Es ist ausgemacht, Zweifel nicht mehr erlaubt: François Bayrou, Frankreichs Premierminister seit letztem Dezember, wird am Montag zur Schlachtbank geführt. Bei der Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung wollen die Linke und die Rechtspopulisten vereint den Sturz der Regierung provozieren.
Sie protestieren damit gegen Bayrous umstrittenes Sparbudget 2026, das der Nation 44 Milliarden Euro an Einsparungen abverlangt. Unter anderem will die Regierung zwei Feiertage streichen, Ostermontag und das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai. Viele Franzosen empfinden das Vorgehen der Regierung als Angriff auf ihr Savoir-Vivre, das heisst die nationale Lebenskultur.
Das angesehene Politinstitut Montaigne stuft das Verhalten Bayrous als «Harakiri» ein: Er hatte die Vertrauensabstimmung, bei der er zu Fall kommen dürfte, seinem Vorgesetzten Emmanuel Macron selber vorgeschlagen. Erstaunlicherweise billigte der Staatspräsident das riskante Vorgehen. Weil er Bayrou selber loswerden wollte? Das munkeln im Elysée-Palast jedenfalls die Eingeweihten. Macron habe nicht vergessen, dass ihm der 74-jährige Christdemokrat Ende letzten Jahres mit dem Austritt aus der Mittekoalition gedroht und ihn damit gezwungen hatte, ihn, Bayrou, zum Premierminister zu ernennen.
Nicht, dass sich Macron an seinem Weggefährten Bayrou rächen will – das Wort wäre wohl zu stark. Eher scheint es, dass er den Premier kalten Herzes opfert, um sich selbst aus der Schusslinie der Opposition zu nehmen. Dazu sind französische Premiers da: Sie spielen im Bedarfsfall die Rolle des «fusible», einer Sicherung für den Staatschef.
Der Bedarf ist momentan mehr als ausgewiesen: Die Stimmung im Land ist seit Monaten gespannt, ja gereizt, und der Merkur des Volkszornes steigt mit jedem Projekt, das die Minderheitsregierung vorlegt. Jetzt will – muss – Bayrou im Haushalt immerhin 44 Milliarden einsparen, um die exorbitante Staatsschuld von 3300 Milliarden Euro einigermassen im Griff zu halten. Heute schon zahlt Frankreich Anleihezinsen in der Höhe des Wehretats.
Die inflationsgeprüften Franzosen wollen aber nicht schon wieder zur Kasse gehen. Als Bayrou auch noch die Streichung von zwei Feiertagen vorschlug, wechselte die Stimmung zum Ende der Sommerpause von eruptiv auf explosiv. Äusseres Zeichen ist der Appell «Bloquons tout», auf Deutsch: «blockieren wir alles!» Banken und Bahnhöfe, Schulen und Rathäuser, Tanklager und Supermärkte werden ab Mittwoch gesperrt, lahmgelegt, boykottiert, bestreikt, geschlossen. Frankreich erinnert sich mit unguten Gefühlen an die Gewalt der Gelbwesten und der Einsatzpolizei. Viele, auch der Blockade-Initiant Julien Marissiaux, führen einen ähnlich aufrührerischen Diskurs wie die Rechte Marine Le Pen. Dass sie sich als apolitisch bezeichnen, tut ihrer ideologischen Nähe keinen Abbruch.
Der linke Tribun Jean-Luc Mélenchon, der seit Macrons Wahl von einer Revolution träumt, verspricht voller Leidenschaft, er werde den Blockade-Aufruf in einen Generalstreik verwandeln – mit ihm als Anführer einer blutig roten Trikolore. Vor einem Jahr schon hatten seine «Unbeugsamen» im Parlament die Absetzung des Präsidenten verlangt. Der Antrag scheiterte, doch Mélenchon lässt nicht locker. Er sieht, dass Macrons Autorität bröckelt: Noch ganze 15 Prozent der Franzosen drücken ihm in Umfragen ihr Vertrauen aus. Weniger Sukkurs hat nur einer: Bayrou liegt auf 14 Prozent.
Wie weiter? Neuwahlen kann Macron nicht gut ausschreiben, nachdem ein erster Versuch damit im Juni 2024 kläglich gescheitert war. Demission kommt für ihn nicht in Frage: Er werde seine Amtszeit «bis zur letzten Viertelstunde» im Mai 2027 ausüben, machte er der Nation klar.
In dem allgemeinen Nervenduell gibt die Regierung zuletzt doch noch nach: Sie winkt mit Abstrichen am Sparbudget. Am Mittwoch liess Budgetministerin Amélie de Montchalin erstmals durchblicken, die Abschaffung der zwei Feiertage sei «verhandelbar». Das Einknicken kommt indessen zu spät: Sozialistenchef Olivier Faure sagte, er erwarte vom Premier nur ein Wort: «Au-revoir.»
Faure will selber Regierungschef werden. Als erstes würde er wohl Macrons Rentenreform suspendieren. Der Präsident will das unbedingt verhindern. Er berief einige frühere Regierungschefs, die er auf dem undankbaren Premierposten nach einander verschlissen hatte, zu einem Brainstorming ins Elysée ein. Darunter waren Edouard Philippe, Gabriel Attal – und sogar François Bayrou, der grausamerweise ebenfalls gebeten ist, seinen Nachfolger vorzuschlagen. «Er wohnte seiner kommenden Beerdigung bei», umschrieb Le Figaro die Sitzung des letzten Macron-Zirkels.
Die nächsten Kapitel des französischen Dramas: Am Montag ist Vertrauensabstimmung, am Mittwoch beginnt die Landesblockade. (aargauerzeitung.ch)
Diese Regeln gibt es nicht umsonst. Sie sind wichtig für die Stabilität des Euros. Aus meiner Sicht ist die EU zu wenig streng in deren Einforderung.