockiert, wie etwa in Clermont-Ferrand und Lille.
Einige Raffinerien kündigten erneute oder verlängerte Streiks an. Die Vorsorge der Tankstellen mit Kraftstoff kam bisher aber nicht ins Stocken.
Die Behinderungen im öffentlichen Nahverkehr und bei der französischen Bahn blieben am Freitag überschaubar. Im südfranzösischen Toulon aber besetzten Demonstranten Bahngleise und brachten den Zugverkehr zum Erliegen, berichtete der Sender BFMTV.
Seit dem 6. März streikt die städtische Müllabfuhr, um gegen die Rentenreform der Regierung zu protestieren. Der Streik hätte eigentlich bis am 20. März fortgesetzt werden sollen. Doch die Polizei hat am Freitag die Müllabfuhr zum Dienst verpflichtete.
Das Resultat des Streiks riecht man. Wortwörtlich. In vielen Vierteln von Paris quellen Container über und der Abfall türmt sich. 9'000 Tonnen Müll müssen jetzt von den Strassen weggeräumt und entsorgt werden.
Laut französischen Medien gäbe es überall in der Stadt nun Ratten. Die Aussicht aus Cafés sei versperrt und einige Menschen kämen kaum noch zur Haustüre.
(mit Material der sda)
Ist es in physischen Berufen (hier im Video Müllabfuhr) tatsächlich unzumutbar bis 59 statt 57 zu arbeiten?