Ein französischer Nachrichtensender hat ein Telefonat zwischen Wladimir Putin und Emmanuel Macron veröffentlicht. Es fand nur vier Tage vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine statt. Dass Gespräche zwischen Staats- und Regierungschefs Wort für Wort an die Öffentlichkeit gelangen, ist eher ungewöhnlich. In diesem Fall hatte der französische Präsident dem Journalisten Guy Lagache allerdings erlaubt, das digitale Treffen aufzuzeichnen.
Der französische Sender «France 2» strahlt den Mitschnitt am Donnerstag im Rahmen eines Dokumentarfilms über den Ukraine-Krieg aus. Wenige Tage vorher wurde nun das Gesprächsprotokoll öffentlich, das interessante Einblicke in das Verhältnis von Macron und Putin gibt.
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Gleich zu Beginn geht es um die wachsenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland. «Du kennst mein Engagement und meine Entschlossenheit, den Dialog fortzusetzen», sagt Macron zu Putin. Er bittet ihn um eine Lageeinschätzung und dass der Kremlchef seine Absichten äussern solle. Dieser entgegnet: «Du siehst doch selbst, was passiert. Du und Kanzler Scholz haben mir gesagt, dass Selenskyj (Anm. d. Red.: der ukrainische Präsident) zu einer Geste guten Willens bereit sei, und dass er ein Gesetz vorbereitet habe, um das Minsker Abkommen umzusetzen.» In Wirklichkeit tue Selenskyj aber gar nichts, behauptet Putin. «Er lügt euch an», sagt er zu Macron.
Weiter wirft der Kremlchef der Ukraine vor, Zugang zu Atombomben erhalten zu haben. Im Hintergrund bestreitet Macrons Berater Emmanuel Bonne diese Behauptung: «Aber nein, das ist Unsinn.»
Putin führt daraufhin fort, dass Macron bei seiner Pressekonferenz am 8. Februar in Kiew gesagt habe, dass das Minsker Abkommen überarbeitet werden müsse, damit es anwendbar sei. Macrons Berater streitet auch das im Hintergrund ab.
Auch Macron stellt klar: «Wladimir, zunächst eine Sache: Ich habe nie gesagt, dass das Minsker Abkommen überarbeitet werden muss.» Er habe das weder in Berlin, noch in Kiew, noch in Paris gesagt. Er habe gesagt, dass das Abkommen umgesetzt werden müsse.
Der Kremlchef geht darauf nicht mehr ein, sondern verteidigt die Separatisten. «Hör zu, Emmanuel, ich verstehe euer Problem mit den Separatisten nicht.» Diese hätten alles Notwendige getan, um einen konstruktiven Dialog mit der ukrainischen Seite aufzunehmen. Macron setzt dem entgegen, dass es nicht die Separatisten sein sollten, die Vorschläge machen. Dies entspreche nicht dem Minsker Abkommen. «Ich weiss nicht, wo dein Jurist studiert hat. (...) Ich weiss nicht, welcher Jurist sagt, dass in einem souveränen Land die Gesetzestexte von separatistischen Gruppen und nicht von einer demokratisch gewählten Regierung vorgeschlagen werden», so der französische Präsident.
Bei dieser Aussage schlägt Putins Ton offenbar um. «Das ist keine demokratisch gewählte Regierung.» Sie sei durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen, Menschen seien bei lebendigem Leib verbrannt worden. «Es war ein Blutbad und Selenskyj ist einer der Verantwortlichen.» Der Kremlchef hatte der Ukraine in der Vergangenheit bereits öfter unterstellt, einen Genozid im Donbass zu begehen und nannte dies als einen der Gründe, in das Nachbarland einzumarschieren. Beweise gibt es für diese Anschuldigung allerdings nicht.
Macron wirft Putin daraufhin vor, dass er das Minsker Abkommen nicht respektieren wolle, wenn er behaupte, er habe es mit einer «nicht legitimen und terroristischen Regierung zu tun».
Putin entgegnet gereizt: «Hör mir gut zu. Hast du mich verstanden? Ich sage es dir noch einmal: Die Separatisten, wie du sie nennst, haben auf die Vorschläge der ukrainischen Seite geantwortet, aber diese hat nicht reagiert.» Er wirft Macron vor, dieser habe zu wenig Druck auf die Ukraine ausgeübt. Der meint jedoch: «Doch, ich tue alles, um sie zu drängen, das weisst du.» Die Situation an der Kontaktlinie sei sehr angespannt. Er habe Selenskyj aufgefordert, seine Streitkräfte zu beschwichtigen. Im Gegenzug sollten auch Putins Streitkräfte Ruhe bewahren.
Macron verweist auf die Militärübungen der russischen Armee. Damals hatten unter anderem die USA und Deutschland davor gewarnt, dass Russland die Ukraine angreifen könnte. Der Kreml behauptete, Truppen von der Grenze abzuziehen. Stattdessen stockte er sie auf und griff am 24. Februar an. Der französische Präsident sagte in dem Telefonat: «Es gab viele Bombardierungen gestern.» Wenn man dem Dialog eine Chance geben wolle, müsste man die Lage in der Region beruhigen.
Darauf folgt ein Wortwechsel, der fast vier Monate nach dem Angriff zeigt, dass Putin die westliche Welt wenige Tage vor der Invasion hinters Licht geführt hat:
Der französische Präsident will den Kremlführer beschwichtigen: «Für mich ist es wichtig – und ich bitte dich wirklich darum –, dass wir die Situation unter Kontrolle bringen. (...) Ich zähle sehr auf dich.» Er rät Putin, sich in den kommenden Stunden und Tagen nicht provozieren zu lassen. Dieser Rat ist vergebens, wie sich wenige Tage später herausstellt.
Auch Macrons Vorschlag, ein Treffen mit US-Präsident Joe Biden zu vereinbaren, wird nicht realisiert. Putin entgegnet in dem Gespräch, ein solches Treffen müsse zunächst vorbereitet werden. Zudem lobt er Macron: «Es ist immer ein Vergnügen, mit Ihnen zu sprechen, denn wir haben eine vertrauensvolle Beziehung.»
Macron zeigt sich davon jedoch wenig beeindruckt und pocht darauf, einen Termin mit Biden zu vereinbaren: «Ich hätte gerne eine klare Antwort darauf.» Nach dem Telefonat sollten die Berater sich abstimmen. Daraufhin offenbart Putin: «Ich wollte eigentlich Eishockey spielen gehen, ich spreche gerade von der Sporthalle aus mit dir (...). Ich werde zuerst meine Berater anrufen.»
Die letzten Worte des französischen Präsidenten wirken nun, nachdem bereits Zehntausende Menschen in der Ukraine gestorben sind und Millionen von Zivilistinnen und Zivilisten geflüchtet sind, besonders bedeutungslos: «Wenn etwas passiert, rufst du mich an.» Seit Beginn des Angriffskrieges haben Putin und Macron zwar mehrmals telefoniert – jedoch ohne Erfolg.