Wegen dieser erfolgreichen Netflix-Serie schäumt die Trump-Regierung
Dass eine fiktionale Serie übers US-Militär der grosse Netflix-Hit des Herbsts werden würde, war nicht unbedingt abzusehen. Passiert ist es trotzdem. Die vor kurzem erschienene Serie «Boots» kommt ohne Star-Cast daher, genoss wenig Reklame, aber geniesst jetzt ein umso grösseres Publikum.
Mehr als 14 Millionen Mal ist die Serie laut Netflix’ eigenen Zahlen bereits gesehen worden. Wobei sich unter den Zuschauern auch einige Mitglieder der US-Regierung befinden dürften, denen nicht nur gefiel, was sie sahen. Doch dazu später.
Am Anfang steht eine heikle Entscheidung
Wer sich «Boots» anschaut, dem scheint der erstaunliche Erfolg der Serie dann doch gar nicht mehr so erstaunlich. Zwar handelt sie von der harten Welt des Militärs, dennoch erscheint sie als Feelgood-Lieferantin für bequeme Feierabendstunden.
Hauptfigur ist Cameron (Miles Heizer), ein US-Teenie von 18 Jahren, so zart wie unglücklich. Eben hat er die Highschool beendet, aber Geld fürs College fehlt. Freunde hat er keinen, bis auf einen. Ausserdem ist Cameron schwul, aber nicht geoutet.
Weil ihm nichts Besseres einfällt, schliesst er sich seinem Freund Ray (Liam Oh) an, der der sich fürs Boot Camp der US Marine Corps anmeldet. Eine heikle Entscheidung für Cameron: Die Serie spielt im Jahr 1990, als Homosexualität im US-Militär noch unter Strafe verboten war. (Aufgehoben wurde das Verbot erst 1993; ein Jahr davor hatte das Schweizer Militär einen entsprechenden Artikel gestrichen, der Homosexualität in den eigenen Reihen verbot.)
Nicht nur die schwule Hauptfigur leidet
Ein versteckt schwuler junger Mann, auf engem Raum mit anderen jungen Rekruten, die durch Drill zu «Männern» und «Kriegern» gemacht werden sollen: Das ist eine ergiebige Prämisse, die die Serie auskostet und mit der sie verschiedene Geschmacksvorlieben bedienen kann.
Sie zeigt die recht konventionelle Entwicklung der Hauptfigur Cameron vom unsicheren Hänfling zum selbstbewussten Uniformträger; und sie zeigt, wie sich Cameron und der Rest des Rekrutenzugs langsam verbrüdern – mit viel Schulterklopfen und Gejohle.
Wir sehen aber auch Camerons Coming-of-Age im sexuellen Sinn (wenngleich die Serie in dieser Hinsicht recht prüde vorgeht). Sowie weitere Figuren, die wegen ihrer Identität härter um ihren Platz im Militär kämpfen müssen: Schwarze Rekruten, ein schwarzer Sergeant, eine weibliche Offizierin und andere Männer, von denen Cameron vermutet, dass sie schwul sein könnten.
Eine Kritik, die scharf ausfällt
In zahlreichen Szenen scheint Solidarität auf zwischen jenen Figuren, die nicht weiss und heterosexuell sind. Schwarze, die sich zunicken. Eine Offizierin, die das Unwohlsein eines schwulen Sergeants nachvollziehen kann – und umgekehrt.
So weit, so nett. Doch inzwischen hat die Serie scharfe Kritik von hoher Stelle erfahren. Die Pressesprecherin des US-Verteidigungsdepartements äusserte sich zu «Boots» und liess mitteilen, dass das US-Militär unter Donald Trump und Verteidigungsminister Pete Hegseth «zur Wiederherstellung des Kriegerethos» zurückkehre.
Man pflege «elitäre Standards», so die Sprecherin weiter, und es spiele fürs Militär keine Rolle, ob jemand «ein Mann, eine Frau, schwul oder heterosexuell» sei. Allerdings werde man keinesfalls die eigenen Standards einer «ideologischen Agenda» opfern – im Gegensatz zu Netflix, das laufend «woken Müll» produziere.
Stimmt der Vorwurf des Pentagons?
Eigentlich wäre die Grobheit dieses Urteils nicht speziell überraschend. Immerhin hat Trump das Verteidigungsdepartement erst kürzlich in «Kriegsdepartement» umbenannt, wobei sein Minister Hegseth versicherte, der Namenswechsel bringe dem Departement «gewaltvolle Wirkung» und beende «politische Korrektheit».
Doch die in «Boots» geschilderte Solidarität unter diskriminierten Personen zielt aus Sicht der Figuren immer auch darauf, die eigene Position im Militär zu festigen und damit die Institution zu stützen. Ausserdem vergeht kaum eine Episode, in der nicht ein Drill-Sergeant seinen Rekruten zuschreit, wie unabdingbar Biss und Härte seien: «Krieger haben nur zwei Möglichkeiten – töten oder getötet werden», und dergleichen mehr.
Und tatsächlich sieht «Boots» über weite Teile sehr viel eher nach Werbe-Video fürs US-Militär aus, denn nach Regenbogen-Utopie. Es geht der Serie weniger um die Betonung der unterschiedlichen Identitäten als um den Prozess von deren Einebnung durch Drill. Die Hauptfigur ist zwar schwul und leidet darunter, aber wird am Ende wohl doch in den Zweiten Golfkrieg ziehen, um dort Seite an Seite mit anderen «Kriegern» zu kämpfen. Vor diesem Hintergrund hat das Verteidigungsministerium die Serie äusserst eigenwillig interpretiert – um nicht zu sagen verquer. Aber das Militär ist ja auch nicht für Filmkritik zuständig.
Boots: Auf Netflix.
(aargauerzeitung.ch)
