In stürmischen Zeiten flüchten sich die Börsen in sichere Häfen. Aber welches Land ist heutzutage noch sicher? Die USA, obschon Trump mehr Schulden macht als je ein US-Präsident? Deutschland, obschon es aggressiv Schulden machen will für Ausgaben in Militär und Infrastruktur? Die Schweiz, obschon sie so tiefe Leitzinsen hat und von Trump mit so hohen Zöllen bestraft wird wie kein anderes Industrieland?
Diesen Fragen stellen sich auch viele Experten. Ihre Antworten legen für die Schweiz zugleich neue Vorteile sowie Nachteile offen – mit Folgen für Zinsen, Steuern und Lebenskosten.
«Es gibt nur noch einen einzigen echten sicheren Hafen», sagt Robin Brooks, früher Chefstratege für Währungsmärkte bei der elitären US-Investmentbank Goldman Sachs und heute beim liberalen Brookings Institut. Wie Brooks auf der Plattform Substack weiter schreibt: Deutschland ist nicht dieser letzte Hafen.
Das Land gelte zwar noch immer als «sicherer», als «spezieller» als andere Länder. Deshalb zahle es nach wie vor weniger Zins auf seine Staatsschulden als vergleichbare Länder. Aber dieser Zins-Abschlag sei deutlich geringer geworden, Deutschland sei deshalb weniger «speziell» – und für Brooks somit kein echter sicherer Hafen mehr.
Die USA sind es in Brooks Augen auch nicht mehr. Sie erhalten gar keinen Zins-Abschlag mehr. Im Gegenteil, sie zahlen einen Aufschlag – also mehr Zins auf ihre Staatsschulden als es andere Länder durchschnittlich tun müssen, schreibt Brooks. Ihr Status als sicherer Hafen sei erst erodiert worden und nun gar gänzlich «verschwunden».
Dieser verlorene Status hat sich nach dem «Liberation Day» gezeigt, Trumps «Tag der Befreiung». Damals gab der US-Präsident neue Zölle bekannt und rechtfertigte sie mit einer Tirade gegen den Rest der Welt. Dieser habe die USA «jahrzehntelang ausgeplündert, gebrandschatzt und vergewaltigt». Die vermeintlichen Plünderer an den Börsen gerieten in Panik – Trump hatte eine Krise angestossen.
Anders als in früheren Krisen flüchteten die Anleger jedoch nicht in die USA. Das hatten sie in der im Jahr 2007 ausgebrochenen Finanzkrise noch getan, obschon diese Krise von den USA ausging. Das hatten sie auch während der Corona-Pandemie getan. Aber nicht nach dem «Liberation Day».
Was damals geschah, hat die Ökonomieprofessorin Hélène Rey von der Londoner Business School in einer Studie anhand neuer Daten analysiert. Die langfristigen US-Zinsen stiegen damals, der Dollar wertete stark ab. Dahinter stand eine Flucht aus dem Dollar heraus. Die Anleger verkauften amerikanische Aktien und vor allem Staatsanleihen – flüchteten in andere Länder. Insbesondere gehörten die Schweiz und ihre Staatsanleihen zu den weltweit beliebtesten Zufluchtsorten.
«Der Liberation Day war wirklich der Punkt, an dem die Welt ihr Vertrauen in den Dollar überdacht hat», sagt Rey in einem Interview. Der Vertrauensverlust hänge damit zusammen, was mit den US-Institutionen geschehe.
«Mit alles andere» dürfte Rey solche Geschehnisse meinen, wie sie das «Wall Street Journal» vergangene Woche beschreibt. Trump mache grosse Fortschritte bei seiner Übernahme der US-Notenbank Fed, urteilt das Leitblatt. Stephen Miran, Trumps Chefökonom, wolle diesen Job auch dann nicht aufgeben, wenn er wie von Trump vorgesehen Gouverneur bei der eigentlich unabhängigen US-Notenbank Fed wird und dort über die Leitzinsen mitentscheidet.
Die Schweiz hingegen erhält vom früheren Devisenstrategen Brooks viel Lob. Sie sei das einzige Land, dem die Märkte heute einen grösseren Zins-Abschlag als früher gewähren würden – aktuell sogar einen so grossen wie nie zuvor. Damit ist die Sonderstellung der Schweiz also noch ausgeprägter geworden – oder wie Brooks sagt, ihre «Specialness». Die Schweiz sei heute «der ultimative sichere Hafen» und sogar «der einzige echte sichere Hafen».
Die Vorteile dieses speziellen Status wurden der Schweiz erst diese Woche wieder vorgeführt. Die Anleger wurden nervös angesichts gewaltiger Schulden vieler Länder und politischen Drucks auf Zentralbanken – und viele rannten vorsichtshalber zum Ausgang. Daraufhin titelte die «Financial Times» wie andere grosse Wirtschaftsblätter auch von einem «Ausverkauf bei staatlichen Anleihen».
Der «Ausverkauf» traf vor allem 30-jährige Anleihen aus den USA, aus Italien, Frankreich und Deutschland. Ihre Preise fielen, die Zinsen darauf stiegen, hinauf in Höhen, wie es sie ein Jahrzehnt lang kaum je gegeben hat. Gegenüber Grossbritannien ist die Börse so misstrauisch, dass sie die höchsten Zinsen seit 27 Jahren verlangt.
Von diesem Ausverkauf bekam die Schweiz nichts zu spüren, rein gar nichts. Hier gingen die Zinsen nicht nur weniger in die Höhe als im Ausland, sondern überhaupt nicht – sie fielen oder blieben unten. Sturm in Europa, Windstille in der Schweiz. In Europa drohen steigende Zinsen manchen Staatshaushalt aus dem Lot zu bringen. In der Schweiz entlasten sinkende Zinsen die öffentlichen Finanzen – und damit die Steuerzahlenden.
Doch der Wegfall der USA als sicherer Hafen könnte die Schweiz noch in die Bredouille bringen. Laut Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, werde der Franken zwar den Dollar nicht als Fluchtraum ersetzen, dafür sei er zu klein.
Ereignisse würden noch extremer, wie sie die Schweiz ab 2007 in der globalen Finanzkrise erlebte und weiter in der Eurokrise. Der Franken wurde zum Euro zu teuer. Mit ihm die Schweizer Industrie für viele europäische Kunden; Hotels und Bergbahnen für Wintertouristen, die nach Österreich abwanderten; der Detailhandel für Millionen heimischer Konsumenten, die nach Deutschland auswichen. Die Schweizerische Nationalbank musste Schlimmeres verhindern, wie Pleitewellen und Massenentlassungen, und führte 2015 erstmals einen Negativzins ein – den weltweit grössten.
Und dass die USA nicht mehr als sicherer Hafen gelten, könnte sich bei der nächsten grossen Verrücktheit von Trump rächen. Darauf hat Adam Posen hingewiesen, Präsident des Peterson Institute. Die Erfahrungen nach dem Liberation Day hätten gezeigt, dass das Vertrauen bereits geschwächt sei: «Die Investoren blicken heute viel nervöser auf den Dollar.» Falls Trump tatsächlich die US-Notenbank Fed zu der von ihm geforderten übermässigen Zinssenkung zwinge, sei das Vertrauen endgültig dahin.
Ein Dollar-Crash ginge auch an der Schweiz nicht spurlos vorbei – dem letzten sicheren Hafen. (aargauerzeitung.ch)
Hoffe einfach, unsere Regierung hat einen Plan für eine massive Abwertung des Dollars... obwohl es mich überraschen würde.