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Georgiens Präsidentin nennt Wahlen gefälscht –Proteste angekündigt

«Das war eine russische Spezialoperation»: Proteste nach Georgien-Wahl angekündigt

In der an Russland grenzenden Südkaukasusrepublik Georgien streiten die prowestliche Opposition und die nationalkonservative russlandfreundliche Regierungspartei über das vorläufige Ergebnis der Parlamentswahl. Eine Übersicht.
27.10.2024, 14:4828.10.2024, 06:37
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Was ist das offizielle Resultat?

In der Südkaukasusrepublik Georgien in Nachbarschaft zu Russland streiten die prowestliche Opposition und die nationalkonservative Regierungspartei um das Ergebnis der Parlamentswahl. Die Wahlkommission erklärte die regierende Partei des reichsten und mächtigsten Mannes des Landes, Bidsina Iwanischwili, zur Siegerin mit rund 54 Prozent der Stimmen.

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Bidsina Iwanischwili ist sich sicher, gewonnen zu haben.Bild: keystone

Was sagt die Opposition?

Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili, die die Opposition unterstützt, hat das Ergebnis der Parlamentswahl in ihrem Land als durchgehend verfälscht kritisiert. Sie erkenne das Ergebnis nicht an, sagte sie in Tiflis (Tbilissi) und rief für Montag zu Protesten auf. Zu einer grossangelegten Aktion soll es am Montagabend kommen. Surabischwili sagte:

«Wir sind Zeugen und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden»
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Die proeuropäische georgische Staatspräsidentin Salome Surabischwili jedoch ebenfalls.Bild: keystone

Surabischwili erhob schwere Vorwürfe. «Wir sind in dieser Wahl um das Recht auf unsere Stimme gebracht worden. Gewählt wurde auf russische Art», sagte sie. Sie als einzige noch vom Georgischen Traum unabhängige Institution in Georgien könne die Wahl nicht anerkennen.

«Das wäre, als würde ich ein russisches Eindringen anerkennen, Georgiens Unterwerfung unter Russland.»

Auch die anderen Blöcke der proeuropäischen Opposition erkannten das Ergebnis nicht an. Sie kündigten an, um den Sieg zu kämpfen. Zwar sind sie untereinander zerstritten, haben als gemeinsamen Nenner aber das Ziel, den 68 Jahre alten Milliardär Iwanischwili loszuwerden und einen EU-freundlichen Kurs einzuschlagen. Die Wahlleitung habe nur Iwanischwilis Befehlen gehorcht, sagte die Chefin der Partei Vereinte Nationale Bewegung, Tinatin Bokutschawa.

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Und auch Nika Gvaramia von der Oppositionsgruppe «Koalition für den Wandel».Bild: keystone

Die rechtlichen Möglichkeiten der aktuellen Präsidentin Surabischwili, die Vorgänge zu beeinflussen, sind aber begrenzt. Sie kann sich weigern, das neue Parlament zur konstituierenden Sitzung einzuberufen. Georgischer Traum kündigte aber an, dann laut Verfassung zehn Tage später ohne Präsidentin zum ersten Mal zu tagen.

Surabischwili hatte nach der Veröffentlichung von Nachwahlbefragungen erklärt, dass die Opposition summarisch auf 52 Prozent der Stimmen komme und im Parlament eine prowestliche Mehrheit bilden könne. Dagegen sah die Wahlkommission die vier Oppositionsblöcke, die den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafften, nur bei über 37 Prozent.

Die traditionell gespaltene Opposition befürchtet, dass sich Georgien unter Führung des in Moskau reich gewordenen Oligarchen noch stärker dem Nachbarn Russland zuwendet und endgültig von seinem EU-Kurs abkommt.

Was sagen Wahlbeobachter?

Internationale und georgische Wahlbeobachter kritisierten eine Vielzahl von Verstössen. Das proeuropäische Bündnis Myvote aus verschiedenen Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen beklagte, das Ergebnis spiegele nicht den Wählerwillen wider.

