Wenn meine amerikanischen Kinder Süssigkeiten essen, dann werden sie plötzlich ganz lebendig. Sie kichern, sie hüpfen, sie plappern, sie klatschen. «Sugar high» nennen wir Eltern diese Phase.
Warum ich dies sage? Weil der Begriff «sugar high» sehr schön beschreibt, was sich derzeit unter amerikanischen Demokraten abspielt. Noch vor einigen Wochen hatten viele Anhängerinnen und Anhänger der Präsidentenpartei das Gefühl, bei der nächsten Wahl drohe ein Debakel. Nun herrscht, quasi über Nacht, wieder eine Bombenstimmung. Die Demokraten kichern, hüpfen, plappern und klatschen.
With @Tim_Walz by my side, and with all of you at our sides—let us fight for the promise of America’s future. pic.twitter.com/TyDeqWkNPK
— Kamala Harris (@KamalaHarris) August 7, 2024
Dafür ist in erster Linie Kamala Harris verantwortlich. Die amerikanische Vizepräsidentin, die nach dem historischen Rückzug von Joe Biden im Schnellzugstempo zur neuen Präsidentschaftskandidatin gekrönt wurde, hat seit dem 21. Juli fast alles richtig gemacht.
Zuletzt die Wahl von Tim Walz zum Anwärter für das Vizepräsidium: Der Gouverneur von Minnesota mag landesweit ein weitgehend unbeschriebenes Blatt sein; aber bereits bei seinem ersten Auftritt an der Seite von Harris vermochte er in der Nacht auf Mittwoch, das Publikum zu begeistern. In einer Arena in Philadelphia jubelten ihm Tausende von begeisterten Demokraten zu. Walz, ehemaliger Soldat in der Nationalgarde, ehemaliger Lehrer und ehemaliger Football-Coach, sei genau das, was Amerika jetzt brauche, lautete die Botschaft der Demokraten: ein bodenständiger Politiker, der mit gesundem Menschenverstand agiere und sich für amerikanische Familien starkmache.
Diese Beschreibung ist natürlich auch ein Stück weit Wunschvorstellung. Denn Walz, seit zwanzig Jahren Berufspolitiker, hat in seiner Karriere zahlreiche Entscheidungen getroffen, die nun kontrovers sind. So reagierte er zunächst zurückhaltend auf die gewalttätigen Ausschreitungen nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd im Frühsommer 2020. In Minnesota mag ihm dies nicht geschadet haben; aber im Rest des Landes werden die Republikaner alles daransetzen, ihn deshalb als Sozialist oder gar als Kommunist zu beschimpfen.
Walz wird dies wie schon jetzt mit einem Spruch abtun. Er ist begabt, wenn es darum geht, den politischen Gegner mit einigen gezielten Sätzen zu entwaffnen. Sein Auftreten kommt ihm dabei zugute: Der Hobby-Jäger sieht nicht aus wie ein Staatsfeind, sondern wie ein männlicher Durchschnittsamerikaner. Aber die Republikaner werden nicht lockerlassen.
Früher oder später wird sich Harris deshalb gezwungen sehen, von den bisherigen Wahlkampf-Plattitüden («Wir sehen in unseren amerikanischen Landsleuten Nachbarn, niemals Feinde») abzurücken und spezifischer zu werden. Wählerinnen und Wähler in der Mitte, auf die eine siegreiche demokratische Präsidentschaftskandidatin angewiesen ist, möchten wissen, für welche Politik die Demokraten einstehen.
Und dann könnte es für Harris knifflig werden. Denn wie bei der anderen amerikanischen Grosspartei auch versammeln sich unter dem grossen Dach der Demokraten zahlreiche Politiker, die Ideen vertreten, die einander widersprechen. Eines der brennendsten Themen im Moment: die anhaltende US-Unterstützung für Israel im Gaza-Krieg gegen die Hamas.
Nun ist es schlicht falsch, zu sagen, dass alle Demokraten sich aus antisemitischen Motiven vom jüdischen Staat abgewendet hätten. Aber es stimmt, dass der aktuelle israelische Ministerpräsident wenige Freunde in den Reihen der Demokraten besitzt. Benjamin Netanyahu ist auch in Washington eine Person, die stark polarisiert. Zum Teil gibt es aber tatsächlich einige markante Figuren in der Demokratischen Partei, die Töne anschlagen, die auch als antisemitisch eingestuft werden können.
Die Partei ist sich dessen bewusst. So verlor just am Dienstag eine Abgeordnete im Repräsentantenhaus die parteiinternen Vorwahlen, die sich am linken Flügel der Demokraten angesiedelt hatte. Zuletzt hatte die Abgeordnete Schlagzeilen produziert, weil sie sich weigerte, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen.
Aber Harris hat sich bisher öffentlich stark zurückgehalten, auch weil sie loyal die Politik von Präsident Biden unterstützte. Sie wird den Wählern erklären müssen, was sie erreichen will, und zwar nicht nur in der tendenziell weniger wichtigen Aussenpolitik, sondern auch in der Innenpolitik. Das wäre eine gute Gelegenheit für eine leichte Kurskorrektur zur Mitte.
Und damit dürfte dann wohl auch das «sugar high» verfliegen, das die Demokraten in den letzten Tagen verspürt haben. Aber das macht nichts. Mit guter Stimmung allein lässt sich keine amerikanische Wahl gewinnen. (aargauerzeitung.ch)
Bei Trump/Vance bräuchte es schon ein Wunder für eine solch breite Euphorie bis November, auch wenn die Wahl dennoch knapp wird.
So bei den US-Wahlen. Ich jedenfalls hätte bis vor einigen Wochen nicht zu träumen gewagt, dass man den orangenen Fascho noch verhindern könnte. Jetzt stehen sogar zwei sympathische und meinem ersten Eindruck nach gute (zumindest moralisch und ethisch bessere wie Trump) Menschen als Alternative zur Verfügung zu verfügung.