Dagegen lehnten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) trotz mehrfach drängender Fragen von Journalisten ein Urteil dazu ab, ob der Urnengang fair und frei verlaufen sei. Sie verwiesen darauf, dass es 18 Kandidatenlisten auf den Wahlzetteln gegeben haben, darunter viele Oppositionsbündnisse. Sie beklagten aber demokratische Rückschritte im Vergleich zu früheren Abstimmungen auch bei der Wahlgesetzgebung.

A supporter of the Coalition for Change holds a Georgian flag at coalition's headquarters after polls closing at the parliamentary election in Tbilisi, Georgia, Saturday, Oct. 26, 2024. (AP Photo ...
Eine Anhängerin der Regierungspartei freut sich über das Resultat.Bild: keystone

Die OSZE-Mission zeigte sich besorgt über zahlreiche Unregelmässigkeiten. Die Experten beklagten unter anderem Fälle von Einschüchterung der Wähler, Druck auf Behörden, Gewalt gegen Beobachter, Stimmenkauf, Mehrfachabstimmungen und das Stopfen von Wahlzetteln in Urnen. Die OSZE forderte eine Untersuchung und mahnte weitere demokratische Reformen an.

Zugleich lobte Missionschef Pascal Allizard die «demokratische Vitalität» in dem Land und sicherte weitere Hilfe auf dem Weg des Landes in die EU zu. Die Abstimmung sei insgesamt gut organisiert gewesen, sagte der Franzose. Auch andere Beobachter hoben hervor, dass die Zivilgesellschaft insgesamt stark präsent gewesen sei, um die Stimmabgabe und die Auszählung zu kontrollieren.

Was sagt der EU-Ratspräsident?

EU-Ratspräsident Charles Michel hat nach der Parlamentswahl in Georgien eine Aufklärung der Vorwürfe von Unregelmässigkeiten gefordert. Er werde die künftigen Beziehungen zu der Ex-Sowjetrepublik im Südkaukasus auch auf die Tagesordnung des nächsten Europäischen Rates in Budapest setzen, schrieb Michel im sozialen Netzwerk X.

Er äusserte sich ähnlich zurückhaltend wie die internationalen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) zum Urnengang am Samstag. Das Land brauche nun einen konstruktiven Dialog quer durch das politische Spektrum, schrieb Michel. Die georgische Wahlleitung hat die Regierungspartei Georgischer Traum trotz vieler Belege für Verstösse zur Siegerin der Wahl erklärt. Die unterlegene Opposition will gegen das Ergebnis protestieren.

«Wir wiederholen den Aufruf der EU an die Führung Georgiens, ihr Festhalten am EU-Kurs des Landes zu demonstrieren», schrieb Michel.

Was sagen die USA?

Nach den Berichten über Unregelmässigkeiten und Wählerbeeinflussung bei der Parlamentswahl in Georgien hat US-Aussenminister Antony Blinken eine Untersuchung gefordert.

«Wir verurteilen alle Verstösse gegen internationale Normen und schliessen uns den Forderungen internationaler und lokaler Beobachter nach einer umfassenden Untersuchung von Berichten über Verstösse bei den Wahlen an», erklärte er am Sonntag.

Im Vorfeld der Wahl sei die Stimmung von Stimmenkauf und Einschüchterung der Wähler geprägt gewesen, erklärte Blinken unter Berufung auf Berichte internationaler und lokaler Wahlbeobachter.

Wie tickt die Regierungspartei?

Die Regierungspartei Georgischer Traum versprach im Wahlkampf Frieden und Stabilität – und schürte Ängste vor einem Krieg mit Russland, sollte die Opposition gewinnen. Regierungschef Irakli Kobachidse wies Vorwürfe einer Wahlfälschung zurück. «Unser Sieg ist offensichtlich», sagte er. Die Opposition habe auch bei den vergangenen Abstimmungen nie die Grösse gehabt, ihre Niederlage einzuräumen. Die Partei Georgischer Traum regiert seit 2012.

Kobachidse erhielt Glückwünsche zum Sieg vom ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und von den Nachbarn im Südkaukasus: von Aserbaidschans Staatschef Ilham Aliyev und Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan. Orbán, der dem Georgischen Traum ideologisch nahesteht, wird am Montag erwartet, zeitgleich mit den Protestaktionen der Opposition.

Wie geht es nun weiter?

Die prowestlichen Oppositionsbündnisse kündigten an, um den Sieg zu kämpfen. Sie sind zwar untereinander zerstritten, haben als gemeinsamen Nenner aber das Ziel, den 68 Jahre alten Milliardär Iwanischwili loszuwerden und einen EU-freundlichen Kurs einzuschlagen. Die Wahlleitung habe nur Iwanischwilis Befehlen gehorcht, sagte die Chefin der Partei Vereinte Nationale Bewegung von Ex-Präsident Michail Saakaschwili, Tinatin Bokutschawa. Ein Aktionsplan der Regierungsgegner werde abgestimmt.

«Die Wahlen sind der Opposition gestohlen worden. Dies ist ein verfassungsrechtlicher Staatsstreich und ein Missbrauch der Macht», sagte Nika Gwaramia von der Koalition für den Wandel. Die Wahl sei gefälscht worden nach einem komplizierten technologischen Schema. Details nannte er nicht.

Die Hintergründe

Die Regierung macht die bislang grösste Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili für den Krieg mit Russland im Jahr 2008 verantwortlich und will sie verbieten. Russland erkannte damals die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten an. So verlor Georgien 20 Prozent seines Staatsgebiets.

Die EU wirft der Führung des Landes einen antieuropäischen Kurs vor, auch Menschenrechtler beklagten autoritäre Tendenzen. So hatte die Regierung trotz massiver Proteste Gesetze durchgesetzt, wie es sie ähnlich auch in Russland gibt – darunter eines zur Kontrolle der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und Medien aus dem Ausland, das angebliche Einflussnahme von aussen verhindern soll. Auch die Rechte von Schwulen, Lesben und anderen sexuellen Minderheiten wurden beschnitten - zum Wohlgefallen der georgisch-orthodoxen Kirche, die in dem Land weiter grossen Einfluss hat.

Insgesamt waren rund 3,5 Millionen Georgier im In- und Ausland zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben bei rund 59 Prozent - drei Prozentpunkte höher als 2020. Das Land am Schwarzen Meer hat 3,7 Millionen Einwohner und ist seit Ende 2023 EU-Beitrittskandidat. Der Beitrittsprozess liegt aber wegen umstrittener Gesetze auf Eis.

(dab/con/sda/dpa)

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96 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Donnerherz
26.10.2024 22:23registriert November 2020
Es gab noch andere Unregelmässigkeiten, wie immer wenn Russland seine Finger im Spiel hat. Der Westen wird wegschauen, auch wie immer.
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Raki
27.10.2024 03:49registriert Januar 2024
Es ist an der Zeit, dass sich der Westen der gleichen Mitteln bedient, wie Russland und China dies seit Jahrzehnten tun und ebenfalls anfangen die Gesellschaften der autoritären Staaten zu destabilisieren. Zu glauben, dass dies in Diktaturen nicht auf fruchtbaren Boden stösst, ist ein Irrglaube, denn die Bevölkerungen dort wollen trotz Indoktrination eben auch mehr Freiheit. Die Autokraten haben den Demokratien schon lange den hybriden Krieg erklärt. Zeit, dass die Demokratien dies anerkennen und zurückschlagen. Es gibt keine moralischen Abwägungen im Umgang mit unmoralischen Diktaturen.
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The man who shot liberty valance
27.10.2024 09:35registriert September 2020
Musk ist sicher einer abgegangen, als er gesehen hat wie putin Georgien und Moldawien vergiftet. Der Typ ist ein Staatsfeind.

Russland muss alleine deshalb schon militärisch vernichtet werden.. und zwar so, das es sich nicht mehr erholt!

Nur dann wenn orban, Trump, fico und auch die zarenknechte Deutschlands sehen, wo man endet wenn man solche dreckigen Spiele im Kopf hat, und der Menschheit eigentlich diametral im Weg steht ..nur dann wird leben hier wieder normal.
China hat bereits angefangen, seine Industrie von der Küste ins Landesinnere zu verlegen.
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